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»George«, unterbrach Lydia mit sanfter Stimme, »trifft diese Beschreibung nicht auf Meg York zu?«

»Der Teufel hole Meg York!« rief George. »Ich habe erfahren, daß sie den französischen Hauptmann verlassen hat. Aber wohin sie gegangen ist, weiß ich nicht.«

»Nein, George, aber ich meinte nur .«

»Sobald ich dieses Urteil über das Bild gefällt hatte«, brüllte George, der den Faden der Erzählung wieder an sich riß, »verschwand die würdevolle Matrone hinter einer mit einem Vorhang verhängten Tür. An ihrer Stelle erschien mit einem Rauschen von seidenen Röcken die auf dem Bilde dargestellte Frau - in züchtigem Aufzug, eine Dame von Stand. So wahr ich hier stehe. Während wir zusammen den Sekt tranken, machte mich die Dame mit dem vollen Busen mit den Sitten und Gebräuchen des Hauses bekannt. Wenn man nicht die ganze Nacht bleibt, hat man Anspruch auf vier Flaschen Wein, einen kleinen Imbiß und eine Mätresse - alles zum Preise von nur vierzig Schilling. »Wenn man jedoch die ganze Nacht zu bleiben wünscht«, fuhr George triumphierend fort, »dann herrscht dieser Brauch: Man legt zehn goldene Guineen unter das Kopfkissen. Jedesmal, wenn man seine Mannespflichten der Mätresse gegenüber gut erfüllt hat, ist man berechtigt, eine Guinee wieder an sich zu nehmen. Potz Geck! Ist das nicht ein ausgezeichnetes Spiel?« Danby räusperte sich. »Wenn die Frage nicht zu intim sein sollte, Lord George, wie viele von Euren zehn Guineen lagen am Morgen noch unter dem Kopfkissen?«

»Mylord«, protestierte George, der vorwurfsvoll ein Auge zukniff und leise hin und her schwankte. »Das ist eine Frage, die kein Mann von Rang in diesem Bordell an einen anderen richten darf. Doch kann ich Euch versichern, daß ich meiner Ehre Genüge getan habe«, verkündete er stolz. »Und mit Fanny erst! Potz Geck und kein Ende!« Er strahlte übers ganze Gesicht und wandte sich an Mr. Reeve. »Was sagt Ihr denn dazu, guter Freund?« Mr. Reeve nickte nachdenklich vor sich hin. Er hatte seine Zither mitgebracht. Ihre Saiten glänzten auf dem polierten Holz. »Ei, ich bin ein zu alter Draufgänger, um meine Mitmenschen nicht zu kennen. Aber es war nicht so am Hofe Charles' des Ersten.«

»Na, na, alter Tugendbolzen! Na, na, Graf von Schatten und Nebeln!«

»Wir lüsteten nicht nach Frauen im Bordell«, erwiderte Mr. Reeve. »Wir suchten uns Frauen zum Heiraten.« Seine alten, aber noch sehr behenden Finger glitten über die Saiten. Leise begann er, eine klare Melodie zu spielen. Obgleich er nicht dazu sang, saß niemand am Tisch, der sich nicht an die Worte erinnerte, die aus der Zeit vor Charles dem Ersten stammten.

»Nur mit dem Auge trink mir zu, schnell gibt Bescheid dir meines ...«

Instinktiv blickten sich Lydia und Fenton in die Augen. Sie streckte ihre Hände aus, und er umklammerte sie mit festem Griff. Ihr Gesicht war ein wenig gerötet, und aus ihren Augen sprach eine solche Liebe, daß es ihm Angst machte.

»Oh, Gott«, dachte er, »wenn ich sie verlöre!« Und die Stunden, die Minuten vergingen; die Uhr tickte weiter -unaufhaltsam dem gefürchteten Zeitpunkt entgegen. Niemals hatte er Lydia so sehr geliebt wie gerade in diesem Augenblick. Die Musik hatte aufgehört, aber diese beiden bemerkten es nicht.

