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Beide schliefen bald ein, obwohl er sich zuerst unruhig hin und her wälzte. Denn eins war ihm nie gelungen - nicht mit Bitten, nicht mit Schmeicheln, nicht mit Fluchen: Lydia zu überreden, nachts ein Fenster zu öffnen. Sie schwor, manchmal sogar auf den Knien, daß es sie töten würde. Die dumpfe Luft war beklemmend. Kurz bevor er in einen leichten Schlummer sank, glaubte er in der Ferne einen Blitz zu sehen.

Dann wurden seine düsteren Träume verworren. Es waren eigentlich keine Alpträume, aber sie waren von etwas Drohendem erfüllt, was er weder sehen noch berühren, aber immer hören konnte.

Eine verzerrte Szene spielte kurz in seine Träume hinein: Er hörte das dumpfe Keuchen einer Lokomotive und das schrille Pfeifen des Schaffners. Er stand an der Tür eines Abteils und lehnte sich in einer Art SuppentellerHelm zum Fenster hinaus. Als der Zug langsam anfuhr, reichte ihm ein ernsthaftes, hübsches, etwa fünfzehnjähriges Mädchen mit schwarzem Haar und grauen Augen einen Blumenstrauß und etwas in Silberpapier gewickelten Tabak.

Das Gesicht verschwamm und verschwand, während andere ihn umdrängten. »Major Fenton?« - »Ja?« -»Telegramm, Sir.« Seine Finger entfalteten das grobe Papier des Telegramms, und er las: »Fürchte Sie im Gedränge zu verpassen habe Blumen Tabak falls wir uns nicht sehen alles Gute Ihre Freundin Mary Grenville.« Und im Hintergrunde laute Stimmen, die mit Musikbegleitung sangen. Es war ein fröhliches Lied, das mit mächtiger Heiterkeit geschmettert wurde, aber bei jedem Wort schwang ein wenig Herzeleid mit. Die Stimmen wurden schwächer, so schwach, daß er kaum die Worte verstehen konnte.

Der Zug rumpelte weiter. Auf einmal war der Himmel pechschwarz. Seine Augen blickten auf die Leuchtziffern einer Armbanduhr. Seine Füße standen auf den oberen Sprossen einer schlammigen Leiter. In seiner rechten Hand, schräg nach oben gehalten, war ein. nein, kein Revolver, sondern eine pistolenähnliche Vorrichtung, die er abfeuern mußte. In einiger Entfernung von ihm begann Artilleriefeuer mit ohrenbetäubendem Krach, und der Himmel wurde taghell.

»Nick!« Lydias Stimme drang durch seine Träume und ließ ihn erschreckt auffahren. Der Krach, den er gehört hatte, war ein heftiger Donnerschlag gewesen. Da die Bettvorhänge nicht ganz zugezogen waren, konnte er den von Blitzen grellerleuchteten Himmel sehen. Er saß halb aufrecht. Lydia hatte seinen Kopf an ihre Brust gepreßt und hielt ihn fest umschlungen.

»Lieb Herz«, flüsterte sie mit zittriger Stimme, »du hast so schrecklich geträumt und im Schlaf gesprochen.«

»So?« sagte Fenton, der sich etwas beruhigt hatte. »Was habe ich denn gesagt?«

»Ei, ich bin nicht ganz sicher.« Lydia versuchte zu lachen. »Es war wohl Englisch, aber so seltsam, daß ich nur einen Teil verstehen konnte. Du sprachst offenbar zu einer Gruppe von Männern.«

»Was habe ich gesagt?«

Lydias merkwürdige Aussprache bildete einen seltsamen Kontrast zu ihrer Umgebung, als sie wiederholte:

»Wir müssen an den Maschinengewehren und dem Drahtverhau vorbei. Aber wenn Sie einen Blick auf diese Karte werfen ... Liebster«, setzte Lydia ernst hinzu, »das war aber nicht der wahre Grund, warum ich dich weckte.«

»Nun?«

»Ich glaube, es stehen Männer vor unserem Hause. Manche stoßen laute Schreie aus.«

Lydias Körper war feucht und warm. Fenton küßte sie ein einziges Mal und stand in der nächsten Sekunde auf dem Fußboden. Er tastete nach seinen Sachen. »Zünde ein Licht an!« sagte er schroff.

Er hielt sich nicht mit Unterwäsche auf, sondern fuhr mit den Beinen in ein Paar alte Samthosen. Ritsch! ratsch! machte die Zunderbüchse, und eine fettgetränkte Flamme schoß in die Höhe. Fenton zog stampfend ein Paar hohe, schwere Reitstiefel an, von denen er die üblichen leichten Sporen entfernt und durch schwere mit langen, scharfen Rädchen ersetzt hatte. Dann schnallte er sein Degengehenk um.

