Danby schien das schwere Gewicht, das auf seinen Schultern lastete, abzuwerfen.
»Na«, meinte er, »ich möchte wohl annehmen, mein Junge, daß sie meine Gesundheit nicht gefährden werden.«
Das improvisierte Abendessen war sehr heiter. Lydia zauberte rasch ein Menü für die unerwarteten Gäste hervor und verließ sich dabei hauptsächlich auf heiße und kalte Kapaunen, in größerer Zahl, als selbst George verschlingen konnte, gebackene Kartoffeln und einen riesigen Laib Käse.
Sie plante dies alles so rasch, daß Fenton staunte. Und er staunte noch mehr über die Geschwindigkeit, mit der sie sich umkleidete. Sie rauschte in blauer Seide mit orangefarbenen Verzierungen und funkelnden Diamanten ins Zimmer, eine Kombination, die die Farbe ihrer Haut, ihrer Augen und ihres Haares noch mehr hervorhob. Mylord Danby machte eine so höfliche Verbeugung vor ihr und küßte ihr die Hand mit einem so geistreichen Kompliment, daß Fenton fast eifersüchtig wurde.
Fenton saß an der Spitze der Tafel, Danby zu seiner Linken und Lydia zu seiner Rechten. Mr. Reeve, der sich anfangs in der Gegenwart des Lord Schatzkanzlers so würdevoll wie ein Erzbischof benahm, saß Lydia zu Rechten. George, der ihm gegenüber neben Danby Platz genommen hatte, war etwas nervös und ließ die Sauce spritzen, als er sein Essen hinunterschlang. Der Wein übte auf alle eine gute Wirkung aus.
Am Tische eines Freundes wurden natürlich keine Hüte getragen, und die Lockenrollen der großen Perücken glänzten im Schein der vielen Wachskerzen, die auf der Tafel standen. Ein Diener stand hinter jedem Stuhl, und Giles, kerzengerade hinter Fenton, dirigierte die anderen mit strengen Blicken.
Jedesmal, wenn George oder Mr. Reeve versuchte, Fragen über kürzliche Ereignisse zu stellen, lenkte Fenton sie geschickt mit einer saftigen Anekdote ab, die schallendes Gelächter auslöste. Aber in der Hauptsache drehte sich das Gespräch um Georges neue Liebesaffäre.
»George!« flehte Lydia, während sie ihren silbernen Weinbecher zum sechstenmal füllen ließ. »Erzählt uns doch etwas von ihr! Sonst werde ich vor Neugierde nicht schlafen können!« George, der nun vollauf gesättigt war, machte eine königliche Geste.
»Dann verratet uns unverzüglich«, sagte Mr. Reeve, der wieder die Miene eines Richters aufgesetzt hatte, »ihren Namen. Ja, laßt uns ihren Namen hören.«
»Ihr Name«, erwiderte George mit Stolz und Vergnügen, »ist Fanny.«
»Na, na«, sagte der Richter und klopfte verschlagen mit dem Finger auf den Tisch. »Keine Ausflüchte, bitte! Wie lautet ihr voller Name? Oder hat sie ihn Euch vorenthalten?«
»Warum, in Dreiteufels Namen, sollte sie das tun? Sie ist Mistreß Fanny Brisket.«
»Und darf ich fragen, Lord George«, erkundigte sich Danby höflich, aber mit weintrunkenen Blicken, »wie Ihr die Bekanntschaft dieser jungen Dame gemacht habt?«
Georges puterrotes, glänzendes Gesicht konnte nicht tiefer erröten, als er mit einem verlegenen Hüsteln erwiderte: »Nun, was das anbelangt, so will ich offen bekennen: es war in einem Bordell.«
Ein gewaltiges Beifallsgemurmel erhob sich, während gleichzeitig mit Messergriffen auf den Tisch getrommelt wurde. George, der sich zuerst verhöhnt glaubte, wurde von Lydia besänftigt. »Nein, wirklich?« fragte sie begierig. Sie hatte die Ellbogen auf den Tisch gestemmt, und ihr Kinn ruhte auf den verschränkten Händen. »George! Lieber George! Erzählt uns doch von diesem Haus und wie es eingerichtet war. Bitte, George!«
»Ah!« sagte George. »Dies ist wahrhaftig von Bedeutung. Es handelt sich nämlich nicht um eines der Häuser in Whetstone Park.« Whetstone Park war kein Park, sondern eine Straße, die, wie das Gerücht ging, die Hälfte aller Huren in London beherbergte. »Nein, fuhr George fort, »dies war und ist ein wahrer Venustempel, eigens geschaffen, um den Bedürfnissen eines Mannes von Rang zu dienen.« Plötzlich hielt er inne. »Donnerwetter, Nick, ich entsinne mich, daß ich an jenem Tage mit dir davon gesprochen habe.«
Fenton hatte gerade einen Schluck aus Lydias Weinbecher getrunken. Seit kurzem hatte er sich daran gewöhnt, ziemlich viel Claret beim Abendessen zu trinken und hatte auch immer eine Karaffe in seinem eigenen Zimmer stehen. Aber als Gastgeber trank er heute abend sehr wenig, um einen kühlen Kopf zu bewahren. »An welchem Tage?« fragte er.