Sie saßen da, im gegenseitigen Anblick versunken, und hörten nichts von dem, was um sie herum vorging. »Mit Verlaub, Sir!« bemerkte Danby und richtete seine verschwommenen Augen auf Mr. Reeve. »Abgesehen von diesen - hm - Bordellen, sind die Zeiten, in denen wir leben, harsch und hitzig. Möchtet Ihr, daß wir unsere Vorfahren in allen Dingen nachäffen und sie stolz besingen?« Mr. Reeves tränende Augen blitzten.

Er schob heftig seinen Stuhl zurück und stand auf. Seine gichtgeschwollenen Beine zitterten. Er blickte Danby fest in die Augen. »Nein, Mylord!« erwiderte er mit rollender Stimme. »Aber ich würde das >Grüne Band< zerreißen, ehe es zu stark wird. Auch würde ich den Abend des 7. Juni besingen, als über sechzig Aufrührer dieses Haus angriffen und sechs Männer - nur sechs, Mylord - die schreiende Bande in die Flucht schlugen. Einunddreißig Tote und Verwundete blieben auf dem Plan. Aber keinen Schritt hat man unternommen, um die Aufrührer zu bestrafen.« Wieder glitten Mr. Reeves Finger über die Saiten. Die Zither tanzte förmlich unter der lebhaften Melodie, und Mr. Reeve sang mit starker, wenn auch asthmatischer Stimme die Worte dazu:

»Bürger! Hört ihr das Freudengeheul? Durch die Stadt tönt der heitere Schalclass="underline" Drei Männer mit Degen und drei mit der Keul' brachten den Tyrannen zu Fall!«

Es war wohl unvermeidlich. Zwei Diener, die sich einfach nicht mehr beherrschen konnten, brachen in laute Beifallsrufe aus. Mylord Danby war plötzlich ganz nüchtern, als hätte er einen Schock bekommen. George applaudierte heftig. Im selben Augenblick öffnete sich die Tür zur Halle. Lydia und Fenton, immer noch mit sich beschäftigt, hätten sich auch jetzt nicht umgedreht, wenn nicht Giles, der seit einiger Zeit auf geheimnisvolle Weise verschwunden war, im Türrahmen gestanden hätte. Sein langer Schatten fiel zwischen sie.

Lydia schreckte zurück, als sei sie plötzlich von einer namenlosen Furcht ergriffen. Giles ging rasch um den Tisch herum, um Fenton einige Worte ins Ohr zu flüstern, die von allen gehört wurden. »Sir Robert Southwell, der Sekretär des Hofrats, ist soeben in einer Kutsche vorgefahren .«

Der Rest war den anderen unverständlich. Giles verschwand wieder, und Fenton erhob sich.

»Ich glaube, Ihr wißt wohl alle«, sagte er und tastete nach Lydias Hand, »daß ich diesen Kreis unter keinen Umständen verlassen würde, wenn nicht kein dringender Grund vorläge. Man hat mir versprochen, daß ich in einer Stunde zurückkehren darf. Ich habe nicht einmal Zeit, mich umzuziehen. Seid inzwischen weiterhin recht vergnügt. Ich bitte Euch darum.«

Mit der Linken zog er eine große, dicke Uhr aus der Westentasche und öffnete sie. Die Zeiger standen auf fünf Minuten vor sieben. Draußen war es noch taghell.

»Ich bin nach dem Whitehall-Palast befohlen«, fügte er hinzu, »zu einer Privataudienz beim König.«

XVI

»Phyllis, ach, laß uns vergolden solange es uns erlaubt, die Liebesstunden, die holden, die wir grauem Alltag geraubt.«

Die Stimme, klar und geschlechtslos, war die eines französischen Knaben; einer von mehreren, die auf Bitten der Herzogin von Portsmouth, einer Französin, an den englischen Hof geholt waren. Die Herzogin - fett wie ein Türke und mit einem Kopf, der einem goldenen Sofakissen glich - hatte eine ganze Nacht lang geweint, und der König hatte schließlich fluchend nachgegeben. Die von einer Viola begleitete Stimme ertönte von einer mit Blumen umgebenen Plattform an der Westseite der großen Festhalle. Diese hohe Halle mit ihren braunen, goldverzierten Wandpfeilern besaß eine enorme Decke, die von Rubens mit Göttinnen und Liebesgöttern bemalt war.