»Giles«, stammelte er, »ich bedaure, daß mein Fechten heute nicht so . nicht so .«
»Hört mir zu, Sir Nick Fenton«, sagte Giles und hob den Zeigefinger. »Ich bin kein Schmeichler, wie Ihr bezeugen könnt, eher eine Wespe, die Euch sticht, wie Euer Vater es wünschte. Aber, Sir! Heute wart Ihr so behende auf den Füßen wie je zuvor. Euer Auge war vielleicht nicht ganz so akkurat wie sonst. Aber in meinem ganzen Leben habe ich kein so gutes oder so tödliches Fechten gesehen!«
»Was sagst du da?«
Wieder deutete Giles mit dem Finger auf ihn. Stolz leuchtete in seinen Augen.
»Noch eins will ich Euch sagen. Ich möchte tausend Guineen wetten, wenn ich sie hätte, daß kein Mann in London es zwanzig Sekunden lang mit Euch aufnehmen kann! Nun genug des Lobes, Säufer und Sünder!«
»Giles, du mußt dich ausruhen. Kümmere dich nicht um diesen alten Rüstungskram, sondern geh zu Bett.«
Giles erhob sich mit steifen Gliedern und ging schwankend von dannen.
Fenton begab sich, den Degen immer noch in der Hand, langsamen Schrittes zu der niedrigen Backsteinmauer am Ende des Gartens. Ein einziger gelber Streifen lag tief und trübe am Himmel. Und plötzlich wurde er sich darüber klar, wie falsch seine Auffassung gewesen war.
Im gegenwärtigen Jahr, 1675, befand sich die Fechtkunst noch in ihren Anfangsstadien. Erst hundertzwanzig Jahre später, gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, würde sie beinahe Vollkommenheit erreichen. Die jetzigen Paraden bestanden aus einfachen Schlägen, obgleich Sir Nick darin geschickter gewesen sein mußte. Die Hiebe zeigten wenig Raffinesse und waren meistens leicht zu parieren. Die Finten waren kindisch und sofort zu erraten. Diese Leute hatten noch nie etwas von einer Gelenkdrehung beim Parieren gehört und kannten nicht viele Kniffe außer einigen unredlichen Tricks. In ihrer Abwehrstellung waren sie zu exponiert.
Er dagegen hatte eine über dreißigjährige Erfahrung im Florettfechten hinter sich, dazu den geschmeidigen und kräftigen Körper eines jungen Mannes. Manche Autoritäten bezeichneten das Florett wegen seiner Leichtigkeit als wertlos. Aber andere wiesen darauf hin, daß lange Übung am meisten zähle; daß jeder gründlich erlernte und geschickt ausgeführte Stoß - die ganze Fechtkunst - den Duelldegen überbiete.
Und sie hatten recht. Was Fenton als die größte Gefahr für sich betrachtet hatte, war in Wirklichkeit seine größte Stärke. Er war ein besserer Degenfechter als Sir Nick.
Fenton atmete in tiefen Zügen die würzige Luft ein. Alle Verwirrung fiel von ihm ab. Seit einiger Zeit hatte sich Sir Nick völlig ruhig verhalten, nicht einmal mit dem Deckel seines Sarges geklappert.
Doch um seine Lippen spielte ein merkwürdiges Lächeln, das ganz, ganz schwach dem mörderischen Lächeln Sir Nicks ähnelte. »Wer mich jetzt angreift«, sagte er laut, »ist mir ausgeliefert!«
XII
Wieder einmal schlug der Feind zu - zweimal innerhalb von zehn Tagen. Der erste Angriff begann so sanft, bei so heiterem Spiel mit Lydia, daß Fenton zunächst gar nicht merkte, was gespielt wurde. Oft erinnerte er sich lachend an Georges bittere Worte: »Du bist vernarrt in Lydia. Du bist übermäßig verliebt in sie.« Nun, warum auch nicht? Er war immer bei ihr, und Judith Pamphlin hielt Wache, wenn er in seinem Studierzimmer saß oder allein im Park spazierenging, wo er manchmal bis zu den Elendsvierteln von Westminster vordrang.
