»Das ist der Mann, Majestät. Aber er ist alt und hilflos und gebrochen, und von anderen nimmt er keinen roten Heller; ich hab's versucht. Es wäre zu begrüßen, wenn das Schatzamt ihm seinen Titel und seine Güter zurückgäbe.«
»Es soll geschehen. Aber wie steht's mit Euch selbst?« (Wenn Ihr ihn nicht das nächste Mal tötet, werde ich .) »Ich habe keinen Wunsch, Majestät, nur den, Euch nach besten Kräften zu dienen.«
»Aber ich werde doch eine Vorsichtsmaßregel treffen!« erklärte Charles grimmig. Er zog einen Kameenring von seiner rechten Hand und schob ihn Fenton auf den Finger.
»Wenn sie Euch mit Degen angreifen, Sir Nicholas, haben wir nichts zu befürchten. Aber Mylord Shaftesbury mag sich Euch gegenüber feinerer Tricks bedienen. Sollte er dies versuchen, schickt mir diesen Ring, und er wird nicht ohne Beachtung bleiben. Mein Vater gab ihn mir. Unsere Namen sind darin eingraviert.«
(Ihr werdet ihn in der Totenmannsgasse finden. Lydia, Lydia, Lydia!)
»Ich danke Euch, Majestät.«
»Nun, Kopf hoch! - Mr. Chiffinch!« rief Charles mit donnernder Stimme, die sofort eine Totenstille in der Festhalle hervorrief. Chiffinch schlüpfte um einen Paravent herum. »Sorgt dafür«, befahl der König, »daß Sir Nicholas in einer meiner Kutschen nach Hause gefahren wird. Danach kehrt hierher zurück.«
Als Fenton rückwärtsgehend den Alkoven verließ, brachte er trotz seiner schlotternden Knie eine höfische Verbeugung zustande. »Ihr Diener, Majestät», sagte er.
Als er und Chiffinch gegangen waren, strich sich Charles eine Zeitlang unentschlossen über die Wangen. Dann trat er wieder an den kleinen Kamin, stützte die Hände auf den Kaminsims und blickte auf die glühende Asche der Holzscheite hinab. In dieser Haltung verharrte er, selbst als Chiffinch zurückgekehrt war. »Und was haltet Ihr von ihm, Will?« fragte er, ohne sich umzudrehen.
»Ach, ich kann aus dem Mann nicht klug werden«, brummte Chiffinch, der eine privilegierte Rolle einnahm. »Aber er ist grundehrlich.«
Charles schwieg eine Weile.
»Wenn ich zynisch bin, Will, so habe ich allen Grund dafür. Armut und Verbannung haben von jeher den Verstand geschärft. Und wenn ich wenigen Männern und gar keinen Frauen mein Vertrauen schenke, so ist das ebenfalls begründet. Dennoch .« Er trat mit dem Fuß gegen den mittleren Holzblock, der unter einem Funkenregen zusammenfiel.
»Ich will Euch eins sagen, Will! Sir Nicholas ist ein Mann, dem das Herz gebrochen ist.«
XVII
Doch Fenton selbst wäre dieser Gedanke nicht in den Sinn gekommen, als er in der dumpfen Samtkutsche nach Hause rollte. Er war wie gelähmt.
Normalerweise wäre das Schaukeln des Wagens für seinen zerschlagenen Körper sehr schmerzhaft gewesen; aber er fühlte nichts. Auch spürte er keinen Stich im Herzen, keine Neigung, zu toben und zu fluchen; gar nichts. Aber er fand es außerordentlich schwierig, seine Arme und Beine richtig zu bewegen. »Ich muß dies gründlich durchdenken«, sagte er dauernd vor sich hin. »Von Anfang bis Ende.«
Er erinnerte sich, daß er seine Taschenuhr herausgezogen hatte, als er den Palast verließ und den von Fackeln beschienenen Hof betrat, wo die Kutsche seiner harrte. Mit Staunen hatte er festgestellt, daß es noch kaum halb neun war. Seine ganze Audienz beim König hatte weniger als eine Stunde gedauert. Und jetzt fuhr die großartige Kutsche vor seiner Tür vor. Ich muß das alles durchdenken, wiederholte er im stillen. Obwohl er froh war, daß man ihm aus dem Wagen half, gab er lächelnd vor, keine Hilfe zu benötigen. Später erinnerte er sich daran, daß er Sam in ruhigem Ton sagte, er brauche nicht so lange an der Tür zu stehen. Sam öffnete mit einer Verbeugung die Tür und verschwand.
Der immer gegenwärtige Giles stand mit einer Kerze in der Halle. Als er Fentons Gesicht sah, preßte er seine dünnen Lippen aufeinander.
