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Giles blieb noch eine Weile unschlüssig stehen und schnitt merkwürdige Grimassen.

»Na«, sagte er schließlich, »wenn Ihr die Absicht habt.«

»Vielen Dank. Aber ich brauche keinen Rat. Ich werde mich nicht die ganze Nacht betrinken, geschweige denn eine ganze Woche.« Sobald Giles fort war, goß sich Fenton fast ein ganzes Glas ein. Nach einigen tiefen Zügen begann der Brandy seinen Kummer abzustumpfen.

Morgen würde er sich irgendwie wieder mit Lydia aussöhnen. Niemals, bei Gott, würde er ihr untreu werden! Und dieses Schreckgespenst der Vergiftung? Das war es, was er fürchtete, schrecklich fürchtete. Aber es konnte nichts passieren. Er ließ Lydia zu scharf bewachen.

In Gedanken sah er wieder die Daten seines Lebens als Sir Nicholas Fenton: Geboren am 25. Dezember 1649; gestorben am 10. August 1714. Er und Lydia würden das Schauspiel dieser Zeit abrollen sehen: in der Hauptsache Verrat und Unruhe, aber hin und wieder auch ein Zeichen von Größe. Und er konnte wenigstens glücklich sterben, ehe der erste Hannoveraner den britischen Thron bestieg.

Ganz in solchen Gedanken verloren, merkte er plötzlich, daß der Brandy seinen Verstand umnebelt hatte.

Aber das durfte nicht sein; sonst konnte er Lydia ja nicht beschützen. Leise schwankend zog er sich an der Tischkante hoch und umklammerte den Kerzenhalter mit festem Griff. Mit zusammengebissenen Zähnen stapfte er nach oben in sein Schlafzimmer, wo er nur einmal taumelte, als er die Tür schloß. Dann blies er die Kerze aus, sank quer über das Bett und schlief sofort ein. Obwohl er am nächsten Morgen einen starken Kater hatte, vertrieben die hellen, warmen Sonnenstrahlen alle seine Zweifel und ließen den gestrigen Zank töricht erscheinen. Nach einem ausgiebigen Bad war er wieder in allerbester Laune. Er ließ sich von Giles rasieren und gestattete ihm, ihn mit größerer Sorgfalt als üblich zu kleiden, was Giles große Befriedigung verschaffte. Auf dem Ankleidetisch lag seine Zahnbürste mit dem hellroten Griff, die Big Tom mit Sorgfalt geschnitzt und mit so guten Borsten versehen hatte, daß Fenton nicht zu fragen wagte, woher sie stammten. Eine zweite, blau angemalte Zahnbürste lag auf Lydias Ankleidetisch. Da er keine Zahnpasta bekommen konnte, mußte er sich mit parfümierter Seife begnügen, die dem Mund wenigstens eine gewisse Frische verlieh.

Wie immer, eilte er auch an diesem Morgen in die Küche hinunter und probierte Lydias Morgenschokolade, ehe sie zu ihr hinaufgeschickt wurde. Da man noch keine neue Köchin gefunden hatte, füllte Nan Curtis einstweilen diesen Posten aus. Obwohl sie äußerst zuverlässig war, wurde sie von Big Tom so scharf bewacht, daß sie mehr als einmal in Tränen ausbrach. Dann begleitete Fenton Bet, die neue Zofe, als sie das Tablett mit der Schokolade nach oben trug, um sich zu vergewissern, daß niemand sich damit zu schaffen machte. Obgleich Lydias Ausbruch noch an seinem Herzen nagte, hatte er doch eine Entschuldigung bereit, als Bet an die Tür klopfte.

»Ja?« ertönte Lydias Stimme erwartungsvoll. Dann schwieg sie, und es lag ein gewisser Hochmut in diesem Schweigen. »Hier ist Bet, Mylady, mit der Schokolade.«

»Oh.« Eine lange Pause. Dann mit ein wenig zitternder Stimme: »Ist mein Mann auch da?«

»Ja, Mylady.«

»Dann sei so gut, liebste Bet, und sage ihm, daß seine Abwesenheit höher geschätzt wird als seine Gesellschaft.« Fenton ballte die Faust und holte tief Atem.

»Tu, was diese verflixte Frau dir gebietet«, sagte er laut und vernehmlich zu Bet.

Dann ging er den Flur hinunter. In einer dunklen Ecke bemerkte er Judith Pamphlin, die immer noch mit verschränkten Armen Wache hielt. Sosehr er sie auch verabscheute, war er doch froh über ihre Wachsamkeit.

