»Hätte ich's nur getan. Mein Gott, hätte ich's nur getan! Aber ich war meiner nicht sicher. Erinnerst du dich noch, wie ich dir bei deinem Lexikon der Sprache des siebzehnten Jahrhunderts half? Aber ich war unsicher. Ich habe zu lange gezaudert.«
»Ich verstehe dies alles nicht«, rief der verwirrte Fenton. »Hör mal, du hattest ja nicht einmal die Stiche, die mir so sehr geholfen haben. Wie konntest du dich hier nur zurechtfinden?« Meg preßte ihre Wange dicht an die seine.
»Hör zu«, flüsterte sie heftig, »darüber darfst du mich nicht befragen. Noch nicht! Später, vielleicht bald, wirst du es erfahren. Du wirst erfahren, daß mein Charakter - meine Seele, wenn du so willst - sich nicht geändert hat. Aber ich war verschwiegen, und niemand merkte, daß ich nicht Meg war. Doch nun kehren wir am besten zu einem lieblicheren Zeitalter zurück.« Das Riesenauge schloß sich wieder, und das zwanzigste Jahrhundert verschwand in weiter Ferne. Die Wirklichkeit trat in den Vordergrund: die sanfte Luft, der Mond über Spring Gardens, die Hecken, das Gras. Mit Megs Zügen ging eine leise Veränderung vor sich. Ihr Lächeln war nicht mehr verschlagen; es wurde zärtlich.
»Nick, ich habe dir diesen Possen hauptsächlich gespielt, um dir dies zu geben.«
Während sie ein wenig von ihm abrückte, schlug sie ihr Kleid bis über die Knie zurück - durch Unterröcke war sie nicht behindert - und zog aus ihrem Strumpfband ein kleines zusammengefaltetes Stück Papier.
Von dem Augenblick an, da sie in dieses Zeitalter zurückkehrten, waren Megs Bewegungen rascher und ihre Augen strahlender geworden.
Fenton erging es genauso.
»Hier«, sagte sie, »sind die Namen der beiden Häuser, wo du mich finden kannst.«
»Zwei Häuser?«
»Pah! Du wirst mich nicht oft im ersten finden. Es ist die Wohnung eines französischen Hauptmanns namens Duroc-ein widerlicher Kerl. Erst heute haben sie ihn nach Hause gebracht - auf Krücken und mit dick verbundenem Bein. Und trotzdem - oh, pfui - bekam dieses Monstrum amouröse Anwandlungen! Wenn du gesehen hättest, wie ich ihm entwischte, wärst du vor Lachen geplatzt!«
»Und die andere Wohnung?«
»Das«, flüsterte Meg verzückt, »ist mein eigenes kleines Haus. Niemand weiß, daß ich mich dort aufhalte. Niemand kann mich dort finden und stören. Es liegt nicht gerade in einer feinen Gegend - um so besser. Niemand wird mich aufsuchen außer. wirst du bald kommen und mir deine Aufwartung machen? Recht bald?«
»Bei Gott, ich schwör's!«
»Das Haus - oder vielmehr das eine Stockwerk, das ich bewohne; alles andere steht leer - wird von einer alten Frau namens Calpurnia in Ordnung gehalten. Sag ihr deinen Namen, dann wird sie dich einlassen.« Megs Ton änderte sich. »Du wirst doch nicht grob zu mir sein? Oder mich gar mißhandeln?«
»Ganz im Gegenteil.«
In dem Moment hätte Fenton jeder Frau alles versprochen. Dennoch wußte er in seinem Sinnenrausch, daß er die Wahrheit gesprochen hatte.
»Du sprachst«, sagte Fenton, »von einer Laube .?«
»Ja, ja, ja!« Dann besann sich Meg wieder. »Halt, du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Befriedigt dich meine Base Lydia ganz und in jeder Hinsicht? Rasch noch einen Kuß, bevor du antwortest!«
Sie schmiegte sich an ihn. Aber in den nächsten Augenblicken verwandelte sich dieses Schäferidyll in ein kleines Chaos. Fenton, der bemerkte, daß das bläulichgelbe Licht der Fackel plötzlich durch einen Schatten verdunkelt wurde, wandte den Kopf, auf dem die Perücke recht schief saß, und sah im Bogengang zu seiner Linken ein paar Gestalten stehen. Meg hob ebenfalls den Kopf. Groß und hager - der flache Hut und die goldbestäubte Perücke berührten fast die Spitze des Bogens - stand dort im Gange ein leichenblasser Mann in Weiß mit Krücken unter den Armen und einem bandagierten, steif nach hinten gestreckten Bein. Unmittelbar vor ihm, immer noch in Maske und Cape, aber mit giftig zusammengepreßten Lippen unter der kurzen Nase, stand Lydia. Meg sprang auf und ließ den Umhang am Boden liegen. Fenton blieb aus einer gewissen Befangenheit heraus sitzen, was er später bereute. Lydia bewegte sich in dem trüben Licht mit blitzartiger Geschwindigkeit. Ihre Hand glitt unter das Cape zu der dünnen Scheide mit dem doppelschneidigen goldenen Dolch. Sie zog ihn heraus und stürzte sich auf Meg.
