»Dann seid Ihr also alle dem Verrat zugetan?« rief er. »Und gewillt, dem Befehl des Königs zu trotzen?«
»Das nicht«, erwiderte George gelassen. »Wir verteidigen nur Nick Fenton.«
»Aber ich sage Euch, Mann, es ist töricht! Warum tut Ihr das?«
George brüllte zurück:
»Zu lange hat Nick Fenton die Lasten des Kampfes allein getragen! Zu lange hat Gott oder der Teufel ihm Stiche in den Rücken versetzt! Zu lange hat er sich für die Interessen aller eingesetzt, nur nicht für seine eigenen. Und nun soll diese Mühe nicht vergeblich gewesen sein!«
Von der Gruppe hinter ihm erhob sich ein mörderisches Geschrei, das als Beifallsruf gedacht war.
Und draußen hinter den schattigen Linden, im Schein des Halbmondes, regten sich die Dragoner ebenfalls. Ein Pferd bäumte sich wiehernd auf. Jemand stieß einen kräftigen Fluch aus. Ein leichtes Getrappel wurde hörbar, als der Kornett die Reihe entlangritt und einen Befehl erteilte. »Legt an!«
Whip, Job, Big Tom, Sam und sogar Giles antworteten darauf mit einem wahren Freudengeheul. Hinter sich konnte Fenton das dumpfe Geräusch hören, als seine Anhänger die schweren Musketen zum Abfeuern auf die Gestelle legten.
Fenton schossen mancherlei Gedanken durch den Kopf, und er bemerkte nicht einmal die offene Tür zum Salon, in der Meg York stand, die dort seit dem Augenblick gewartet hatte, als Fenton die Treppe herunterkam. Ihre Unterlippe war blutig gebissen, und der eigentümliche Blick in ihren Augen war schwer zu deuten.
»Halt!« rief Fenton und hob die Hand. Mit dieser Bewegung machte das zornige Gemurmel, ja sogar das Knurren der Doggen, tiefem Schweigen Platz.
Fenton ging allein auf den Captain zu. O'Callaghan, die Hand über dem Degengriff, beobachtete ihn vorsichtig.
»Captain«, sagte Fenton mit ruhiger Stimme, »ich möchte .«
Und dann geschah's. Die Schwäche überwältigte ihn. Ihm wurde schwindelig, und sein Fuß glitt auf den glatten Dielen aus. Zu seinem Entsetzen schlug er der Länge nach zu Boden und empfand die Demütigung als einen brennenden körperlichen Schmerz. Der Dragoner blickte auf das schwergeprüfte Gesicht des Mannes hinab, der krampfhaft versuchte, sich aufzurichten. Nach einem kurzen inneren Kampf fühlte der Captain seinen Zorn dahinschmelzen.
»Ach, hol's der Teufel!« murmelte er. Und dann mit schroffem Respekt: »Mit Verlaub, Sir Nicholas.«
Damit beugte er sich über Fenton und half ihm wieder auf die Beine, während die rote Feder auf seinem breitrandigen Hut wie eine Schiffsflagge dippte.
»Prinz Rupert selbst«, erklärte O'Callaghan mit lauter Stimme, »hat oft infolge von Wunden oder Nahrungsmangel Schwächeanfälle erlitten. Ihr braucht Euch deswegen nicht zu schämen . Bei Gott, Sir! Meine ganze Hochachtung, daß Ihr überhaupt hier seid!«
Es war, als übten diese Worte eine seltsam besänftigende Wirkung auf alle Männer in der Halle aus.
»Ich danke Euch für Eure Höflichkeit«, sagte Fenton. »Ich hatte Euch nur sagen wollen, daß meine Worte hastig und unüberlegt waren. Der Mörder meiner Frau .«
Hier wurde Captain O'Callaghan abermals von Bestürzung erfaßt.
».der Mörder meiner Frau ist noch nicht der Gerechtigkeit überführt. Das muß ich erreichen, anstatt mich mit anderen herumzuschlagen. Ferner dürfen meine Diener kein Blut mehr für mich vergießen. Zum Schluß danke ich Euch für Eure Geduld, Sir, und ergebe mich als Euer Gefangener.«
Captain O'Callaghan blickte zu Boden, dann zur Decke, in der Tat nach allen Richtungen, bloß nicht auf Fenton. »Nun«, sagte er schließlich verlegen, und abermals: »Nun!«
»Ich bin bereit. Hm - darf ich vielleicht ein paar Bücher mitnehmen?« sagte Fenton. »Bücher?» fragte Captain O'Callaghan verblüfft. »Ach so, Bücher. Hem! Nun, sie können Euch morgen geschickt werden, zusammen mit Kleidung und Bettzeug. Mittlerweile .« Im hinteren Teil der Halle herrschte plötzlich ein ziemlicher Tumult. Dann ließ sich die harsche Stimme des Kutschers Whip hören.
