»So, so«, murmelte George, von dieser Sparsamkeit tief beeindruckt.
»Und nun, Mylord, habe ich vergessen, Euch unseren besten Kanariensekt hinzustellen. Wenn Ihr vielleicht schon nach unten gehen und zulangen wollt, werde ich Euch eine Flasche bringen, sobald ich ein Wort mit meinem Herrn gesprochen habe. Mylord: Hammelkeule und Pilze!«
»Nu-un«, meinte George mit einem Seitenblick auf Fenton, der offenbar zärtlich gemeint war, aber recht düster ausfiel. »Nick, ich verlasse dich nicht, ich bin nur in einem anderen Raum.«
»Natürlich, George. Guten Appetit!«
Sobald sich die Tür hinter dem Besucher geschlossen hatte, begann Giles zu reden, während er mit sauertöpfischer Miene auf einen Bettpfosten starrte.
»Lord George«, meinte er, »ist ja ein sehr guter Mensch. Aber in der nächsten Viertelstunde hätte er Euch auf einem Pferderücken gehabt und zu einem lärmenden Zechgelage entführt.«
»Vielleicht. Schieb mir ein Kissen in den Rücken, Giles.« Giles stellte die Kerze auf den Nachttisch und gehorchte. Dann stemmte er die Hände in die Hüften und unterzog Fenton einer genauen Prüfung. Es war deutlich zu sehen, daß auch er das Bedürfnis hatte, seiner Erleichterung Ausdruck zu verleihen. Seine alte Impertinenz kehrte zurück.
»Heisa, juchhe!« rief er und schnitt eine Grimasse. »Da habt Ihr ja wieder alle fünf Sinne beisammen, um uns zu piesacken. Aber tagelang hing Euer Leben an einem seidenen Faden. Gott allein weiß, warum ich mir die Mühe machte, über Euch zu wachen.«
»Dann ist meine Frau also wirklich tot?« fragte Fenton leise und gefaßt.
Giles nickte. »Sie wurde vor vier Tagen auf dem St.-Martins-Friedhof begraben.«
»In der Tat?«
Giles warf ihm rasch einen Blick zu.
»Für Eure Ohnmacht«, sagte er, »haben wir die Ärzte scharenweise hier gehabt. Aber nur einer davon hatte ein Fünkchen Verstand im Kopf.«
»So?«
»>Nun<, sagte der, >dies ist mir schon mal vorgekommen. Es hat etwas mit dem Gehirn zu tun und nicht mit dem Körper. Es gibt Soldaten, die in einer Schlacht Tag für Tag mit Berserkerwut kämpfen, und wenn sie glauben, die Schlacht ist zu Ende, fallen sie ohne körperliche Verletzung in eine tiefe Ohnmacht, die zwei, acht oder zehn Tage anhält. Dann erwachen sie mit klarem Kopf und sind geheilt.<«
»Da hat er recht. Nun erzähl mir mal, was sich in den acht Tagen alles zugetragen hat, während ich hier wie tot lag.«
»Das will ich tun«, erwiderte Giles prompt. »Sonst laßt Ihr mir doch keine Ruhe.«
Ohne um Erlaubnis zu bitten, ging Giles zum Fenster und holte sich einen niedrigen Polsterstuhl. Als er sich, wieder ohne zu fragen, hinsetzte, ragte nur sein langes Gesicht mit dem roten Haarschopf über den Rand des Bettes. Es erinnerte, dachte Fenton, an den sprechenden Kopf ohne Rumpf bei einem Zaubertrick. »Sir«, begann Giles, »besinnt Ihr Euch noch auf den Abend des 10. Juni?«
»Den ich«, sagte Fenton vor sich hin, »für den neunten hielt.« Er nickte.
»Ihr kamt gegen halb neun vom Whitehall-Palast zurück und gingt sofort auf Euer Zimmer. Als ich ein paar Minuten vor neun nach oben ging, wo ich etwas zu erledigen hatte, sah ich Judith Pamphlin oben an der Treppe im Flur.« Giles erläuterte seine Erzählung mit entsprechenden Handbewegungen.
»>Nicht so hastig! < sagte ich, als ich sah, wie sie in größter Eile diesem Zimmer zustrebte. >Doch<, erklärte sie, »ich bringe Sir Nicholas eine Nachricht von großer Wichtigkeit von Mylady.< Dabei fiel mir ein, daß Ihr die Anordnung gegeben hattet, von niemandem gestört zu werden. Dennoch ließ ich sie eintreten. Erinnert Ihr Euch daran, was sie dann sagte?«
»Im großen ganzen, ja.«
»Ihr genauen Worte waren: >Mylady läßt Euch fragen, warum Ihr sie seit Eurer Rückkehr noch nicht aufgesucht habt.< Damit sprach die Frau die Wahrheit. Denn Eure Gemahlin, die Euren Schritt auf der Treppe gehört hatte und Euch bis zum Tode treulich liebte .« Fenton öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, schwieg dann aber.