»Lieber Himmel! An dem berühmten Tag, als du und ich den Apotheker in der Totenmannsgasse aufsuchten und du die beiden Raufbolde aufspießtest! Nein, halt! Ich hatte gerade davon angefangen, als du in deiner Zerstreutheit beinahe in den Kloakenkanal gefallen wärst.«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Weiter, weiter«, drängte Mr. Reeve in seiner würdevollsten Art. »Wie steht's mit diesem Bordell.?«
»Nun!« sagte George und blickte die Tafelrunde mit etwas verglasten Augen an. »Eines Tages speiste ich zufällig im >Regenbogen<, und nach dem Essen überlegte ich mir nach Männerart, ob nicht irgendwo ein Tempel existiere, wie ich ihn mir nur in meinen kühnsten Träumen vorstellte. So ganz von ungefähr richtete ich also diese Frage an einen Freund, der mit mir speiste. >Du meine Güte<, sagte er, >bist du ein solcher Dummkopf, daß du so ein Haus nicht kennst? Dabei ist es nicht zwei Minuten von hier entfernte Meine Antwort könnt Ihr Euch vorstellen. >Wenn du mein Wort anzweifelstA sagte er, >will ich dir das Haus nennen und dich genau instruieren, was du sagen mußt.< Von Neugierde getrieben, sagte ich: >Topp! Gelobt sei Venus!< Ich ging gleich zu dem Haus und näherte mich dem Portier. >Guter Mann<, sagte ich sehr höflich, >ist hier wohl eine Wohnung zu vermieten?< In der Tat, man hatte mich nicht betrogen. >Ja, Sir<, sagte der Portier, >Ihr könnt sie Euch ansehen, wenn Ihr Euch die Mühe machen wollt, hineinzugehen.« George ließ eine Pause eintreten.
Als er merkte, daß er seine Zuhörerschaft gefesselt hatte, erfrischte er sich mit einem tüchtigen Schluck Kanarien-sekt aus seinem Silberbecher. Er strahlte alle leutselig an.
»Kaum war ich eingetreten, als mir eine würdige Matrone entgegenkam. Diese führte mich in ihren Salon, der elegant ausgestattet war, um mich dort näher in Augenschein zu nehmen: mit anderen Worten, um festzustellen, wie gut meine Börse gespickt war.« George streckte eine beringte Hand aus, die in allen Regenbogenfarben glitzerte. Er selbst trug einen Anzug in Orange und Silber.
»Die Matrone war sehr mit mir zufrieden. Und ich hege keinen Zweifel, Mylord«, setzte George hinzu, indem er Danby ein ernsthaftes, knallrotes Gesicht zuwandte, »daß sie mit Ew. Lordschaft ebenso zufrieden gewesen wäre.«
»Ich fühle mich sehr geehrt, Lord George.«
»Potz Geck, Mylord, warum besucht Ihr dieses Haus nicht selbst? Ich werde Euch hinführen!«
»Wiederum sehr geehrt«, erwiderte der Lord Schatzkanzler, der fast so betrunken war wie George und die Sache mit dem größten Ernst behandelte. »Aber wenn es Euch nicht zu sehr inkommodiert, noch eine Frage. Seid Ihr bei dieser Gelegenheit Eurer göttlichen Fanny begegnet?«
»Nein, nein, nein!« rief George. »Fanny, diese himmlische Kreatur, habe ich vor kaum einer Woche kennengelernt. Und als ich sie sah, war ich von ihrer Schönheit, ihrer Göttlichkeit so überwältigt, daß ich -verdammt noch mal! - ohnmächtig zu ihren Füßen niedersank!«
»Lord George«, murmelte Danby, »fahrt bitte mit der Schilderung Eures ersten Besuches fort.«
»Nachdem ich die würdevolle Matrone zufriedengestellt hatte«, fuhr George fort, »stieg sie mit mir eine Treppe empor und führte mich in einen sehr großen, schönen Speiseraum. Dieser war mit üppigen Wandteppichen behangen und mit Bildern geschmückt, die, wie ich annahm, die schönsten Frauen aller Zeiten darstellten.
Ein Diener brachte uns sofort eine Flasche Sekt, woraufhin die alte Dame mir als Willkommensgruß zutrank. Na, dachte ich, sie ist ja die Höflichkeit selber; aber wie geht das nun weiter? Kaum war mir dieser Gedanke gekommen, als die Dame auch schon sprach. >Sir<, sagte sie, >da Ihr ein Gentleman seid, habt Ihr gewiß einige Kenntnis von der edlen Kunst des Zeichnens und Malens; denn sie wird von der vornehmen Welt eifrig gepflegt. Ich möchte daher gern Euer Urteil hören, Sir, und frage Euch: welches von diesen Bildern haltet Ihr für das beste?<« Hier erhob sich George, von der Rednerlust besessen, taumelnd von seinem Platz und umklammerte seinen gefüllten Weinbecher. »>Madam<, sagte ich, >ich will Euch offen und ehrlich mein Urteil verkünden. Meiner Ansicht nach ist es dieses Bild. Die dargestellte Person hat einen vollen Busen; ihre geschwungenen Augenbrauen sind schwarz und glatt; ihre Augen sind von der gleichen Farbe, doch mit grauen Tönungen .<«