»Sir«, rief er grimmig, »was soll mit der Pamphlin geschehen?« Fenton warf einen Blick über die Schulter und sah, daß sie Judith Pamphlin heraufgebracht hatten. Ihre Hände waren mit einer Kette auf dem Rücken gefesselt. Mit einem heftigen Stoß schob Whip die Frau nach vorn.
Sie hatten ihr ein sauberes Kleid über den hageren Körper gezogen, um Spuren der Mißhandlung zu verdecken. Ihr Haar war wirr und hing ihr bis auf die Schultern herab. Das lange Gesicht war schmutzig und grün und blau geschlagen. Es hätte Mitleid erregen können, wenn in ihren lebhaften Augen nicht ein boshafter Haß gebrannt hätte.
Fenton warf ihr einen kurzen Blick zu und kam zu einem Entschluß.
»Sie ist nur ebenso fanatisch als Rundkopf wie ich als Kavalier«, sagte er und blickte zur Seite. »Laßt sie ungestraft in Frieden ziehen.«
»Sir!« stieß Whip hervor.
»Das ist mein Befehl.«
Es wurde kein Protest mehr geäußert. Aber aus der Tiefe der Halle kam ein seltsames Fauchen, das sich sehr häßlich anhörte. »Laßt uns gehen«, sagte Fenton hastig.
»Ich muß um Euren Degen bitten.« Wieder wurde Captain O'Callaghan puterrot vor Verlegenheit. »Das heißt«, fügte er rasch hinzu, als er sah, wie Giles Collins leise vortrat und seinen Degen fester umklammerte. »Ihr braucht ihn nur hier zurückzulassen.«
Langsam schnallte Fenton sein Degengehenk ab, und nur mit großem Widerstreben warf er Giles seinen Degen zu, der ihn geschickt auffing. »Ich werde ihn so bald nicht wieder brauchen«, sagte Fenton.
»Das mag zutreffen. Und doch habe ich so eine Ahnung«, erwiderte Giles, »als ob es zu einem letzten großen Kampf käme.«
Alle fuhren plötzlich zusammen. Ein heiserer Triumphschrei entrang sich Judith Pamphlins Kehle.
»Ah, jetzt wird der stolze Mann als Verräter abgeführt«, rief sie, so daß die Männer unruhig mit den Waffen klirrten. »Sehet nur, er, der meine Herrin verführt hat, sich der Lust des Fleisches hinzugeben und ein sündhaftes Leben zu führen, ist durch die Macht des Herrn zu Boden geschlagen! Wie es im Buch der Offenbarungen geschrieben steht, soll er von dem Wein des Zornes Gottes trinken!«
Die Frau zitterte in ihrer Ekstase so heftig, daß selbst die Kette rasselte, mit der sie gefesselt war. »Ich stehe zu Eurer Verfügung, Captain«, sagte Fenton.
Spät an diesem Abend, lange nachdem Fenton mit den Dragonern davongeritten war, versammelten sich sämtliche Diener unten in der Küche. Sie bildeten einen Kreis um das rauchende Feuer, um über Judith Pamphlin zu Gericht zu sitzen. Wenig Worte wurden gewechselt. Keine Auspeitschung fand statt. Das Urteil bestand nur in einem Kopfnicken. Big Tom griff sie bei den Haaren, hielt ihren Kopf und ihre Schultern über ein Holzfaß und schlitzte ihr langsam die Kehle auf, während die Ratten unbeachtet umherhuschten. Sie begruben sie im Hintergarten und legten die Rasenstücke so geschickt wieder an ihren Platz, daß keiner jemals hier ein Grab vermutete.
XXI
Einer der Löwen brüllte in dem Käfig. Dazwischen ertönte der durchdringende Schrei eines Panthers.
Die Menagerie im Tower von London war dem Publikum gegen Entrichtung eines kleinen Eintrittsgeldes zugänglich. Laut erhob sich das Geschrei der Menge, wenn sie neugierig unter einem vom Rauch und Ruß der City verdunkelten Himmel dem langen Zwinger zustrebte.
Colonel Howard hörte das Getümmel, als er den Postengang auf der südlichen Festungsmauer neben dem Fluß entlangschlenderte. Colonel Howard, der Vizegouverneur des Towers, hätte niemals beim Militär sein sollen. Das feingeschnittene Gesicht unter dem gewölbten Schädel war das eines Gelehrten oder eines Träumers. Colonel Howard war beides.
Obgleich der Spätnachmittag sehr heiß war, hüllte er sich fester in den langen, bis zu den Füßen reichenden Mantel. Vor langer Zeit hatte er sich in den Niederlanden ein Fieber zugezogen, und ihm war daher oft kalt. Sein kurzer Spitzbart und kleiner Schnurrbart verliehen ihm ein spanisches Aussehen. Hinter ihm trampelte einer der Wärter, ein beleibter, hitziger Mann, in der seit Heinrich dem Achten traditionellen Tracht der Wärter: rotes Wams, rote Strümpfe und flache schwarze Samtmütze.