Die beiden Ketten hielten eine neue Scheide mit einem Degen, der etwas länger, schwerer und zweischneidig war und einen Ringgriff hatte. Griffbereit lag ein main-gauche oder linkshändiger Dolch - aus alten Zeiten, als seine Vorfahren mit Schwert und Dolch gefochten hatten - , der etwa sechzig Zentimeter lang war und ein schönes, muschelförmiges Stichblatt aus Stahl über der Hand hatte.

Diesen schob er in seinen Gürtel. Außerdem steckte in seiner Hosentasche noch eine andere, runde, sehr schwere, etwa achtzehn Zentimeter lange Waffe: eine Radachse. »Wo bleibt denn dieser Giles nur? Schockschwerenot!« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als ein kurzes Klopfen an der Tür ertönte. Lydia sprang rasch ins Bett und zog das Laken bis zum Kinn.

Giles stand schmuck und adrett im Türrahmen, den gezogenen Degen in der Rechten und ebenfalls einen main-gauche-Dolch im Gürtel.

Überdies trug er einen alten Kavalierhelm, der das Gesicht unbedeckt ließ und dessen stählerne Ohrenklappen auch unter dem Kinn zusammengeschnallt werden konnten. »Es ist alles parat«, meldete Giles. »Wo ist Euer Helm, Sir?«

Fenton brauste auf. »Glaubst du, ich trüge einen Helm im Kampf mit diesem Otterngezücht? Soll ich diese Schurken etwa mit einer militärischen Ausrüstung ehren?«

»Sir, Ihr habt allen anderen befohlen, Helme zu tragen. Im Handgemenge kann leicht eine Keule auf Euer Haupt niedersausen.« Mit der Linken, die er hinter seinem Rücken versteckt hatte, hielt er ihm einen zweiten Helm hin.

»Giles«, sagte Lydia, »gib mir den Helm.«

Giles eilte herbei und reichte ihn ihr. Lydia winkte Fenton zu sich und sagte: »Trag diesen Helm. Denn wenn du stirbst, muß ich auch sterben. Und nicht durch die Hand eines Aufrührers, sondern durch meine eigene.«

In diesem Augenblick traf ein schwerer Stein das Vorderfenster des oberen Korridors. Es zerbrach mit lautem Klirren. »Nieder mit den Papisten!« brüllten ein Dutzend Stimmen wie aus weiter Ferne. »Tod den Papisten!« Ohne zu zögern, stülpte sich Fenton dem Helm auf. Dieser war innen mit einem von Lederriemen festgehaltenen Stoßkissen versehen, und der Nacken durch ein spitz zulaufendes Stahlgeflecht, den sogenannten Hummerschwanz, geschützt. Fenton schnallte den Sturmriemen unter dem Kinn fest und schlüpfte dann, ohne sich ein Hemd anzuziehen, in einen alten, losen Samtrock. »Nun los!»sagte er.

Draußen im Korridor eilte er nach vorn, um die Angreifer durch das zerbrochene Fenster in Augenschein zu nehmen. »Sir, meiner Schätzung nach sind es .«

»Pst! Einen Augenblick, Giles!«

Fenton konnte sie ziemlich gut sehen. Als Beleuchtung hatten sie im Hintergrund eine an einer Stange befestigte Laterne und eine Fackel, die mit gelber Flamme brannte. Sie hatten sich reihenweise vor dem Haus aufgestellt. Auf der anderen Seite der Fall Mall, die verhältnismäßig breit war, standen Häuser auf hohen Böschungen.

In der ersten Reihe, die zwei Meter vor der Lücke in den Lindenbäumen haltgemacht hatte, zählte Fenton acht Degen. Es wimmelte von schweren Keulen und zahllosen Steinen. Voller Freude stellte Fenton fest, daß die meisten dieser Keulen nicht in der vordersten Reihe oder auf der linken Flanke waren. »Hängt den Hexenmeister!«

»Er soll vortreten! Zauberer, Sohn einer Papistenhure, der eine Papistin als Mätresse hat!«

Als sie die beiden Gestalten am Fenster sahen, schwoll das Geschrei von neuem an. Eine Woge des Hasses strömte von ihnen aus. Aber wie die meisten Pöbelhaufen fauchten sie und zögerten dann. Noch kamen sie nicht näher. Fenton hatte sich inzwischen alle wichtigen Einzelheiten gemerkt.

»Nach unten!« befahl er, und als sie die Treppe hinuntereilten, fügte er hinzu: »Wo bleibt der Regen? Ich höre nichts.«

»Sir, noch ist kein Tropfen gefallen! Wenn wir zehn Minuten länger warten, müssen wir in einem Platzregen kämpfen und auf einer Straße, die voller Schlamm ist.« Beginnend mit einer Reihe von knackenden Geräuschen, krachte wie eine Explosion ein Donnerschlag unmittelbar über dem Haus, und alle Fenster leuchteten in geisterhafter Helligkeit. Unten brannte kein Licht außer einer glimmenden Kerze im Studierzimmer. Als Fenton die Tür öffnete, drehten sich vier Helme langsam herum, und die Augen, die darunter hervorblickten, schienen verändert und bösartig.