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Sein kühler, abwägender Verstand schien im Sinne des zwanzigsten Jahrhunderts zu antworten:

»Hör auf mit dieser Gefühlsduselei! Du wolltest doch denken. Dann denke also! Wie ist Lydias Vorgeschichte?«

»Ihre Eltern waren Presbyterianer, gehörten also einer puritanischen Sekte an. Ihr Großvater war ein Königsmörder, mit anderen Worten wahrscheinlich ein Angehöri-er der Fünften Monarchie, der an den unmittelbaren Anbruch des Reiches Christi glaubte und das Staats- und Kirchenwesen als gottwidrig ablehnte.«

»Und glaubst du etwa, daß das keinen Einfluß auf sie ausgeübt hat, ehe sie Sir Nick heiratete? Bedenke, sie ist in dem Glauben, daß du der richtige Sir Nick seist. War sie wirklich nicht verletzt, als du sie von ihrer alten Kinderfrau trenntest, selbst wenn sie dir nach dem Munde geredet hat?«

»Schweig! Warum sollte ausgerechnet Lydia einen Eifer für den Green-Ribbon-Klub entwickeln?«

»Hast du die elementaren Tatsachen der Geschichte vergessen?«

»Nein.«

»Dann denk daran, daß Mylord Shaftesbury, einst selbst ein hitziger Presbyterianer unter Oliver, bei der Restauration als erster kraftvoll dafür eintrat, daß allen puritanischen Sekten gestattet werde, den Lehns- und Supremateid abzulegen, damit sie nicht geächtet waren. Weißt du nicht, daß er alte Presbyterianer in seinem Klub willkommen heißt?«

»Aber Lydia! Sie hat weder Verständnis noch Interesse für Politik. Das hat sie mir selbst ein dutzendmal versichert.«

»Eigentlich zu bereitwillig. Meinst du nicht auch? Weißt du nicht noch, wie sie dich jedesmal rasch vom Thema ablenkte?«

»Schweig, sage ich! In der allerersten Nacht, als ich sie in Megs Zimmer traf« - der Gedanke an Meg ließ ihn ein wenig stocken -, »versuchte ich, mich für Sir Nicks Betragen zu entschuldigen, und bat sie um Verzeihung. Und Lydia antwortete: >Ihr bittet mich um Verzeihung? Ich bitte Euch darum von ganzem Herzen.<«

»Na, was blieb ihr auch anders übrig?«

»Das verstehe ich nicht.«

»Niemand schildert ihren Charakter als kalt und bösartig. Sie war eben gerührt. Warum hat sie denn wohl ihren Eltern zum Trotz Sir Nick geheiratet? Es war eine physische Attraktion, weiter nichts. Als sie dann entdeckte, daß Sir Nick ein grausamer, boshafter Kerl war, haßte sie ihn. Dennoch besaß er für sie immer noch eine gewisse Anziehungskraft.«

»Das stimmt! Als sie am nächsten Morgen mit dem vom Gift hervorgerufenen Ausschlag auf Stirn und Armen in dieses Zimmer eilte, war sie die Zärtlichkeit selber und . und .«

»Die war sicher geheuchelt. Aber weißt du noch, was du sagtest?«

»Ich hab's vergessen.«

»Nur weil du es vergessen willst. Sir Nick gewann die Oberhand und erging sich in einer Flut von Schmähungen; er stieß die heftigsten Verwünschungen gegen die ganze Rasse der Puritaner aus. Du hast vergessen, daß sie im Grund ihres Herzens vielleicht ein ebenso leidenschaftlicher Rundkopf ist, wie du ein leidenschaftlicher Kavalier bist.«

»Hinterher war sie aber doch zärtlich. Meine Güte, sie war es doch, die mich bat, sie - in der Nacht aufzusuchen!«

»Heuchelei in der Hauptsache. Außerdem weißt du, daß sie eine vollblütige, leidenschaftliche Frau ist.«

»Es war keine Heuchelei. Du lügst.«

»Ah, ist deine Eitelkeit verletzt?«

»Willst du behaupten, daß sie sofort nach der Einladung zum nächtlichen Rendezvous den Brief schrieb, der meinen Feinden enthüllte, wo ich zu finden war?«

»Natürlich. Sie liebt dich nicht. Du bist gefährlich. Du mußt vernichtet werden.«

»Hör auf mit diesem Unsinn!«

»Du wolltest doch alles durchdenken. Wie oft, wenn sie dir falsches Lob zu spenden wünschte, ist ihr das Wort >Rundkopf< entschlüpft? Denk mal darüber nach! > Sanft wie ein Diener Gottes, doch kühn und beherzt wie einer von Cromwells Eisernen Dragonern<.«

»Ich habe zu der Zeit gar nicht einmal daran gedacht.«

»Wer lockte dich an jenem Abend nach Spring Gardens? Und schlüpfte am selben Tage heimlich aus dem Hause, um den Brief zu senden, der dir die drei Degenfechter auf den Hals schickte? Um ein neues Kleid zu kaufen? Unsinn! Denn der Laden >La Belle Poitrine< ist ein neuer Sammelplatz für Briefe.«

