»Nein, Sir! Steckt Euren Degen weg. Ich bitte Euch darum. Ihr braucht Eure Hände nicht zu besudeln, wenn Ihr mich nur anhören wollt!«
»Wo steckt sie, Giles?«
Als Fenton ein paar Schritte vorging, umklammerte Giles ungestüm seinen Arm.
»Mein Gebieter, das Frauenzimmer Pamphlin ist unten, streng bewacht von den Dienern. Wenn - wenn Pamphlin schuldig ist, wird sie unter ihren Händen eines schrecklichen Todes sterben; denn sie lieben Euch alle. Sie warten auf Euch. Ihr braucht nur ein Wort zu sagen. Aber ihre Köpfe sind jetzt viel zu hitzig, um irgend etwas zu unternehmen. Und Ihr. auch. Herr, um Gottes willen!« rief Giles, und dann schien ihm eine Erleuchtung zu kommen. »Hätte Eure Gemahlin es wohl gern gesehen, wenn die Frau durch Euer Schwert stürbe?«
Fenton, der Giles beiseite stieß, daß die Kerze wild flackerte, machte noch zwei Schritte und blieb dann wie angewurzelt stehen. Eine Weile schien er in Gedanken versunken zu sein. Dann zwang er sich mit Gewalt zur Ruhe und ließ den Degen wieder in die Scheide gleiten.
Danach vermieden er und Giles es, sich anzusehen. Giles war der erste, der wieder sprach.
»Würde es Euch zu sehr schmerzen, sie zu sehen?«
»Sehen.?«
»Eure Gemahlin, Sir. Wir haben den Raum von allen üblen Gerüchen befreit, die Fenster weit geöffnet und süßduftende Kräuter gestreut. Ich glaube, sie hätte es gern.«
»Potz Blitz! Hör auf damit, von ihr als einer Toten zu reden. Ich dulde es nicht!«
»Verzeihung, Sir. Darf ich Euch vorangehen, um Euch die Treppe hinaufzuleuchten?«
»Ich. ja; danke.«
Langsam und leise stiegen sie die Stufen empor. Nun, es war bald vorüber. Sie hatten Lydia allein im Dunkeln gelassen. Giles blieb mit seiner Kerze in der Tür stehen. Fenton ging ein paar Schritte auf die Tote zu. Aber die Tränen quollen ihm aus den Augen und machten ihn halb blind. Vergebens versuchte er, sie mit dem Ärmel fortzuwischen. Auf dem großen Bett, dessen Vorhänge zurückgezogen waren, lag Lydia mit geschlossenen Augen und auf der Brust gefalteten Händen, das Gesicht vom weichen Haar umrahmt. In den Händen hielt sie etwas, was er nicht erkennen konnte. Zögernd trat er an die andere Seite des Bettes, wo die balsamische Nachtluft in das offene Fenster wehte. Er beugte sich herab und küßte sanft ihre Lippen, die noch etwas warm waren. Jetzt sah er auch, was sie an ihre Brust gepreßt hielt. Seltsamerweise war es die blaue Zahnbürste, die er für sie hatte anfertigen lassen. Ein lächerliches Ding, aber das einzige Erinnerungsstück, das sie von ihm besaß.
Bei diesem Anblick brach er völlig zusammen. Von Tränen geblendet, taumelte er tastend umher, bis er gegen ein Fenster stieß. Dann spürte er eine kräftige Hand an seinem Ellbogen. »Genug, Sir«, flüsterte Giles mit fester Stimme. »Gestattet mir, daß ich Euch hinausgeleite.«
Fenton gehorchte. Er hatte das Gefühl, über einen endlosen Holzboden zu wandern, bis ihn die feste Hand an seinem Ellbogen zum Stehen brachte.
»Sie ist nicht tot, Giles. Ihre Lippen waren warm, als ich sie küßte.«
»Ganz recht, Sir«, log Giles. Seine Stimme war sanft. »Ihr seid müde und erschöpft. Am Morgen wird es Euch besser sein.« Fenton befand sich in seinem eigenen Schlafzimmer. Giles hatte bereits Kerzen auf den Ankleidetisch gestellt. Darauf waren ein zerknitterter grauer Brief, die nicht mehr ganz volle Weinkaraffe und seine eigene rote Zahnbürste .
Von neuem strömten ihm die Tränen aus den Augen. Mit letzter Anstrengung - als suche er eine Zuflucht -versuchte er, sich auf sein Bett zu werfen. Aber er besaß nicht genug Kraft. Sein Körper schlug auf dem harten Holzgestell auf, und er sank bewußtlos zu Boden.
XIX
Er war in einem Tal des Friedens. Als Fenton die Augen halb öffnete, lag er in unbekümmerter, wohliger Zufriedenheit da. Er hatte das Gefühl, zwar böse Tage und Nächte hinter sich zu haben, aber schließlich an Körper und Seele geheilt daraus hervorgegangen zu sein.
