»Wo ist euer Führer?« fragte er. Dann brüllte er sie an: »Zurück!« Die Stärke, die eine kraftvolle Persönlichkeit ausstrahlt, das kühne Vorgehen eines zielbewußten Menschen treiben selbst eine überhitzte Menge ein wenig zurück. Die lose Reihe, die immer noch zwei Meter von den Linden entfernt stand, trat instinktiv zwei Schritt zurück.
Fenton, der spürte, daß die drei Keulenschwinger jetzt zu seiner Linken und die beiden Degenfechter zu seiner Rechten waren, freute sich, daß sie mehr Platz hatten.
»Wo ist euer Führer, frag' ich?« rief er mit Donnerstimme. Dann hob er sein Schwert hoch in die Luft, und es glitzerte im Schein einer schwankenden Laterne und einer unsteten Fackel. Aller Blicke hefteten sich eine Sekunde lang auf die glitzernde Klinge. Er vermochte kaum die geduckten, schattenhaften Gestalten zu sehen, die rechts und links hinter der Baumreihe hervorschlichen.
»Ich bin der Führer, Sir«, sagte einer der acht Degenkämpfer, die auf der linken Seite zu dicht zusammengedrängt standen, mit rauher Stimme.
Aus der Reihe heraus trat ein dickbäuchiger Mann, der jedoch ein sehr hageres, würdevolles Gesicht hatte, ein idealer Anhänger der Landpartei in feinen Kleidern und mit einem grünen Band am Hut.
»Ich bin Samuel Warrender, Esquire«, verkündete er. »Seid Ihr ein Papist oder nicht?«
»Nein! Aber Euer Benehmen heute abend reizt mich dazu, einer zu werden!«
»Habt Ihr die Gabe, die Zukunft vorauszusagen?«
»Ja!« brüllte Fenton mit der ganzen Kraft seiner Lungen. Er spürte, wie eine eisige, abergläubische Furcht sich aller Herzen bemächtigte. Jetzt, jetzt war der Augenblick da, um zuzuschlagen. »Dann wollt Ihr also Streit?« schrie Fenton und hob abermals das Schwert. »Los!«
Wie riesenhafte Schatten in dem flackernden Licht erhoben drei Gestalten auf der rechten Flanke der Menge ihre mächtigen Mordwaffen. Zwei Schlaghölzer - jedes fast zwei Meter lang - sausten durch die Luft, während die zwei Keulen in der Hand eines Mannes ihren Totentanz begannen.
Die erste Reihe merkte kaum, was auf sie zukam. Alle konzentrierten sich auf Fenton. Aber in der zweiten Reihe löste der Anblick dieser Männer einen unmenschlichen Schrei des Entsetzens aus. Unermüdlich wurden die Schlegel und Keulen geschwungen.
»Zurück!« gellte ein langbeiniger Mann mit einer Manchesterkappe, der vergeblich versucht hatte, eine steile Böschung auf der anderen Seite der Straße zu erklimmen. »Geht zurück! Geht zurück!«
»Zurück nach Charing Cross!« hallte ein Schrei. Die Toten und Schwerverwundeten fielen nach allen Richtungen, und wenn sie zu Boden sanken, wirbelten Wolken von rötlichbraunem Staub auf. Obgleich der Staub die Gesichter bedeckte, so boten sie doch einen entsetzlichen Anblick. Ein Mann mit Perücke und Goldknöpfen am Rock schoß vorwärts, heftig an seiner goldenen Uhrkette zerrend. Er machte noch ein paar kurze Schritte, bis er tot zu Boden sank, während ihm die Blutgerinnsel wie Schlangen über das Gesicht krochen.
Mittlerweile wußten die auf dem linken Flügel kaum, was ihnen geschah, bis man sie durch Rufe darauf aufmerksam machte. Fenton, kaltblütig und gelassen wie immer, stand da, als ob er eine Uhr in der Hand hielte.
»Gut!« sagte er, als der richtige Augenblick für ihn gekommen war, und dann rannte er an der krummen Linie vorbei. Giles und Jung-Harry folgten ihm.
Die rechte Flanke des Mobs war inzwischen zurückgedrängt worden, und der Flügel der Degenfechter hatte sich automatisch mitgedreht, so daß die Reihen ihnen nun quer auf der Straße gegenüberstanden. Damit hatte sich die Position für Fenton weit günstiger gestaltet. Seine Leute hatten viel kürzere, zusammengedrängte Reihen vor sich. Die Übermacht für sechs Leute war jedoch immer noch zu groß.
»Degen!« rief Fenton. Und drei behelmte Angreifer stürzten sich wie ein Mann auf den Feind.
So grimmig war der Sprung und so waghalsig entschlossen die Angreifer, daß die Linie in zehn Sekunden um zwanzig Schritte zurücktaumelte. Die Laterne schwang heftig hin und her. Das grelle Licht der Blitze spielte über die harten, harschen Züge der Kämpfenden.