Pünktlich um zwölf Uhr, wie jeden Tag, nahm er einen Schlüssel und öffnete ein Schränkchen in seinem Studierzimmer. Mit einem anderen sehr kleinen Schlüssel schloß er das Tagebuch auf, das er niemandem bisher gezeigt hatte.

Sorgfältig tauchte er die Feder in die Tinte und trug das Datum ein; 6. ]uni, obwohl der Tag erst um Mitternacht endete. Noch vier Tage .

Er konnte das Schicksal abwenden. Das wußte er. Der 10. Juni würde schließlich abgestrichen werden. Er beschloß, alle Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen. Aber er konnte nirgends eine Lücke entdecken.

Nichts geschah an diesem heißen Tage. Lydia weigerte sich zu essen; Fenton nahm ebenfalls keine Nahrung zu sich. Es kam ein höflicher, fast demütiger Brief von den Besitzern von Spring Gardens. Im Brief war von einen leichten Schaden die Rede, und man gestattete sich, eine Rechnung zu präsentieren. Obgleich die Rechnung viel zu hoch war, beglich Fenton sie umgehend durch einen Boten, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Bei Einbruch der Nacht, als die Kerzen angezündet wurden, saß er in seinem Studierzimmer und las zuerst den besänftigenden Montaigne und dann den weniger besänftigenden Ovid. Schließlich klappte er das Buch zu und kam zu einem Entschluß. Gelassen stieg er in die Küche hinab, wo er sich eine kleine Axt mit einem kurzen Griff holte. Ebenso gelassen ging er nach oben vor Lydias Zimmer.

Mit ein paar wohlgezielten Schlägen, die laut krachend durchs Haus hallten, sprengte er die Tür, so daß sie ins Zimmer fiel. »Nun hör mich an, Weib -!« Er brach sofort ab. Es war ihm, als sei ein Kavallerieangriff nur auf Wolken gestoßen.

Denn Lydia saß aufrecht im Bett und streckte ihm die Arme entgegen. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, und ihr Mund zitterte. Er stürzte ans Bett, und es folgte eine stürmische Umarmung. »Es war meine Schuld«, riefen beide wie aus einem Mund. In dem Stimmengewirr, das nun ertönte, hätte ein Lauscher kein Wort unterscheiden können; denn beide redeten zu gleicher Zeit, und jeder überschüttete sich selbst mit Vorwürfen und Schimpfnamen. Giles stand unterdessen im Flur und befestigte geduldig einen großen Wandteppich über dem offenen Türeingang, wobei er die Nägel so leise einschlug, daß selbst Judith Pamphlin es nicht hörte. Von der stürmischen Versöhnung gingen Fenton und Lydia zu den Zärtlichkeiten über, die die Krone aller Versöhnungen darstellen, und sprachen in leisem Flüsterton noch lange nachdem die letzte Kerze bis auf einen glimmenden Funken niedergebrannt war und erlosch.

Sie sagten sich immer wieder, wie töricht sie gewesen seien, und Lydia schluchzte zum Steinerweichen. Sie schworen sich unzählige Male ewige Liebe. Sie gelobten sich, niemals wieder und unter keinen Umständen zu zanken; niemals, niemals ... Nun, das kennen wir alle. Seit Ewigkeiten werden solche Schwüre in das Ohr der flüchtigen Zeit geflüstert: und doch sind sie - zumindest für den Augenblick - immer ernst und aufrichtig gemeint.

»Von ganzem Herzen, Nick?«

»Von ganzem Herzen, Lydia.«

Am nächsten Morgen faulenzten sie dann lange im Bett. Am Nachmittag hatte Fenton geschäftlich in der City zu tun. Ehe er fortging, trug er den 7. Juni in seinen Kalender ein. Es war ein drückend schwüler Tag. Der Himmel war mit grauen Wolken bedeckt. Mehrere Male drangen beunruhigende Geräusche aus dem Stallhof an sein Ohr, und er schickte jemanden hin, um sich nach der Ursache zu erkundigen. Er selbst hielt sich meistens den Stallungen fern. Da er in seinem früheren Leben nur ein mäßiger Reiter gewesen war, kannte er sich mit Pferden nicht so gut aus wie Sir Nick und fürchtete sich vor einem bösen Schnitzer.

Dick, der Stalljunge, berichtete, daß eins der Kutschpferde erkrankt sei, aber nicht so ernsthaft, daß es der Pferdedoktor nicht bald heilen könnte. Fenton ließ seine schwarze Stute Sweetquean satteln und vor die Haustür bringen.