Auf seltsame Art war Fenton glücklich. Er hatte sich den Wind zweier Welten um die Ohren wehen lassen. Er wußte, daß der Teufel existierte und - Herr über allem -des Teufels Widersacher. Lydia war nicht tot. Er wandte den Kopf und richtete den Blick auf den Schrank, in dem die Degen und Dolche hingen. Seine Hand tastete nach seinem Herzen. Er konnte sich jederzeit zu Lydia gesellen, wenn er es wünschte. Er konnte .
»Sir!«
Fenton, aus seinen Gedanken aufgeschreckt, entdeckte Giles wieder neben dem Bett und witterte Unheil. »Sir«, sagte Giles, »da Ihr nun wieder zu Euch gekommen seid, möchte ich mir Eure Instruktionen holen, wie ich mit zwei Besuchern verfahren soll, die soeben unten eingetroffen sind. Sie gehören nicht zusammen und kommen in verschiedenen Angelegenheiten. Die eine dieser Personen - vielleicht nicht so wichtig - ist Madam York .«
»Meg York?«
»Ja, und ich muß sagen, sie sieht außerordentlich verstört aus. Ich habe sie in den Salon geführt und sie gebeten zu warten. Die andere Person ist ein Mann, den wir schon .«
»Ja?«
»Er kommt - das behauptet er wenigstens -, in einer Staatsangelegenheit. Er bläht sich auf wie ein Ratsherr und will keine Entschuldigung hören. Dieser Mann besteht darauf, Euch zu sprechen. Was soll ich nur mit ihm anfangen?«
»Ich werde schon mit ihm fertig werden«, erwiderte Fenton mit einem glücklichen, aber boshaften Lächeln. »Komm, hilf mir beim Ankleiden.«
»Sir«, rief Giles entsetzt. »Ihr wollt doch wohl nicht nach unten gehen. Euch fehlt die Kraft dazu!«
Aber Fenton hörte nicht auf Giles. Eine gewisse kaltblütige Entschlossenheit verlieh ihm die nötige Kraft. Er schlug die Decken zurück und schwang seine steifen Beine über die Bettkante. »Eine Staatsangelegenheit?« stieß er keuchend hervor. »Wollen's lieber eine politische Angelegenheit nennen, eine Angelegenheit der Grünen Lords, die auf Unheil bedacht sind. - Giles! Als du mich zu Bett brachtest, hast du da den Ring an meiner linken Hand bemerkt? Einen Kameenring, das Geschenk Seiner Majestät? Den muß ich jetzt tragen und auch meinen Clemens-Hornn-Degen.«
»Fürs Degenfechten seid Ihr noch nicht gesund genug! Es ist auch gar nicht erforderlich. Ich habe bereits einige kleine Instruktionen erteilt.« Er ließ seine Stimme sinken und blickte Fenton mit zusammengekniffenen Augen prüfend an.
»Aber vielleicht könnt Ihr doch schon Euren Mann stehen«, meinte er. »Das wäre gut, denn jetzt, glaube ich, droht Euch die allergrößte Gefahr!«
XX
Der Clemens-Hornn-Degen schwang an Fentons Hüfte. Fenton trug einen Rock aus blauem Samt, eine braungelbe Weste mit Goldknöpfen, blaue Kniehosen, braungelbe Strümpfe und Schuhe mit mittelhohen Absätzen.
Fenton ging auf unsicheren Beinen nach unten, um seinen Besucher zu treffen. Giles, der einen siebenarmigen Kandelaber trug, um ihm zu leuchten, konnte oder wollte ihm den Namen nicht nennen.
Fenton hatte den Eindruck, das ganze Haus sei von heimlichen Schritten belebt. Als er zuerst auf den oberen Flur trat, hätte er schwören können, er sah, wie Harry -einer der Diener, der in dem Kampf mit dem Mob schwer verletzt war - die zum Boden führende Treppe hinaufhumpelte.
Außerdem hörte er bald ein eiliges Tapsen und Jaulen, und im nächsten Augenblick umdrängten ihn die Doggen, allen voran der geströmte Donner. Sie spürten, daß er krank gewesen war, denn nicht einmal Donner sprang an ihm empor, um ihm die Pfoten auf die Schultern zu legen. Aber sie preßten sich dicht an ihn heran und leckten ihm ungestüm die Hände, als er sie streichelte. Sie wimmerten und blickten mit verdutzten Augen zu ihm empor. »Sachte!« mahnte Fenton, der sich bemühte, das Gleichgewicht zu halten. »Ganz sachte!«
Er ging hinter Giles die Treppe hinunter. Die Hunde folgten ihm auf den Fersen.
Giles stellte seinen Kandelaber auf den Endpfosten des Treppengeländers, und Fenton betrat die große untere Halle, wo er erstaunt stehenblieb.
