»Ich habe nichts vergessen.«
»Erinnert Ihr Euch noch, wie Ihr Eure Gemahlin hierherkommen ließet, um die Ursache ihrer Krankheit zu erforschen? Wie Ihr die Entdeckung machtet, daß es sich um eine Arsenikvergiftung handelte, von der wir nichts wußten? Wie sie sich dort niederlegte, wo Ihr jetzt liegt?«
»Ich habe nichts vergessen!«
»Wirklich! Ihr erschient ihr zuerst ganz verwandelt- und das gestand sie Euch auch -, als habe eine gute Seele bei Euch Einzug gehalten und ringe mit einer bösen. Dann aber mußtet Ihr unbedingt umschwenken und Euch schlimmer aufführen als Sir Nick selbst: Ihr verfluchtet die Rundköpfe und ihre ganze Rasse. Werft nur einen Blick auf den Bettpfosten, Sir! Dort könnt ihr noch das Loch im Holz sehen, wo Ihr bei diesem Fluch Euren Dolch einstießet!«
Fentons Gesicht war ausdruckslos. Er enthielt sich jeder Bemerkung.
»Doch der gute Geist gewann sozusagen bei Euch wieder die Oberhand. Aber was sollte Mylady davon halten? Was ging hier vor sich? Und als Ihr - wie sie mir auf dem Totenbett erzählte - sie dann leidenschaftlich küßtet und beinahe hier, wo Ihr jetzt liegt, mit ihr geschlafen hättet, da wußte sie, daß Ihr nicht Sir Nick Fenton wäret.«
»Was sagst du da, Giles?«
Giles verzog ironisch den Mund und schüttelte den Kopf. »Sir, Sir! Habe ich etwa nicht seit den ersten Stunden jenes Morgens gewußt, daß Ihr nicht im geringsten wie Sir Nick wäret?«
Fenton blickte ihn aus seinen Kissen heraus unbewegt an. »Es ist etwas spät am Tage, Giles, mich einen Schwindler zu nennen.«
»Schwindler?« rief Giles. »Wer redet denn davon? Ich nicht! Am Nachmittag vor dem Straßenkampf hätte ich Euch beinahe gesagt, was ich davon hielt.«
»Und . das war?«
»Da ich nichts von guten und bösen Geistern weiß«, erwiderte Giles, während er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, »möchte ich nicht gern darüber sprechen. Aber ich glaube doch, daß eine gute Seele irgendwie in Sir Nicks Körper gefahren ist und eine Wandlung hervorgerufen hat. Sonst ist das, was ich gesehen habe, Teufelswerk.
Woher hatte >Sir Nick< seine Erfahrung in Dingen der Medizin, so daß er Mylady wie durch ein Wunder von ihrer ersten Krankheit kurierte? Sir Nick hatte nur stümperhafte Kenntnisse im Lateinischen und Französischen; doch Ihr last im Studierzimmer, wie ich selbst gesehen habe, beide Sprachen. Woher hatte Sir Nick die besondere Handgelenksdrehung beim Degenfechten und ein halbes Dutzend Ausfälle, die er niemals kannte? Wer verlieh Euch die Gabe, die Zukunft zu lesen? Welche Hand lehrte Euch sogar das Kriegshandwerk?«
Giles' schrill gewordene Stimme brach ab, und seinen Worten folgte ein langes Schweigen.
»Giles.«
»Sir?«
»Sprich nicht von mir. Sprich von Mylady! Du gibst doch zu, daß der Brief an den Green-Ribbon-Klub von ihrer Hand geschrieben ist, nicht wahr?«
»Ja«, entgegnete Giles. »Sie haßte Sir Nick und hatte auch allen Grund dazu. Sie war standhaft in ihrem religiösen Glauben. Obgleich sie von Politik nicht viel verstand, glaubte sie an diese >gute Sache<, weil sie annahm, daß ihr Vater auch dafür eingetreten wäre. Sie war halb von Sinnen, als sie den Brief schrieb . Nun will ich Euch zeigen, Sir, was sie nur eine Viertelstunde später an denselben Green-Ribbon-Klub schrieb! Seht her!« Mit zitternder Hand faßte er in seinen Rock und zog zwei graue Briefe hervor. Den ersten, den Giles aufs Bett schleuderte, kannte Fenton nur zu gut. Giles faltete den anderen Bogen auseinander und hielt ihn Fenton vor die Augen, wobei er ihm mit der Kerze leuchtete.
Fenton erkannte Lydias Handschrift. Sie war aber bedeutend zittriger als in dem ersten Brief. Es war ihm, als könnte er Lydias Stimme hören oder sie neben sich liegen sehen.
