»Dann also gute Nacht! Und leben Sie wohl.«
Er hatte nicht bemerkt, wie ihr Gesichtsausdruck sich plötzlich änderte; schon, als sie ihn anschrie. Denn er hatte sich bereits zur Tür gewandt. Jetzt rauschte sie mit ihren seidenen Röcken an ihm vorbei und stellte sich vor die Tür. »Nick! Nein! Warte!«
»Gehen Sie mir bitte aus dem Weg«, sagte er verzweifelt. »Es hat alles keinen Sinn.«
»Oh, warum muß ich immer so sein?« rief Meg. »Fast jedesmal, wenn wir uns begegnen, werde ich gehässig und zänkisch. Was ich soeben sagte, habe ich nicht ernst gemeint, wirklich nicht!« Mit Erstaunen sah er, daß echte Tränen an ihren langen schwarzen Wimpern zitterten, als sie flehentlich die Hände hob. Ihre Reue, ihre körperliche Schönheit wirkten rührend. Aber mehr noch als das: sie schien ein nahezu brennendes Mitleid auszustrahlen. »Geh nicht fort«, flüsterte sie. »Nick .« Er küßte sie, und wiederum verlor er die Sinne. »Nun sag mir doch«, bat sie mit zurückgelehntem Kopf, »was hat diese Frau dir angetan? Hat sie dich zum Hahnrei gemacht?«
»Nein.«
»Warum habt ihr euch denn gezankt?«
Fenton schwieg. Er konnte nicht davon sprechen.
»Nun, es macht nichts«, sagte Meg dann. »Es ist mir gleichgültig. Komm her, Nick.«
Sie deutete auf einen Polsterstuhl, der vor dem Kamin stand. Hinter den Fenstern sah er wieder den roten Feuerschein der Seifensiederei am Himmel.
»Es macht nichts!« wiederholte Meg mit zitternder Stimme, und beide wußten, daß es eine Lüge war. »Setz dich, lieber Nick. Und mußt du selbst hier bei mir einen hinderlichen Degen und einen Umhang tragen?«
Fenton legte Mantel und Degen ab und warf sie auf die Ottomane. Dann setzte er sich in den Sessel.
»Ich sollte dich eigentlich bitten, auch die Perücke abzunehmen«, sagte Meg. »Aber alle Männer tragen das Haar darunter so kurzgeschoren wegen der Läusegefahr.«
Fenton mußte lachen. »Du brauchst keine Angst zu haben vor einem geschorenen Schädel oder vor Läusen. Ich habe mein Haar wachsen lassen.« Mit diesen Worten nahm er die Perücke ab und schleuderte sie ebenfalls auf die Ottomane.
Sein schweres, schwarzes, auf einer Seite gescheiteltes Haar war durch die Perücke flach gepreßt. Als er sie fortwarf, war es ihm, als käme er Schritt für Schritt durch die Nebel der Vergangenheit der Zukunft näher. Doch Meg, die sich seitwärts auf seinen Schoß gesetzt hatte, damit sie ihn ansehen und sich über ihn beugen konnte, wollte ihm noch nicht gestatten, daran zu denken.
»Nein«, flüsterte sie dicht an seiner Wange, »du darfst niemals Mary Grenville in mir sehen; nur Meg York. Mein wahres Wesen ist das von Meg York - war es sogar, als ich noch Mary Grenville war, obwohl ich es damals verbergen mußte, da ihr mich alle für ein kleines Mädchen hieltet.«
Sie verfiel wieder in die Ausdrucksweise dieses Jahrhunderts, und er wußte, daß er es auch so halten mußte.
»Ich hätte dir viel Konfusion ersparen können«, fuhr Meg fort, »wenn ich schon längst über manche Dinge mit dir gesprochen hätte. Aber ich wagte es nicht. Willst du mich jetzt anhören?«
»Ich höre dich.«
»Erinnerst du dich an jenen Abend in deinem Wohnzimmer - mehr als zweihundertundfünfzig Jahre trennen uns davon -, als du mir sagtest, du habest deine Seele dem Teufel verschrieben?«
Fenton fröstelte leicht. »Ich entsinne mich sehr gut«, erwiderte er.
»Und du machtest die Entdeckung, daß ich nicht. überrascht war?«
»Ganz recht. Das Gefühl hatte ich, obwohl ich mir's nicht erklären konnte.«
»Es war eine Sache des Herzens, nicht des Verstandes. Du suchtest und fandest den Grund, ehe du ihn wußtest.«
»Doch .«
»Halt, hör mich an! Ich wußte nichts von diesen Leuten, hatte nie etwas von dem Giftmord gehört, während du dich jahrelang damit beschäftigt hattest. Ich platzte beinahe vor Wut und Eifersucht. Ich hätte mir den kleinen Finger abbeißen können.« Megs leise Stimme zischte ihn an. »Ich durfte nicht säumen. Ich liebte dich. In großer Hast mußte ich mich über diese Leute orientieren. Du hattest von drei schönen Frauen gesprochen«, erklärte Meg haßerfüllt. »Nun, als eine dieser Frauen mußte ich mit dir in die Vergangenheit reisen.«
»In die Vergangenheit reisen«, wiederholte Fenton.