Als die vier Doggen ihn zuerst sahen, zauderten sie. Aber sobald sie seine Stimme hörten, ihn beschnüffelt hatten und er ihnen die Hand zum Lecken entgegenstreckte, verschwand alles Mißtrauen mit einem Schlage. Die Tiere sausten auf ihn zu, sprangen an ihm in die Höhe, um sein Gesicht zu lecken, und warfen ihn beinahe um. Dann rasten sie um ihn herum, wobei sie sämtliche Möbel in Gefahr brachten, kauerten sich nieder und winselten vor Freude. Es waren die regelrechten alten englischen Doggen, die Kampfhunde, die die Familie beschützten. Im Gegensatz zu ihren langen, schweren Leibern hatten sie feingeformte Beine. Ihre herunterhängenden Ohrlappen zuckten bei dem leisesten Geräusch. Ihre Augen waren wachsam, und hinter den hängenden Wammen verbargen sich mörderische Zähne. Die größte unter ihnen reichte Fenton fast bis an die Hüfte. In der Farbe waren sie hellbraun oder scheckig. Sie hießen Donner, Löwe, Vielfraß und Nacktarsch. Der geströmte Donner, der größte und mächtigste unter diesen Hunden, schloß sich am engsten an Fenton an. Es war gut, Donner zur Seite zu haben, aber es bedurfte der geistreichsten Schliche, um ihn aus dem Zimmer zu bekommen.
»Lieb Herz«, pflegte Lydia zu sagen, »du vergißt doch wohl nicht, daß sie auf den Mann trainiert sind? Wenn du mit jemandem sprichst, faß nie mit der Rechten an den Degengriff. Sonst -« Und sie brach achselzuckend ab.
Er wachte ständig über Lydia, war stets in ihrer Nähe, besonders wenn sie ihre Mahlzeiten zu Hause in dem langen Speisezimmer einnahmen, in dem abends das viele Silber wie leuchtendes Schnitzwerk glänzte. Obwohl Lydia diese Fürsorge beglückte nach der Vernachlässigung und Brutalität, die ihr von Sir Nick zuteil geworden waren, legte sie doch einmal einen milden Protest ein. Bei jedem Gang, der ihr vorgesetzt wurde, aß Fenton die obere Hälfte ab, wobei er an die Wirkung eines jeden damals bekannten Giftes dachte.
»Lieb Herz«, sagte Lydia, »ich habe Geschichten aus alten Zeiten gelesen, von Königen, die Vorkoster an ihren Tischen hatten. Es ist kein Wunder, daß sie jetzt verschwunden sind. Der König auf seinem goldenen Thron muß beinahe vor Hunger umgekommen sein, ehe er einen Mundvoll zu essen bekam, der dann wirklich so kalt war wie ein Almosen.«
Der 10. Juni rückte immer näher heran, und dieser Gedanke beschäftigte Fenton so stark, daß er nur langsam antwortete. »Es muß sein, mein liebes Kind.«
»Aber wer würde es wagen? Wo du so . so .« Lydia war im Begriff, zu sagen: »so sehr verändert bist.« Aber sie sprach es nicht aus. Die Doggen schnüffelten im Zimmer herum mit Ausnahme von Donner, der in seiner vollen Länge vor Fentons Füßen ausgestreckt lag und schlief.
»Und wo droht Gefahr von außen?« fragte Lydia. »Nachts ist das Haus wie eine Festung verbarrikadiert, und die Hunde sind draußen. Vielleicht von . von .?«
Sie wollte »Kitty« sagen, brachte es aber nicht fertig, den verhaßten Namen auszusprechen.
»Bedeutet es dir in der Tat so viel«, fragte sie leise, »was mit mir geschieht?«
»Viel, Lydia. Mein Gott, zu viel!«
Oft ritten sie zusammen aufs Land hinaus, durch die Felder zu den Hügeln von Hampstead oder Highgate. Da oben konnten sie in einem gemütlichen Gasthaus, wo es Käselaibe gab, fast so groß wie Bierfässer, essen und trinken ohne Angst, vergiftet zu werden.
Später ritten sie dann in zärtlicher Stimmung durch die duftende Mainacht. Lydia stimmte manchmal leise ein Lied an; einmal sang sie sogar zu Fentons Erstaunen einen Vers aus einem Kavalierlied. »Ja, huldigt dem Unstern! Nennt Oliver Herrn .!« Aber sie warf Fenton dabei mit gesenkten Augenlidern einen Seitenblick zu, um zu sehen, ob ihn dies an Meg erinnerte. Wenn sie sich bloß diesen verhaßtesten aller Namen hätte aus dem Sinn schlagen können, sie wäre restlos glücklich gewesen. Fenton hatte Meg vergessen - beinahe.
An einem Spätnachmittag nahm er Lydia mit ins Theater. Er wählte das Duke's House, das vor kurzem von Lincoln's Inn Field in ein neues Gebäude nach Dorset Gardens, Whitefriars, verlegt worden war. Er brauchte Lydia nicht durch die lärmende, rußige Innenstadt zu führen. Sie würden auf der Themse fahren - der angenehmste Beförderungsweg, wenn man Zeit und auch das nötige Kleingeld hatte.
Lydia war so begeistert, daß sie unbedingt ihr allerbestes Kleid anziehen mußte. Mit geröteten Wangen und funkelnden Augen stand sie vorm Spiegel, während Judith Pamphlin, bleich vor Wut, ihr dabei half.