»Ich kann ebensogut einen Dolch gebrauchen wie Ihr«, flüsterte sie.
In diesem Augenblick begann das Orchester, ein aus Spinett, Viola und Baßviola zusammengesetztes Trio, eine träumerische Melodie zu spielen. Das Trio mochte vielleicht in gerader Linie keine zehn Meter von ihnen entfernt gewesen sein. Aber wo gab es hier schon eine gerade Linie? »Kanaille!« kreischte Lydia.
Der Dolch glitzerte kurz, als er gezückt wurde. Wenn das Licht besser gewesen wäre, hätte es einen Mord gegeben. So wurden nur Silberstreifen und rosa Röschen aufgeschlitzt. Meg wich schreiend zurück. Lydia, selbst ganz entsetzt, schleuderte den Dolch fort und fuhr mit bloßen Händen auf Meg los.
Lydia war die kleinere, obwohl keine von beiden als groß bezeichnet werden konnte. Meg rannte mit gesenktem Kopf, wie ein angreifender Stier, auf Lydia zu und versetzte ihr einen kräftigen Stoß. Die taumelnde Lydia blieb mit ihrem Schuh im eigenen Kleid hängen und fiel hin. Meg lief mit katzenartiger Geschmeidigkeit durch den Bogen, wo Captain Duroc mit seinen Krücken auf einem Bein stand.
Lydia sprang auf die Füße, griff nach dem goldenen Dolch und stürzte ihr nach. Doch Captain Duroc, allerdings etwas schwankend, versperrte ihr den Weg mit den Krücken. »Madame«, flehte er mit weitaufgerissenen, schwimmenden Augen und unter Aufbietung seiner ganzen Komödiantenhöflichkeit, »Je vous implore! Zwei Damen! Nein, nein!« Lydia maß ihn von Kopf zu Füßen.
»Ich will eine Dirne sein«, sagte sie in fast säuselndem Ton, »wenn Ihr nicht die bemalte Memme seid, mit der mein Mann neulich Schindluder gespielt hat.«
Mit diesen Worten hob Lydia ihr Kleid vorne hoch und versetzte ihm einen so heftigen Tritt in die untere Magengegend, daß Duroc mit einem Schmerzensschrei rückwärts in die äußere Hecke fiel. Die Krücken entglitten ihm.
Fenton, der von dem engen Kontakt mit Meg noch ziemlich erregt war, mußte sich in irgendeiner Form Ablenkung verschaffen. Er verließ daher die Lichtung und schritt auf Captain Duroc zu.
»Sir«, begann er mit noch zitternder Stimme, »wollen Sie mir gütigst gestatten, Ihnen beim Aufstehen behilflich zu sein, wenn wir auch Feinde sind und miteinander kämpfen müssen, sobald Ihr Bein geheilt ist?«
Duroc spie ihn an - Duroc, der so berühmt war für seine guten Manieren. Dann ließ er sich ganz verkrümmt wieder in die dichte Hecke fallen. Sein Gesicht erschien im Licht der bläulichen Fackel kalkweiß. »Monsieur«, erwiderte er kalt, »Sie existieren nicht für mich. Sie haben mich, ausgerechnet mich, zum Narren gemacht. So etwas bleibt nicht ungestraft. Ich kenne Sie nicht. Gehen Sie, Sie Tor, bis ich Sie töte.«
»Dann möchte ich Ihnen noch einen guten Rat geben«, sagte Fenton schroff, der danach lechzte, dem anderen an die Kehle zu springen. »Ich bitte Sie, eine edle Nation nicht zu entehren, indem Sie als Franzose posieren. Ihr Akzent, Sir, ist geradezu furchtbar.« Mit einem ironischen Lächeln wandte sich Fenton wieder der Lichtung zu. Er war nicht allein.
In den anderen drei in die Hecke geschnittenen Bogen -ihm gegenüber, rechts und links - standen jetzt völlig regungslos drei Männer. Alle trugen Mäntel, aber jeder hatte die Degenscheide frei - die Klinge etwa fünfzehn Zentimeter gezogen. Sie standen gerade innerhalb der Bogen und beobachteten ihn. Breitkrempige Hüte verdeckten ihre Gesichter. Aber an jedem Hut steckte eine große grüne Rosette. Fenton fühlte sich glücklich und stark.
»Willkommen, meine Herren!« sagte er und bemühte sich, seine Stimme dem Flüsterton von Spring Gardens anzupassen. Sofort löste er seinen Mantel von der linken Schulter und warf ihn beiseite. »Aber findet Ihr nicht auch, daß es Mylord Shaftesbury an originellen Einfällen gebricht? Er wiederholt sich zu oft.«