Um diese Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, versuchte er es mit einem Trick. Er hob den Kopf und blickte über seine rechte Schulter.
»Laßt die Doggen los!« brüllte er mit Stentorstimme. »Donner! Löwe! Vielfraß! Nacktarsch!«
Die Gruppe vor ihm überfiel ein Zittern, aber sie wich nicht zurück. Erkennen konnte er nur einen dicken Mann in dem gefleckten Kittel eines Schlächters, der eine Keule trug. »Tötet den Teufel in Samt!« fauchte der Schlächter. »Tötet.« Dann hielt er inne, als habe er die Sprache verloren. Alle anderen waren genauso betroffen. Denn sie hörten plötzlich ein heiseres Gebell und das Splittern von Glas. Alle sahen, wie drei große Doggen zwischen den Linden hervorsprangen. Vielfraß war tot und konnte dem Ruf keine Folge mehr leisten. Aber Donner, Löwe und Nacktarsch, diese kämpfenden Wachhunde - vergiftet, halb blind und krank - ließen ihren Herrn nicht im Stich. Sie rochen das vergossene Blut und wußten, daß dies keine wilde Spielerei in einem Lustgarten war. Mit fletschenden Zähnen stürzten sich diese Tiere auf die Feinde und sprangen ihnen hoch an die Kehle.
Fenton gab ein letztes Kommando. »Vorwärts!« Und dann: »Mit Gott für König Charles!« Über den Köpfen der Menge erhoben sich plötzlich der Helm, der Schnurrbart und die machtvollen Schultern von Big Tom, der wie ein Titan nach rechts und links Hiebe mit Keule und Radachse austeilte. Whip und Job, erschöpft und schwankend, spürten die heiße Energie, die von ihm ausging. Sie verlieh ihnen neue Kraft. Fenton und Giles stürzten sich mit glitzerndem Dolch und Schwert ebenfalls auf den Pöbel. Beide hatte alle Vorsicht und Kaltblütigkeit verlassen.
Und dann löste sich die Menge auf.
Im ersten Augenblick merkte es Fenton noch nicht. Eine kleine Gestalt sprang aus der letzten Reihe und rannte wie besessen durch die Straße der Heu- und Kornhändler, die allgemein Haymarket genannt wurde. Zwei oder drei andere folgten, dann ein halbes Dutzend, ein Dutzend .
Genau dreißig Sekunden nach der zweiten stürmischen Attacke auf den Mob war kein einziger Feind übriggeblieben. Die Straße lag verlassen da und wirkte mit all den Toten und Verletzten unheimlich. Einige der Verwundeten stöhnten oder versuchten davonzukriechen.
Und dann, gerade als Fenton zum Schluß seine Instruktionen erteilte, öffneten sich die Himmel mit einem letzten explosionsartigen Donnerschlag, und der Regen prasselte hernieder.
XV
Daß am Vorabend des gefürchteten 10. Juni eine kleine, fröhliche, improvisierte Abendgesellschaft in seinem Hause stattfand, entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dachte Fenton. Um die Mittagszeit, als er den 9. Juni eintrug, trat er an eines der offenen Fenster des Studierzimmers und rauchte seine lange Pfeife, bis er sich an dem Tonkopf die Finger verbrannte. Als er an den Kampf in der Nacht des 7. Juni und die im Regen heranpreschende Rotte der Dragoner dachte, mußte er lächeln. »Meiner Treu!« sagte er vor sich hin, obgleich ihm alle Knochen im Leibe weh taten. »Was für eine Nacht!«
Es stand jetzt fest, daß Donner, Löwe und Nacktarsch durchkommen würden. Mr. Milligrew hatte ihn zwar in einer Sprache verwünscht, die einem Adligen gegenüber nicht angebracht war, aber er hielt es für möglich, daß die heftige körperliche Anstrengung dazu beigetragen hatte, das Gift aus den Körpern zu entfernen. Nach dem Kampf war Fenton in die Küche geeilt, um für seine kleine, verwundete Armee zu sorgen.
Big Tom hatte den bewußtlosen Harry auf seiner Schulter zurückgetragen. Harry hatte außer einem Arm-und Beinbruch noch andere Verletzungen erlitten. Daß er selbst ein angeknacktes Bein und einen Degenstoß durch den Schenkel hatte, erwähnte Big Tom nicht.
Obgleich alle zugaben, daß sie Verletzungen erlitten hatten, wollte keiner einen Knochenbruch eingestehen. Aber Job hatte ein gebrochenes Schlüsselbein und Whip mehrere geknackte Rippen. Auf Fentons Befragen erklärten sie einstimmig, daß kein vermaledeiter Wundarzt an ihren Gliedern herumzerren solle. Dann hatte Whip einen Geistesblitz. Wenn der Herr so besorgt sei, dann solle Mr. Milligrew seines Amtes walten. Zu ihm hätten sie Vertrauen. Potz Blitz! Wenn der Pferdedoktor schon so viel vom Knocheneinrichten bei Hunden und Pferden verstehe, würde er da nicht viel mehr über den Menschen wissen?