Na also, dachte Fenton, es war doch nur ein Traum. Ich habe keinen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Er ist nur eine Mythe. Ich habe nicht einen Monat lang blutige Kämpfe ausgefochten. Der Name Lydia kam ihm in den Sinn. Er spürte einen schwachen Schmerz.
Ich habe eine Frau geliebt, dachte er, die jetzt wohl mehr als zweihundert Jahre tot sein muß. Es war alles sehr lebendig. Aber jetzt ist der Traum vorbei. Ich bin sehr froh darüber; denn gegen Ende wurde es ein richtiger Alpdruck.
Ich habe zuviel von dem verflixten Schlafmittel genommen und daraufhin eine ganze Nacht und bis zur Abenddämmerung des nächsten Tages geschlafen. Jetzt bin ich wieder in der Gegenwart. Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, weil er sich beim Erwachen in dem gleichen großen Himmelbett fand, das in dem von ihm gemieteten Haus gestanden hatte. Der weißblaue Himmel wurde allmählich dunkler. Dann kam der Schock.
Bei einem Versuch, sich im Bett aufzurichten, entdeckte Fenton, daß er so schwach war wie nach einer langen Krankheit. Ermattet sank er in die Kissen zurück. Er fuhr sich mit der Hand über den Kopf und stieß auf dichtes Haar, das nur schwarz sein konnte. Und dann sein Nachtgewand .
In diesem Augenblick sah er zwei brennende Kerzen an der linken Seite des Bettes. Eine wurde von Giles Collins getragen, die andere von Lord George Harwell.
Georges breites, rotes, von einer riesigen Perücke mit Stirnlocken umrahmtes Gesicht veränderte sich plötzlich, als er einen Blick aufs Bett warf. Seine braunen Augen traten vor Erstaunen aus dem Kopf, und das rote Gesicht strahlte vor Freude. »Potz Geck und kein Ende!« rief er. »Nun sieh einer an! Nick ist erwacht! Nick, mein guter Kerl, du hast uns schwere Sorgen gemacht! Gib mir deine Hand!«
Fenton spürte noch immer das seltsame Wohlgefühl, das er beim Erwachen empfunden hatte. »Sie ist allerdings merkwürdig schwach«, sagte er leise.
»Potztausend! Was kannst du anderes erwarten, wenn du wie tot zu Boden fällst und acht Tage in dieser Ohnmacht liegst?«
»Acht Tage?«
»Ja, frag nur Giles! Sie konnten dich nur ernähren, indem sie dich im Bett aufsetzten und dir mit einem großen Löffel Flüssigkeiten einflößten. Und das ist nicht so einfach. Aber ich werde die Sache jetzt in die Hand nehmen«, versicherte ihm George und warf sich in die Brust. »Potz Geck! Ich werde für dein Futter sorgen! Heiße, dampfende Kapaune, mit Austern gefüllt! Eine Fleisch- und Lerchenpastete mit schöner Sauce! Was meinst du dazu?«
»Vielen Dank, aber jetzt noch nicht. George, du wirkst wohltuend aufs Gemüt.«
»Nein, potztausend!« brummelte George verlegen. »Ich bin nur ein klobiger Bursche.« Er zauderte ein wenig, ehe er fortfuhr: »Hör mal, Nick. Sie haben mir verboten, auch nur ein Wort mit dir über Lydia zu reden. Aber ich will nicht schweigen. Als ich davon hörte, war ich von Kummer so niedergeschmettert, daß ich . daß ich.«
Giles lenkte ihn so geschickt ab, daß George es gar nicht merkte. »Mylord«, sagte er mit tiefer Ehrerbietung zu George, »darf ich mir vielleicht gestatten, Euch daran zu erinnern, daß wir seit acht Tagen eine neue französische Köchin haben, eine Madame Taupin?«
»Was sagt Ihr da?«
»Und Eurer Lordschaft zu Gefallen habe ich mir gestattet, eine Hammelkeule bei ihr zu bestellen. Mit heißen Pilzen, Mylord, und Pilzsauce. Es ist im Speisezimmer für Euch aufgetragen.«
George war empört. »Zum Donner, Mann, komme ich wegen Speis und Trank in dieses Haus?«
»Ach, du liebe Güte!« rief Giles und schlug sich mit der Hand vor den Kopf. »Gut, daß Ihr mich daran erinnert! Ich habe die Schlüssel zu einem edlen Weinkeller. Aber ich lasse keine alkoholischen Getränke im Hause herumstehen, damit mir keiner von den Hausknechten schnarchend und betrunken am Boden liegt mit der leeren Flasche in der Hand.«