».hatte dies wirklich gesagt. Die nächsten Worte der Pamphlin lauteten: >Auch möchte sie Euch bitten .< Hier wurde sie von Euch unterbrochen. Ihr schaltet sie - und mit Recht - kräftig aus, weil sie Myladys Zimmer betreten hatte, was ihr von Euch untersagt war. Dennoch hattet Ihr Vertrauen zu ihr.« Mit bitterer Miene fuhr Giles fort: »Ihr hießet sie zurückgehen und Wache halten. Denn Ihr, so sagtet Ihr, müßtet das Haus verlassen, würdet aber vor Mitternacht zurückkehren. Nun denkt mal nach, Sir! Habt Ihr jemals einen so häßlichen, bösartigen Ausdruck in Pamphlins Gesicht gesehen wie in dem Augenblick? Fiel er Euch nicht auf?«
Fenton nickte. »Ja, ich habe es auch bemerkt«, sagte er in ruhigem Ton.
»Ihr eiltet rascher aus dem Hause, als ich annahm. Ich glaubte Euch krank und hätte Euch gern an Eurem Vorhaben gehindert. Aber wer konnte Euch schon halten? Dann dachte ich an den Ausdruck in Pamphlins Gesicht und eilte in das Schlafgemach Eurer Gemahlin.
Sie lag auf dem Bett. Sie war sehr krank und mußte sich heftig erbrechen. Pamphlin stand daneben. Es war wieder Arsenik; das war deutlich zu sehen. Doch hört nun die übrige Botschaft, die Pamphlin verschwiegen hatte. Sie lautete: >Bitte ihn, doch um Gottes willen zu mir zu kommen, weil ich beim Abendessen etwas Giftiges getrunken oder gegessen haben muß; denn nur er kann mich retten.<«
Giles hielt inne, um sich mit einem raschen Blick davon zu überzeugen, daß seine Erzählung auch nicht zu schmerzlich für den Patienten sei.
Doch Fenton blieb ruhig. Nicht, weil er keinen Schmerz und keinen Kummer in sich trug - aber sie saßen so tief in seinem Herzen, daß sie nicht an die Oberfläche dringen konnten. »Etwas Giftiges beim Abendessen?« murmelte er. »Aber wir hatten doch sehr früh gegessen, und da hätten sich die Symptome viel eher einstellen müssen . oder hatte Lydia sich versteckt, während ich im Palast war, und mit niemandem reden wollen?«
»So war's, Sir.«
»Aber einen Augenblick! Beim Essen habe ich doch ihre Speisen probiert und von ihrem Wein getrunken.«
»Ihr dürft nicht vergessen, daß ich auch dabei war. Ich habe alles gehört und gesehen.«
»Gesehen?«
»Ihr habt von ihren Speisen gegessen, stimmt. Aber von Eurem eigenen Wein trankt Ihr nur sehr wenig, und aus ihrem Becher nahmt Ihr nur einen Schluck. Ist Euch kalt, Sir?«
»Nein, nein. Fahre schon fort mit deiner Erzählung. Von dem Augenblick an, wo du den vollen Inhalt der Botschaft erfuhrst.«
»Nun, in Anbetracht dessen«, sagte Giles, »überkam mich ein gewisser Zorn, und ich sagte zu der Pamphlin: >Warum habt Ihr die Botschaft nicht ausgerichtet, ehe der Herr des Hauses fortritt?< Sie lächelte, was ich noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte, und erwiderte: >Weil ich Mylady lieber tot als in seinen Händen sehen möchte.< Aber selbst bei diesen Worten hielt ich mich noch zurück! >Einmal hat er Euch doch Gegenmittel für dieses Gift genannt< sagte ich, >und wie hießen diese?« Sie entgegnete: >Ich kann mich nicht darauf besinnen.<« Hier wechselte Giles plötzlich die Farbe. »Sir, ich warf sie zu Boden und trat sie heftig mit dem Fuß. Dann richtete ich sie auf und stieß ihren Kopf gegen die Tür. Aber das Gesicht dieses Frauenzimmers war wie Holz, wie dieser Bettpfosten hier -das Gesicht einer Fanatikerin. Auch war kein Ton mehr aus ihr herauszubekommen. Als ich mich dann Eurer Gemahlin zuwandte, rannte die Pamphlin davon.
Und noch nie habe ich eine Dame gesehen, die selbst bei heftigen Schmerzen so reizend und freundlich war wie Eure Gemahlin. Wenn sie eben konnte, lächelte sie. >lch muß sterben, Giles<, sagt sie, >mich trifft die Strafe des Himmels. < Und auch von anderen Dingen sprach sie zu mir, obwohl sie mir früher - erinnert Ihr Euch? - kein Vertrauen schenkte. Ich schlug vor, einen Arzt und auch einen presbyterianischen Pfarrer zu holen, da ich wußte, daß sie in diesem Glauben aufgewachsen war.