Da Big Tom die zerschmetterte Schlafzimmertür wie durch ein Wunder noch vor Mittag ausgebessert hatte, eilte er nach oben, um Lydia letzte Instruktionen zu erteilen.
»Schiebe den Riegel vor. Öffne niemandem diese Tür. Sollte jemand klopfen, frage, wer es sei. Wenn du keine Antwort bekommst, rufe aus dem Fenster nach Whip, dem Kutscher, oder Job, dem Stallknecht, und lasse sie eilig mit Keulen und Knütteln ins Haus kommen. Versprichst du mir das?«
»Oh, ja! Oh, ja!« rief sie in leidenschaftlicher Unterwürfigkeit. Sie senkte den Kopf und schmiegte sich dichter an ihn. »Nick! Was sie angeht.« Sie konnte sich immer noch nicht dazu bringen, Megs Namen zu äußern. »Du wolltest doch nicht allen Ernstes .«
»Nein!« versicherte er ihr, und im Augenblick glaubte er es selbst.
Vor der Haustür befand sich eine Auffahrt, und die Reihe der Lindenbäume zeigte eine breite Lücke, durch die die Kutschen ein und aus fahren konnten.
Fenton bestieg Sweetquean und ließ sich von Dick die Zügel reichen. Auf Umwegen ritt er dann in die City, um die Beine seiner Stute in dem dichten Verkehr vor Schaden zu bewahren. Er hätte diesen Ritt überhaupt nicht unternommen, wenn er nicht darauf bedacht gewesen wäre, eine richtige Köchin zu engagieren, am liebsten eine französische. Obgleich Nan Curtis ihr Bestes tat, sehnte er sich nach einer Köchin, die ein Mahl zubereiten konnte, ohne ihm jeglichen Reiz zu rauben. Nun, das würde wohl wieder einen Sturm im Wasserglas verursachen, aber das mußte er auf sich nehmen.
In Wills Kaffeehaus hatte er kürzlich einen Mann getroffen, der offenbar zu Sir Nicks Freunden zählte, einen jungen Wissenschaftler namens Isaac Newton. Mr. Newton hatte ihm den Namen einer älteren Französin genannt und ihm ihre Adresse in der Fleet Street gegeben.
Also galoppierte er die lange, halb ländliche Oxford Road entlang, von wo aus er auf einem offenen Feld in der Ferne den Galgen von Tyburn sehen konnte, ritt durch Holborn, schlug dann eine südliche Richtung ein und kam durch mehrere enge, kleine Gassen, bis er Madame Taupins Wohnung in der Fleet Street fand. Es dauerte eine geraume Weile, bis Fenton Madame Taupin, eine Frau mit geziert vornehmem Gehaben, für seinen Plan gewinnen konnte. Als er sie endlich überredet hatte, die Stelle am 12. Juni anzutreten, und heimwärts ritt, verdüsterte sich der Himmel und wirkte wie ein erstarrtes Meer. Hin und wieder wehte ein Windstoß wie heiße Luft aus einem Ofen. Es lag ein Gewitter in der Luft, das nicht zum Ausbruch kommen konnte. Bei seiner Heimkehr traf er Lydia bei der Abendtoilette an. Nach Eintritt der Dunkelheit wisperte der Wind geheimnisvoll durchs Haus.
Fenton, der in sein Studierzimmer ging, um einige Abrechnungen zu prüfen, die Giles ihm vorgelegt hatte, fand das Licht so unstet, daß er acht Kerzen anzündete. Doch die Flammen huschten hin und her und wollten nicht klar brennen. Ein Gefühl der Beklemmung beschlich ihn.
Plötzlich betrat Giles das Studierzimmer. Sein Gesicht war zunächst ausdruckslos. Er trat langsam an den Schreibtisch und überbrachte seine Nachricht. »Sir«, sagte er barsch, »die Hunde sind vergiftet.«
XIV
»Die Hunde?»wiederholte Fenton, als begreife er nicht. Der Zugwind ließ ein Stück Papier aus seiner Hand in eine Kerzenflamme flattern. Giles drückte es mit seinen knochigen Fingern aus, als es Feuer fing, so daß die Funken stoben. »Da ich mich bei einem so gelehrten Mann einer präzisen Ausdrucksweise befleißigen muß«, erwiderte Giles, der sich immer, wenn er schlechte Nachricht brachte, von seiner übelsten Seite zeigte, »will ich mich deutlicher ausdrücken. Ich sprach von den Doggen.«
»Wann? Wie? Warum?«
»Sir, es ist gestern abend geschehen. Nun flucht nicht, weil wir nicht eher davon zu sprechen wagten. Es besteht nämlich noch etwas Hoffnung.«
»Hoffnung? Inwiefern?«
»Job rannte wie verrückt, um Mr. Milligrew zu holen, der sich am besten mit Hunden und Pferden auskennt. Er glaubt, daß er höchstwahrscheinlich Donner und Löwe, vielleicht auch Nacktarsch retten kann, obgleich alle recht übel dran sind. Whiteboy, der Terrier, wird ja nach Einbruch der Dunkelheit nie nach draußen gelassen. Aber Vielfraß, der leider auch diesmal seinem Namen Ehre gemacht hat, ist tot.«
Fenton ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder und strich sich mit der Hand über Stirn und Perücke. »Wie ist es geschehen?«
»Vergiftetes Fleisch«, entgegnete Giles und zog hinter dem Rücken ein in Papier gewickeltes Stück rohes Fleisch hervor, das mit weißem Pulver bedeckt war.