»Wenn ich die Rolle von Meg York spielte, aber mit meiner eigenen Persönlichkeit, konnte ich da nicht in der Tat beweisen, daß ich die Kinderschuhe abgestreift hatte?« Um Megs Lippen spielte das geheimnisvolle Lächeln, mit dem er so vertraut war. »Meiner Treu, Nick, hast du es nicht gleich am ersten Abend bemerkt, als wir uns begegneten?«
Der Feuerschein der Seifensiederei, der wieder über den Himmel flammte, zeigte ihm Megs jetzt boshaft lächelnden Mund noch deutlicher.
»Heiliger Strohsack!« fluchte Fenton und packte sie heftig am Arm, so daß ihr Lächeln noch herausfordernder wurde. »Hast du, Mary Grenville, deine Seele etwa dem -unserem Freund verschrieben?«
Megs Stimme klang rätselhaft.
»Oh, darüber müssen wir demnächst mal reden. Vor nicht langer Zeit fragtest du mich in Spring Gardens, warum ich dir nicht bei unserer ersten Begegnung verraten hätte, daß ich Mary Grenville sei. Ich erwiderte, daß ich meiner selbst nicht sicher war.« Meg erschauerte plötzlich. Er legte die Arme um sie und preßte sie fest an sich. »Doch war es nicht die volle Wahrheit«, gestand sie. »Ich mußte in dir die Überzeugung erwecken, daß ich nicht Mary Grenville sein konnte. Ich mußte die Enthüllung der Wahrheit hinausschieben. Ich mußte dich als Meg York dazu bringen, mich zu lieben oder wenigstens zu begehren.«
»Sprich! Hast du einen Pakt geschlossen mit.«
»Ich sage nicht ja, und ich sage nicht nein. Ich bin hier in meiner eigenen Gestalt aufgetaucht, obwohl ich mir die Rolle von Meg York, deiner vornehmen Mätresse, ausgesucht habe.«
»Schade«, meinte Fenton, »daß ich nie in der Lage war, von meinen Rechten Gebrauch zu machen.«
»Na, was das angeht! Der Schaden kann leicht kuriert werden . halt! Nicht so stürmisch! Ich möchte etwas Zeit haben, um .«
»Unnötig. Ich bitte dich, wozu noch warten?«
Nach einer Weile gelang es Meg, sich seinen Armen zu entziehen und aufzustehen.
Sie eilte zum Kaminsims, nahm den Kerzenleuchter und verschwand damit in einem anderen Zimmer. Dann kam sie noch einmal an die Tür zurück.
»Ich bin bald wieder da«, murmelte sie. »Verlangt es dich nach meiner Rückkehr?«
»Aber sehr!«
Sie warf ihm noch einen Blick über die Schulter zu und schloß dann die Tür hinter sich.
Fenton, dem es vor Erregung in allen Gliedern kribbelte, nahm wieder Platz.
Die einzige Lichtquelle in dem kleinen Raum war jetzt das Feuer, das anscheinend nicht richtig brennen wollte. Die Holzscheite waren unten glühend rot, doch über ihnen flackerten nur kleine Flammen. Aber mit diesem kleinen Holzfeuer hier im Rost hatte es eine merkwürdige Bewandtnis. Rauch schien ins Zimmer zu strömen, der auf seltsame Weise nach oben kräuselte. Dann aber zeigte ihm der Feuerschein der Seifensiederei, der wieder hinter den Fenstern sichtbar wurde, den wahren Sachverhalt. Es war überhaupt kein Rauch im Zimmer. Er, Fenton, hatte etwas anderes dafür gehalten, nämlich die vagen, wechselnden Umrisse einer Gestalt, die in dem großen Stuhl am Fenster saß. Eine höfliche, vertraue Stimme redete ihn an. »Guten Abend, mein Freund«, sagte der Teufel.
XVIII
Der Feuerschein am Himmel verwandelte sich in ein mattes Rosa und erlosch. Es blieb nur die unstete, wechselnde Silhouette im Stuhl neben dem schwachen Feuer. Der Teufel sprach wie üblich, modernes Englisch mit einem leicht archaischen Einschlag. Fenton beschlich wieder dasselbe Gefühl, das er bei seiner ersten Begegnung mit dem Teufel gehabt hatte: das Gefühl, er schwebe in einer Traumwelt, in der Stimmen klanglos waren und Gefühle nur als unbestimmte Wogen empfunden wurden. Und doch schien alles so natürlich und alltäglich wie die Unterhaltung zweier Männer im Rauchzimmer eines Klubs.