Der rosige Mr. Milligrew, sofort herbeigeholt, stimmte dieser Ansicht freudig zu.
»Dann macht Eure Sache gut, Mr. Milligrew!« sagte Fenton. »Flickt sie wieder zusammen, und ich versichere Euch, ich werde mich erkenntlich zeigen.« Langsam und voller Dankbarkeit blickte er alle der Reihe nach an. »Kann ich euch nicht irgendeinen Wunsch erfüllen? Sprecht frei heraus!«
Big Tom, der es sich an der Wand bequem gemacht hatte, um die Schmerzen in seinem Bein zu lindern, hielt jetzt eine Bittrede. Fenton blickte auf Nan Curtis, die Toms Dialekt verstand. »Sir.« stammelte Nan, den Tränen nahe. »Sprich, sprich!« drängte Fenton. »Was hat er gesagt?«
»S-sir, er fragt an, ob sich nicht alle in dieser Nacht betrinken dürften wie nie zuvor. Er bittet darum, daß jedem ein Literkrug mit starkem Bier oder Wein ans Bett gestellt wird und ich diesen nachfüllen soll, sobald sie rufen.«
»Beim Barte des Bacchus, ja!« stimmte Fenton zu. »Giles hat den Schlüssel zum Keller. Sag ihm, ich hab's befohlen.«
Big Tom, Whip und Job brachen in lautes Beifallsgeheul aus. Obgleich Whip und Tom kaum auf den Beinen stehen konnten, stampften sie mit den Füßen auf den Boden und schlugen mit Holzlöffeln auf alles, was in erreichbarer Nähe stand. Fenton war ganz bestürzt. Er wußte nicht, was er sagen sollte. »Ei, laßt es gut sein. Ich ... hm ... ich danke euch ...« Und in ein paar Sätzen sprang er die Treppe hinauf. Als er die nächste Treppe zu den Schlafräumen emporstieg, fühlte er sich schuldbewußt und versuchte, in seinen Sporenstiefeln lautlos zu gehen. Seit langem hatte er gespürt, wie Blut auf seine Schulter träufelte; es kam von seinem Ohr, das durch einen Keulenschlag auf die Ohrenklappe verletzt worden war. Sein Körper war steif und schmerzte von den vielen Wunden, die man ihm geschlagen hatte, aber seine Knochen waren noch heil. Als er so die Treppe hinaufschlich, nahm er an, daß Lydia ein Aufheben machen würde. Aber sie wartete, voll angezogen, auf ihn. Sie umarmte ihn, obwohl er sie warnte, er sei verwundet, und erklärte, sie habe den Ausgang des Kampfes vorausgesehen.
»Lieb Herz, ich habe vom Fenster aus zugesehen. Und als ich beobachtete, wie du über hundert erschlugst. «
»Liebe Lydia! Es waren im ganzen nur.«
Aber sie ließ ihn nicht ausreden. Sie und Bet rannten mit aufgesteckten Röcken und Ärmeln die Treppen auf und ab, um eimerweise kaltes und heißes Wasser für ein Bad herbeizuschleppen. Als er sich gründlich gesäubert hatte und in Lydias Bett lag, in seidene Verbände gewickelt, fühlte er sich, von heftigen Kopfschmerzen abgesehen, fast wieder wohl.
Er hörte, wie der Regen immer noch auf das Dach prasselte, gegen die Fenster klatschte und in den Schornsteinen zischte. Lydia kuschelte sich neben ihn und vermochte endlich ihre Neugierde zu befriedigen.
»Und als der große Wolkenguß begann«, sagte sie, »kam ein Trupp Dragoner herbeigeritten, die breite Federhüte an Stelle von Helmen trugen. Der Führer hatte eine Fackel in der Hand und wechselte einige Worte mit dir.«
Fenton lachte. »Es war das Erste Königliche Dragonerregiment in der neuen Armee des Königs. Der Anführer dieser Truppe, ein ausgezeichneter Kerl namens Captain O'Callaghan, haßt die Grünbebänderten ebenso wie ich. Er sagte, wenn ich es wünschte, könnte ich jeden der Verwundeten an den Galgen bringen. Doch mahnte er zur Vorsicht.«
»Und warum?« murmelte Lydia.
»Nun! Seine Majestät und der Herzog von York schätzen diese öffentlichen Raufereien nicht.«