»Hör endlich mit dieser Tortur auf! Wenn Lydia gar nichts für mich übrig hätte, warum dann diese Eifersucht, vor allem ihre Eifersucht auf Meg?«

»Das ist wieder einmal Unsinn. Lydia ist eine Frau. Du bist ihr Eigentum. Glaubst du etwa, sie ließe sich das von einer anderen streitig machen? Am allerwenigsten von Meg oder vielmehr Mary Grenville. Lydia weiß genau, daß du eine geheime Schwäche für Meg hast. Das kann sie nicht ertragen. Das läßt ihre Eitelkeit nicht zu. Bedenke, daß du achtundfünfzig Jahre alt bist. Nicht physisch, aber im Geist. Könntest du dich nicht leicht von einem hübschen Gesicht, einem schönen Getue und einem verlockenden Körper täuschen lassen? Bist du nicht gar völlig betört?«

»Ja, diese Möglichkeit muß ich wohl ins Auge fassen.«

»Dann nimm dich in acht, wenn sie dich vor der einzigen Frau warnt, die dich wirklich gern hat: Meg York. Lydia haßt Sir Nick und hält dich selbstverständlich für Sir Nick. Sie wendet nur die von Sir Nick erlernten Liebeskünste auf einen anderen Mann an.«

Fenton sprang auf und bedeckte seine Augen mit der Hand. Ein gewaltiger Zorn bemächtigte sich seiner, aber er wußte, daß er sich beherrschen mußte. Er verschloß sich all diesem Geflüster - so glaubte er wenigstens -, und nahm wieder vor dem dunklen Fenster Platz, um seine Gedanken zu ordnen. Eine Zeitlang war es ihm dunkel vor Augen. Dann auf einmal mahnte ihn das laute Ticken seiner Uhr an die dahineilenden Minuten.

Es war zehn Minuten vor neun. Einen gewissen Entschluß hatte er bereits gefaßt. Wieder sprang er auf die Füße und steckte die Uhr in die Tasche. Im selben Augenblick klopfte es leise an die Tür, und Giles lugte vorsichtig mit dem Kopf durch die Spalte.

»Sir«, sagte er, sich räuspernd, »ich hätte Euch nicht gestört. Aber Mistreß Pamphlin .«

Judith Pamphlin, kerzengrade und grimmig wie immer, stand händeringend hinter Giles.

»Mylady«, sagte sie, »läßt Euch fragen, warum Ihr sie seit Eurer Rückkehr noch nicht aufgesucht habt.« Mrs. Pamphlin grinste beinahe hämisch. »Auch möchte sie Euch bitten .«

Fentons Miene verfinsterte sich. Judith hatte sich den denkbar schlechtesten Augenblick für ihre Anwesenheit ausgesucht. »Ich hatte Euch untersagt, Euch Mylady zu nähern«, sagte Fenton. »Aber Ihr habt meinem Befehl nicht gehorcht. Darüber reden wir später noch. Doch wie ich sehe, habt Ihr eine Tugend: Ihr seid Mylady sehr ergeben und treu. Stimmt das?«

»Es stimmt.«

»Dann paßt gut auf. Richtet Mylady aus, daß ich in einer wichtigen Angelegenheit das Haus verlassen muß, aber vor Mitternacht zurückkehren werde.«

Mrs. Pamphlin öffnete den Mund, um etwas zu sagen, besann sich aber eines Besseren und schwieg. Statt dessen trat ein böser Blick in ihre Augen. Giles drückte ihr rasch eine Kerze in die Hand, schob sie auf den Flur und schloß die Tür.

»Habt Ihr tatsächlich die Absicht, das Haus zu verlassen?« fragte Giles gemessen. »Und warum etwa nicht?«

»Wegen Eurer Verfassung, Sir. Ihr seid krank.«

»Was weißt du schon von meiner Verfassung?« fragte Fenton ironisch. Die Degen wunde in seiner Seite schmerzte, und er fieberte ein wenig. »Giles! Ich möchte etwas weniger Auffälliges tragen. Halt!« Eine leise Erinnerung regte sich. »Der schwarze Anzug, Giles! Der schwarze Samtanzug, den ich am 10. Mai trug, als ich in der Totenmannsgasse angefallen wurde.«

»Sir«, rief Giles verzweifelt, »ich bin ein schlechter Diener. Den Samtanzug habe ich noch nicht gereinigt. Es sind Blutflecke auf den Manschetten.«

Fenton befand sich in zu großer Ungeduld.

»Es ist nicht von Belang! Dieser Anzug hier« - er trug ein nüchternes Grau, nur mit einem Silberstreifen in der Weste - »eignet sich auch für diese Gelegenheit. Nun geh in den Stallhof hinunter und laß mein Pferd satteln.«