Der Fußboden glänzte vor Sauberkeit, und alle Wandkerzen brannten in ihren Haltern mit hellem, aber weichem Licht. Die Halle war leer bis auf einen Mann, der im Rahmen der weitgeöffneten Haustür stand. Es war ein großer, schwerer Mann. Er trug einen scharlachroten Uniformmantel, der halb aufgeknöpft war, einen schweren Pallasch und am Halse ein üppiges Spitzenjabot. Auf seiner schwarzen, geölten Perücke thronte verwegen ein breitrandiger schwarzer Hut mit einer roten Feder. Sein breites Gesicht zierte ein schwarzer Schnurrbart, der so lang war, daß er in die Locken der Perücke hineinragte. Unter dunklen, buschigen Augenbrauen blickten zwei blaue Augen hervor. Im Augenblick war dieses Gesicht hochrot vor Zorn.
»Giles«, sagte Fenton, »hier scheint uns wieder ein grober Irrtum unterlaufen zu sein.« Dann lächelte er dem Besucher zu. »Sir, seid Ihr nicht Captain O'Callaghan vom Ersten Königlichen Dragonerregiment?«
»Ich habe diese Ehre«, erwiderte Captain O'Callaghan und nahm eine steife Haltung an.
»Sieh nur, Giles!« sagte Fenton und deutete mit dem Kopf nach draußen.
Vor der Tür lagen der Pfad und die Linden im Schein eines strahlenden Halbmonds. Jenseits der Bäume, gegenüber dem Haus, saß eine Reihe von Dragonern regungslos zu Pferd. Sie trugen das lange Schwert auf der linken Seite und über der linken Schulter eine Feuersteinbüchse oder leichte Muskete an einem ledernen Wehrgehenk.
»Hast du es denn ganz vergessen, Giles?« fragte Fenton. »Nun, dies ist doch der Captain, der nach unserem Kampf mit den Green-Ribbon-Leuten die Toten und Verwundeten wegschaffte.« Und Fenton trat vor und streckte die Hand aus, während Donner dicht an seiner Seite blieb.
»Captain«, fuhr Fenton in tiefer Aufrichtigkeit fort, »ich heiße Euch herzlich willkommen. Ihr müßt entschuldigen, daß ich Euch warten ließ, aber ich bin krank gewesen, und mein Haushalt ist etwas in Unordnung geraten, seitdem meine . meine Frau . « Er verstummte allmählich. Hier stimmte etwas nicht. O'Callaghan, der vor Verlegenheit tief errötete, blieb in steifer Haltung stehen, ohne seine Hand auszustrecken. »Was hat dies zu bedeuten?« fragte Fenton mit leiser Stimme.
»Sir Nicholas«, stieß der Captain hervor, »ich halte Euch hoch in Ehren; hol mich der Teufel, wenn's nicht wahr ist. Ich finde wenig Geschmack an diesem Auftrag, das will ich ganz offen bekennen. Aber es ist meine Pflicht, nicht wahr?« Es lag ein fast flehentlicher Ton in seiner Stimme. »Zunächst aber ein Wort mit Euch!« Captain O'Callaghan deutete mit seiner Hand, die in einem langen schwarzen Lederhandschuh steckte, auf Giles. »Euer Bursche da!« sagte er verächtlich. »Stopft ihm den Mund, Sir Nicholas. Stopft ihm den Mund, sag' ich, sonst, bei Gott, werde ich es besorgen, indem ich ihm meinen Degen in die Kehle ramme!«
»Wenn Ihr in meinem Hause seid, Sir«, erwiderte Fenton mit allzu großer Höflichkeit, »werdet Ihr es vielleicht mir überlassen, den Dienern Befehle zu erteilen. - Giles, hast du Captain O'Callaghan Anlaß zur Beschwerde gegeben?« Giles spitzte die Lippen.
»Ich befürchte es, Sir. Aber Ihr seid jetzt hier und könnt selbst über seinen >Auftrag< urteilen. Doch überzeugt Euch erst davon, daß er nicht vom Green-Ribbon-Klub kommt.« Eine Pause.
»Woher?« brüllte Captain O'Callaghan, baß erstaunt.
»Ich meine damit, Sir Captain, Mylord Shaftesbury und seine Landpartei.«
O'Callaghans Erstaunen verwandelte sich in schäumende Wut. Instinktiv machte er eine kurze Handbewegung nach seinem Degengriff, die bei Donner, der zitternd neben Fenton saß, ein so bösartiges Knurren auslöste, daß der Dragoner rasch wieder den Kopf wandte.
»Halt!« rief Fenton.
Da es ihm an Kraft fehlte, die Dogge zurückzuhalten, beugte er sich über Donner und sprach beruhigend auf ihn ein. Doch es wurde ihm dunkel vor den Augen, als er sich bückte, und er mußte sich rasch wieder aufrichten.