Und Fenton trat ihm direkt in den Weg.
»Mr. Montagu«, sagte er mit so leiser Stimme, daß kein Zuschauer es gehört haben konnte, »zweifelt Ihr an der Korrektheit des Spiels?«
Das von der flachsenen Perücke umrahmte Gesicht des Mannes zeigte auf einmal einen anderen Ausdruck. »Wer zum Teufel seid Ihr denn?« fragte er laut. »Mein Name ist Fenton, Sir Nick Fenton. Nochmals: zweifelt Ihr an der Korrektheit des Spiels?« Es war, als sei die Gruppe am Kamin zu Eis erstarrt.
»Ich zweifle nicht daran, Sir«, erwiderte Montagu lächelnd in leichtfertigem Ton.
Doch er wich langsam bis zum Tisch zurück, die Hand unter der Kante. In der tiefen Stille fiel ein Goldstück klirrend zu Boden.
»Sir Nick, um Gottes willen!« zischte eine Stimme dicht an seiner Perücke, und eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter. Laut und in etwas brüskem Ton sagte Chiffinch dann: »Ich bitte Euch um Verzeihung, Madam Gwynn, meine Damen und Herren, daß wir uns so rasch verabschieden müssen. Aber Sir Nick rufen dringende Geschäfte.«
Woraufhin der hakennasige Herkules ihn zurückführte. Obwohl Chiffinch weiterhin eine ehrerbietige Haltung zeigte, hatte Fenton das Gefühl, er hätte ihn am liebsten angebrüllt. »Zum Teufel!« flüsterte er. »Kann ich Euch nicht zwei Minuten allein lassen, ohne daß es zu einer Duellforderung im Palast selbst kommt? Euer Ruf, Sir Nicholas, ist in keiner Weise unterschätzt.«
»Nicht doch!« protestierte Fenton. »Ich weiß, was geschehen soll« - hier blickte ihn Chiffinch von der Seite an -, »und ich. ich versuche, es zu verhindern. Weiter nichts!«
»Nun, Ihr wartet jetzt hier!«
Chiffinch führte ihn zu einer abgeteilten Nische in der Südostecke der Halle, wo ein Kamin im Winkel zweier Wände eingebaut war. Vier hohe Paravents aus starkem, mit Messingnägeln beschlagenem und dich gepolstertem Leder verwandelten diesen Alkoven in einen kleinen Raum. Ein helles Feuer brannte im Kamin. Mehrere sogenannte orientalische Stühle, gepolstert und mit Stoff bezogen, und zwei Schemel vervollständigten die Einrichtung. Da niemand anwesend war, nahm Fenton Platz. Er sah der Unterredung mit Spannung entgegen. Es gab so vieles, so vieles, wovor er den König warnen mußte!
Dann hörte er außerhalb der Nische die »mächtige Stimme« - so ist sie beschrieben worden -, und die wohlbekannten langen Schritte von Charles Stuart.
»Nicht, bis ich Euch rufe, Will!« sagte die Stimme. Und in den Alkoven trat der Mann, über den er so viel gelesen hatte. Seine lebendige Gegenwart verschlug Fenton den Atem. Er erhob sich schnell.
Charles war fast zwei Meter lang und wirkte durch die hohe Perücke und die halbhohen Absätze noch größer. Er war hager und muskulös und trug einen fast schäbigen schwarzen Anzug, der ihm reichlich weit war, mit einer mattroten Weste und vielen Spitzen.
Die Haare seiner schwarzen Perücke, sorgfältig in der Mitte gescheitelt und üppig gelockt, reichten ihm beinahe bis zur Brust. Er war fast so braun wie ein Indianer und besaß eine lange, gerade Nase. Wie Fenton, trug er einen strichartigen schwarzen Schnurrbart. Er hatte die Backenknochen und das lange Kinn der Stuarts. Am schönsten waren seine rotbraunen Augen unter hochgeschwungenen schwarzen Brauen.
Er hieß Fenton mit einem warmen Lächeln willkommen. »Sir Nicholas«, sagte er, indem er ihm die Hand reichte, »da Ihr nicht zu mir kommen wolltet, mußte ich Euch holen lassen.« Fenton legte die Stirn auf die mit drei Ringen geschmückte Hand und machte einen Kratzfuß. Im Augenblick fand er keine Worte. »Nun, Mann, seid ungeniert!« ermunterte ihn Charles, während er sich in einen Sessel fallen ließ und einen Fuß auf einen prächtig bestickten Schemel legte. »Oder macht's Euch wenigstens bequem. Nehmt Platz - so! Nun ist's mir auch wohler.« Ja, er besaß den Charme aller Stuarts. Mit einem Wort oder Blick vermochten sie blinde Treue und Hingebung zu entfachen. Wie viele Schwerter waren schon für sie gezogen, wie viele Trinksprüche auf sie ausgebracht, wie viele Vivat-Rufe erschallt, selbst aus dem Mund von Sterbenden!