Acht Schwertfechter rangen gegen drei, und alle acht lagen in etwas mehr als einer Minute am Boden, entweder tot oder sich vor Schmerzen krümmend. Keiner von ihnen hatte wirklich Erfahrung außer einem, der Fenton in sechs Gängen fast dreißig Sekunden Widerstand leistete - bis Fenton seine Finte mit einem A-tempo-Stoß brach und ihm den Hals durchstach. Unglücklicherweise wurde der erste Angriff auf Fenton von Samuel Warrender, Esquire, gemacht. Mr. Warrender zielte in einem vollen Ausfall nach Fentons Bauch. Fenton hörte das Zischen der Klingen, als er parierte, und im nächsten Augenblick stach er den Grünbandträger durchs Herz. Mr. Warrender fiel vornüber zu Boden und wand sich wie ein zertretener Wurm. Nun sprangen die drei Degenfechter über die Gefallenen - mit ihren Sporen nach den Händen hackend, die sie zu Boden reißen wollten -, und griffen den Pöbel selbst an, der entweder zurückwich oder mörderisch mit schweren Keulen focht. Giles, kaltblütig und methodisch, stieß niemals zu mit Degen oder Dolch, ohne sein Ziel zu treffen. Harry, bleich, aber verbissen, stürzte sich tapfer mit seinem zweischneidigen Schwert in das Gemenge; immer wieder sahen sie seine blitzende Klinge.
Aber jetzt war der Angriff fast zum Stehen gekommen; die Menge nahm eine andere Haltung an.
Nachdem sie zu Anfang den Kopf verloren hatten, planten sie jetzt einen Gegenangriff. Selbst ihr Geschrei war verstummt. Fenton, der sich ein wenig zurückzog, sah, daß Schwerter, Dolche und Keulen von Hand zu Hand nach vorn gereicht wurden.
Sie hatten entdeckt, daß der schwerste Keulenschlag auf einen Helm nichts weiter anrichtet, als daß er den Träger etwas schwindelig macht. Wenn sie aber nach der stählernen Ohrenklappe zielten, könnten sie den Kiefer zersplittern. Dann könnten einige mit Dolchen durchbrechen, um die Keulenschwinger von hinten zu erstechen .
Fenton sah mit Entsetzen, daß Big Tom am Boden lag. Zu seiner Rechten vernahm er ein scharfes Knacken, als Harrys Schwert entzweibrach.
Kaum hatte er es wahrgenommen, als ein zerlumpter Kerl mit schwarzem Haarschopf sich durch die Linie schlängelte, um mit einem Dolch auf Job loszugehen. Fenton machte einen Seitensprung nach links und schlug dem Angreifer mit einem kurzen Schwerthieb die Hand ab. Der Mann starrte ungläubig auf das abgetrennte Glied.
Fenton raste durch den Staubnebel wieder an seinen Platz und sah jetzt, daß Harry auch am Boden lag.
Fenton stürzte sich, im höchsten Grade gereizt, geradewegs auf den Mob. Eine Zeitlang sah es so aus, als ob Sir Nick ihn beim Wickel habe. Sein Dolch mit dem geschwungenen Stichblatt, der für gerade linkshändige Stiche gedacht war, stach überall nach dem Unterleib. Die rasiermesserscharfe Degenklinge in seiner Rechten schlug in einem fort zu. Die Gegner konnten seinen Arm nicht greifen; er war zu gewandt. Und viele Hände, die nach seinem Handgelenk tasteten, begegneten scharfem Stahl, der ihnen einen stechenden, lähmenden Schmerz den Arm hinaufjagte. So grimmig war sein draufgängerischer Angriff, daß ein ganzer Teil der Linie zurücktaumelte und sich mit Ellbogenkraft Raum verschaffte. Ein schwerer Keulenschlag gegen seine rechte Ohrenklappe betäubte ihn nicht einmal. Ein auf seine linke Seite gezielter Dolchstich zerfetzte nur den losen Samtrock und ritzte die Haut ein wenig.
Plötzlich stand er in einem offenen Halbkreis, ohne jemanden im Rücken zu haben. Er konnte kaum Atem schöpfen, konnte die anderen kaum sehen. Doch sein Gehirn arbeitete.
Ringsumher herrschte fast Schweigen. Man hörte nur dumpfe Schläge, Ächzen und Fauchen. Alles war durchdrungen von dem scharfen, penetranten Schweißgeruch, der beim Nahkampf widerlicher ist als Blutgeruch.
Aus der Ferne, von den königlichen Ställen her, hörte Fenton Trommelschlag, der die Soldaten zu den Waffen rief. Er wünschte den Beistand des Militärs nicht. Der Schlachtplan, den er so sorgfältig entworfen hatte, durfte nicht versagen. »Wenn ich nur eine Minute Zeit zum Nachdenken hätte!« Dieses Stoßgebet schickte er gen Himmel. »Dreißig Sekunden! Fünfzehn nur .!«