»Guten Abend, Sir.«
»Dir ebenfalls, guter Giles. Einen recht schönen guten Abend!«
»Darf ich mir als alter Diener die Freiheit nehmen, Sir, zu fragen, ob alles im Whitehall-Palast nach Wunsch und Willen gegangen ist?«
»Ja, es ging alles gut. Warum auch nicht?«
»Seine Majestät war nicht etwa - zornig? Wenn Ihr nur einen Blick in den Spiegel werfen würdet, wäre Euch meine Frage verständlich.«
»Zornig, sagst du? Schockschwerenot!« rief Fenton aus, mäßigte aber seine Stimme, als er fortfuhr: »Höre, Naseweis, wie zornig der König war. Er bot mir jegliche Belohnung an, die ich mir nur wünschte. Ehrenhalber konnte ich jedoch das Anerbieten nicht annehmen. Das wirst du verstehen. Immerhin!«
»Wißt Ihr, was man Euch zugedacht hatte, Sir? Nein? Dann will ich's Euch sagen. Seine Majestät wollte Euch zum Peer machen.«
»Daß dich die Pest! Was sollte ich wohl mit der Peerswürde anfangen? Giles, ist. Mylady wohlauf?«
»Ei, fürwahr«, erwiderte Giles erstaunt und setzte eine sauertöpfische Miene auf, weil sein Herr eine Peerswürde so verächtlich abtat. »Kurz nach Eurem Aufbruch löste sich die Tafelgesellschaft auf. Der betrunkene Lord George wurde in Mylord Danbys Kutsche nach Hause gebracht. Aber ich muß sagen, Sir, es gefiel mir gar nicht, wie der ältere Herr im Sattel schwankte, als er davonritt. Eure Gemahlin, Sir, hat sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Sie äußerte die Bitte .«
Fenton packte Giles am Rock.
»Ich möchte nicht mit meiner - mit ihr reden. Das heißt, nicht jetzt. Erst ein paar Minuten vor Mitternacht. Hast du mich verstanden, Giles?«
»Selbstverständlich, Sir.«
»Hol mir Kerzen«, sagte Fenton. »Ich möchte in mein Schlafgemach gehen und dort über etwas nachdenken. Auf keinen Fall möchte ich gestört werden. Ist das klar?«
Giles verneigte sich und zündete rasch die Kerzen in einem dreiarmigen Leuchter an.
»Nein, du brauchst mir nicht die Treppe hinaufzuleuchten. Ich tue es selbst. Gib mir den Leuchter.«
Es kostete Fenton große Mühe, seine Hand ruhig zu halten. Sein Verstand war die ganze Zeit über klar gewesen, und er sah zu, daß es so blieb. Doch als die Wirkung des Schocks nachließ, machten sich die körperlichen Schmerzen wieder bemerkbar.
Sobald er sein Zimmer erreichte, ging er mechanisch zu den beiden Fenstern, die nach hinten über seinen Garten zur Mall und auf den Park gingen.
Er stellte den dreiarmigen Leuchter auf seinen langen, schweren Ankleidetisch neben den Spiegel und betrachtete in dem flackernden Licht sein blasses Gesicht.
»Warum hat Lydia dies getan?« fragte er sein Spiegelbild. »War ihre ganze Liebe zu mir nur Heuchelei?«
»Das weißt du doch.«
»Ich kann mich nicht damit abfinden.«
»Du mußt dich damit abfinden.«
Das weiche Kerzenlicht schimmerte auf dem Glas und glühte in dem dunklen Rot der Weinkaraffe, die seit kurzem immer in seinem Zimmer stand. Hastig griff er nach Karaffe und Becher, vom Wunsch getrieben, seinen Schmerz im Alkohol zu ersäufen. Aber er stellte beides wieder hin. Vor allen Dingen mußte er jetzt einen klaren Kopf behalten.
Einem plötzlichen Impulse folgend, zog er den Stuhl an eins der dunklen Fenster.
Bis Mitternacht waren es noch dreieinhalb Stunden. Die Gefahr für Lydia begann genau mit dem Schlag zwölf. Nicht ein einziges Mal dachte er daran, in ihr Zimmer zu stürzen und ihr den Brief anklagend ins Gesicht zu werfen.
Er vermochte es einfach nicht. Er schreckte davor zurück. Wenn sie wirklich schuldig war, wollte er sich so lange wie möglich diesem Wissen verschließen. Es war gleichgültig . jedenfalls beinahe gleichgültig . was sie getan hatte. Er liebte sie und würde sie trotz allem beschützen.
Sorgfältig legte er seine Uhr in Reichweite auf den Tisch und ließ sich dann in dem Polsterstuhl vor dem dunklen Fenster nieder. »Ich kann es einfach nicht fassen«, sagte er zu sich und spürte einen leisen Stich im Herzen. »So ist Lydia nicht. Es liegt nicht in ihrem Charakter!«