»Vor einer Viertelstunde schrieb ich Euch, um Euch zu sagen, wo Ihr meinen Mann finden könntet. Ich kann jetzt nicht sagen, daß es eine Lüge war, sonst glaubt man mir nicht. Aber ich sage, ich war eine arme Verrückte und eine Törin. Eurer Landpartei sage ich dies: wenn Ihr ihm einen Schaden zufügt (was Ihr, glaube ich, nicht könnt, denn Ihr fürchtet seine Fechtkunst!), werde ich Euch bei allen Richtern als Mörder anklagen und meine Rolle dabei eingestehen. Ich sende diese Zeilen heimlich durch Job, den Stallknecht, in der Hoffnung, daß sie Euch eher erreichen als mein erster Brief. Aber ich werde Euch niemals mehr schreiben. Mit Gott für König Charles! wie er sagt. Und ich sage mich hiermit in aller Form von Euch los.
Lady Lydia Fenton.«
Giles wartete, bis er sah, daß Fenton die Zeilen mehrere Male gelesen hatte. Dann ließ er den Brief auf die Bettdecke fallen und stellte die Kerze wieder auf den Nachttisch. »Giles«, fragte Fenton, »woher stammt dieser Brief?«
»Es ist nicht ratsam, danach zu fragen«, erwiderte Giles schnippisch. »Ihr habt ihn gesehen, das genügt! Wenn er aus dem Tresor des Staatssekretärs Seiner Majestät kam . nun, es war Euer eigenes Geld, das ihn herausholte.«
»Es existierten, glaube ich, noch andere Briefe.«
»Sir, andere sind nicht vorhanden.« Fenton versuchte sich aufzurichten.
»Wirklich?« fragte er. »Nicht einer, der begann: >Wenn Ihr ihn das nächste Mal nicht tötet, werde ich den Green-Ribbon-Klub verlassen<?«
»Sir«, entgegnete Giles und blickte Fenton fest ins Auge, »ein solcher Brief ist nie geschrieben worden. Mr. Reeve hat das nachgewiesen. Ein gewisser Schurke, der Euch haßt und sich nicht scheut, Seine Majestät selbst zu betrügen .«
»Welcher Schurke?«
»Ich werde ihn nicht mit Namen nennen, bis Ihr kräftiger seid. Dieser Halunke gab vor, einen Brief gelesen zu haben - den kein anderer gesehen hat - , und schwor, er sei von Eurer Gemahlin. Seine Aussage? Pah! Nichts weiter als Lügen. Zum Beweis kann ich zehn Zeugen und den verdammten Spitzbuben selber herbeiholen!«
Fenton sank in die Kissen zurück und schloß die Augen. Eine Zeitlang lag er regungslos da, während der Diener mit knirschenden Schuhen auf und ab ging. Schließlich konnte Giles das Schweigen nicht länger ertragen. »Na, und was sagt Ihr nun dazu?«
Fenton hatte das Gefühl, als sei die Wunde tief in seinem Herzen aufgebrochen und habe wieder zu bluten begonnen. »Eure Gemahlin sah in Euch eine andere Seele in der äußeren Gestalt ihres Mannes«, sagte Giles mit unterdrückter Stimme, »und diese Seele liebte sie. Als sie im Sterben lag und Ihr nicht bei ihr wäret, dachte sie, ihr erster Brief habe die >Strafe des Himmels< auf sie herabbeschworen, und wünschte zu sterben. Sir, findet Ihr dies alles nicht jammervoll? Habe ich ihren guten Charakter wiederhergestellt, nun, wo sie nicht mehr bei uns ist?«
»Giles«, beteuerte Fenton, »ich bin ja der größte Dummkopf gewesen! Ich habe nicht überlegt. habe mir nicht träumen lassen .«
»Nun, nun«, sagte Giles besänftigend. »Ich hatte zuviel von Euch erwartet. Und ich habe Euch zu sehr geplagt. Dafür bitte ich Euch um Verzeihung.«
»Du bittest mich um Verzeihung? Du, dem ich meine Rettung verdanke?«
»Schon gut, schon gut«, brummte Giles und starrte verlegen zu Boden. Dann setzte er auf einmal eine geschäftige Miene auf und erklärte in strengem Ton: »Und jetzt muß ich meinen Pflichten obliegen. Ich muß nach unten gehen und den Wein aus dem Keller holen, den ich Lord George Harwell vor einiger Zeit versprochen habe. Er hat nicht einmal einen Tropfen Gerstensaft - ich schließe selbst diesen ein - , und wird schön toben.«
»Bleib, ich möchte .«
Doch Giles eilte schon hinaus und machte die Tür hinter sich zu. Fenton lächelte ein wenig und lehnte sich zurück. Reumütig dachte er an die absurde Vorstellung, die er von Lydia gehabt hatte. Am deutlichsten erinnerte er sich an die Nacht in ihrem Zimmer, als er aus dem Schlaf gerissen wurde, um gegen den Mob zu kämpfen. Es fiel ihm wieder ein, wie sie ihm den wattierten Schlachthelm gereicht hatte.
»Wenn du stirbst«, hatte sie dabei gesagt, »dann muß ich auch sterben.«