»Ich hatte die Absicht«, sagte Charles, »sehr streng mit Euch zu verfahren. In meiner Regierung, Sir Nicholas, habe ich drei königliche Edikte gegen das Duellieren erlassen. Manchmal habt Ihr mir großen Kummer verursacht. Zu anderen Zeiten- Schockschwerenot, wie hat Euer Betragen mein Herz erwärmt!« Charles lehnte sich zurück. Sein Gesicht war düsterer und die Falten darin tiefer, als man auf den ersten Blick hin annahm.
»Wie ich höre, sollt Ihr bei Eurem letzten Scharmützel mit den Aufrührern den alten Schlachtruf geäußert haben: >Mit Gott für König Charles!< Nun, galt das mir oder meinem Vater?«
»Majestät, ich weiß es nicht. Ich kann es wirklich nicht sagen. Es galt, glaube ich, beiden.«
»Einem allein«, murmelte Charles, »wäre schon Ehre genug.« Seine rotbraunen Augen blickten über die Paravents, und er spielte, in Gedanken versunken, mit einem Ring an seiner rechten Hand.
»Nun!« Charles, dessen Ausdruck sich blitzartig ändern konnte, betrachtete ihn jetzt mit einem nachsichtigen Lächeln. »Was Eure Weissagerei angeht, Sir Nicholas, so warne ich Euch . ich .«
»>Habe nichts mit solchen Kreaturen zu schaffen<«, zitierte Fenton mit verschränkten Händen, den Blick zu Boden gerichtet, »>denn wenn sie einem wirklich etwas sagen könnten, so wäre dieses Wissen lästig.<«
Charles' Gesicht war völlig ausdruckslos. »Und warum gebraucht Ihr solche Worte?«
»Sie wurden von Euch selbst geschrieben, Majestät, und zwar vor langer Zeit in einem Brief nach Frankreich an Eure junge Schwester Henrietta, die mit dem Herzog von Orleans verheiratet war. Sie ist seit fünf Jahren tot, und ihre gute Seele ruht in Frieden.« Charles sprang plötzlich auf und ging zu dem kleinen Kamin in der Ecke. Er legte die Hände auf den Kaminsims und stieß mit dem Schuh gegen die kleinen, brennenden Holzscheite. Nur zwei Personen, daß wußte Fenton, hatten das Herz von Charles Stuart jemals tief bewegt: seine zarte junge Schwester und sein Vater.
Charles wandte sich wieder Fenton zu, das Kinn tief in seinem Spitzenjabot vergraben.
»Ich will nicht fragen«, sagte er, »weshalb Ihr eine Stelle aus einem von einem Privatboten überbrachten Privatbrief zu zitieren vermögt.« Charles runzelte die Stirn. »Ich muß offen gestehen: Ihr seid mir ein Rätsel, Sir Nicholas. Vor mir sehe ich einen ruhigen Gentleman von höflichem Betragen, und ich hatte einen lauten Prahlhans erwartet, nach Eurem öffentlichen Auftreten und selbst nach Eurer Rede in der >Gemalten Kammer< zu urteilen.«
»Täuschen wir nicht beide in unserem öffentlichen Auftreten?« fragte Fenton. »Inwiefern?«
»Mit Verlaub, Majestät! Meint Ihr, daß niemand die Pose eines fröhlichen Monarchen, skandalös und arm<, die Ihr absichtlich einnehmt, durchschaut? Das mag vielleicht in Eurer hitzigen Jugend zutreffend gewesen sein, aber nicht mehr seit vielen Jahren.«
»Nun, was das angeht.«, begann Charles, ohne jedoch den Satz zu vollenden.
Mit der liebenswürdigsten Miene setzte er sich wieder in seinen Sessel und legte den Fuß auf den Schemel. Sein ruheloser, satirischer Geist mußte ewig sondieren.
»Arm bin ich«, gab er zu. »Dafür sorgt das Parlament.« Er straffte seine Muskeln. »Das Fleisch plagt einen immer noch. Wer könnte einer hübschen Frau widerstehen?
Oder wer ihr trauen? Doch bin ich in meinem kleinen Harem ziemlich häuslich geworden. Ich treibe keine Possen mehr und trinke nur, um meinen Durst zu löschen. Ich bin alt und hager geworden.«
»Sonst nichts?«
»Schockschwerenot, ja!« lautete die etwas knurrende Antwort. »Meine Feinde müssen früher oder später lernen, daß ich nicht nachgebe und mich nicht einschüchtern lasse. Seit Jahren hat meine Hand diese Nußschale gelenkt, und ich werde sie sicher in den Hafen bringen, ehe ich sterbe.«
»Das wird Euch gelingen, Majestät. Und noch mehr. Aber das Meer wird stürmisch sein.« Charles' ernste Stimmung verschwand.