»Wieder einmal Arsenik«, meinte Fenton, der mit einem Gänsekiel daran herumstocherte. »Sieh nur, es ist geruchlos und in Pulverform. Es sind keine Kristalle anderer weißer Gifte, wie Antimon oder Strychnin, vorhanden. Nein! Es ist schon Arsenik.« Giles verschränkte die Arme. »Und was bedeutet das?«
»Es bedeutet, daß ich ein Narr gewesen bin!«
»Oh, zweifellos«, murmelte Giles. »Aber - inwiefern?«
»Das will ich dir erklären«, erwiderte Fenton, der wieder aufsprang und inmitten der flackernden Kerzen auf und ab ging. »Meine ganze Sorge ist darauf gerichtet, meine Frau vor Vergiftung zu bewahren. Ich habe alle im Haus einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Würde einer von ihnen ihr Schaden zufügen?«
»Nein«, antwortete Giles und blickte auf seine Schuhe herab. »Die gnädige Frau ist sehr beliebt.«
»Und deshalb bin ich ein Narr. Gegen alle im Haus war ich auf der Hut - aber nicht ein einziges Mal habe ich den Blick nach außerhalb gerichtet, an einen Freund gedacht.«
»Freund?«
»Einen sogenannten Freund. Eine solche Person braucht nur ein Wort zu sagen - die Doggen kennen ihre Stimme -, und die Hand auszustrecken, um sie lecken zu lassen. Die Tiere würden nicht bellen.«
»Unter Einbrechern«, meinte Giles, »ist das ja allgemein so Sitte. Aber aus dem Hause ist nichts gestohlen, nicht einmal ein silberner Löffel. Warum also die Hunde vergiften?«
»Weil sie heute nacht nicht hier sein sollen, wurden sie gestern nacht vergiftet. Und gleichzeitig wurde wahrscheinlich von dem Schloß einer Tür - wahrscheinlich der Haustür - ein Wachs- oder Seifenabdruck gemacht. Ein Schlosser kann den Schlüssel in einem Tage anfertigen .«
»Und heute nacht?«
»Nun, heute nacht wird jemand erscheinen - vielleicht unsere gute Kitty, die ja als Köchin die Hunde fütterte -, um in aller Ruhe die Juwelenkästen zu plündern und die Speisen meiner Frau zu vergiften. Habe ich es richtig gedeutet?«
Giles, der aus irgendeinem Grunde bei der Erwähnung von Kittys Namen zusammenzuckte, blickte Fenton ins Gesicht und schüttelte den Kopf. »Nein, Sir«, antwortete er gelassen. »Ihr seid zu sehr mit Mylady Fenton beschäftigt und habt noch nicht die Tiefe dieser Angelegenheit ergründet.«
Fenton erwiderte nichts darauf, sondern nickte nur erwartungsvoll. Der Wind, der die Kerzen so unstet flackern ließ, hatte sich inzwischen gelegt und eine schwere, drückende Luft zurückgelassen. Fenton kehrte wieder zu seinem Stuhl zurück. »Sir Nick, dieser Vorfall hat tiefere Wurzeln, als Ihr denkt. Es ist eine politische Sache, bei der es vielleicht sogar um den Thron selbst geht! Mylord Shaftesbury steht im Begriff, aus kleinen Anfängen eine ungeheure Oppositions- oder Landpartei zu bilden, die als Kennzeichen ein grünes Band trägt, und ist besonders darauf bedacht, die mobile Partei aufzustacheln .«
»Nenne sie Mob, Giles. Der Name wird bald in aller Munde sein.«
»Nun, und Ihr würdet ganz allein unter Hunderten von ihnen >Gott für König Charles!< rufen, jedesmal, wenn sie Euch angegriffen haben - oder Ihr sie - habt Ihr sie dem Spott und dem Gelächter der Menge preisgegeben. Diesen hochgestellten Männern der Landpartei darf eine solche Behandlung nicht zuteil werden, sonst büßen sie an Macht ein. Sie müssen deshalb dafür sorgen, daß dem ein Ende gemacht wird.«