Выбрать главу

»Colonel Howard«, zischte der Wärter mit geheimnisvoller Stimme. Dreist berührte er den Ärmel des Vizegouverneurs und steckte seine dicke Nase weit vor. »Was geht eigentlich vor sich? Was für Teufelswerk ist für diese Nacht geplant? Ist es Mord?«

Colonel Howard betrachtete ihn mit leicht gerunzelter Stirn. »Habt Ihr denn etwas von Mord gehört? Wenn ja, dann sprecht Ihr reichlich spät.«

Der Wärter wich, hastig protestierend, zurück. Ihm fehlten die Worte, um zu erklären, daß unter den Wächtern und Rotröcken dieser alten Festung ein Gerücht umlief, wonach heute abend etwas Schreckliches hier geschehen würde.

»Kommt«, forderte ihn Colonel Howard voller Geduld, aber mit zusammengekniffenen Augen auf, »sprecht Euch offen aus!«

Der Wärter deutete aufs Geratewohl auf den runden, gedrungenen, aus rauhen Steinen erbauten Middle Tower, den mittleren Turm der aus Türmen bestehenden Festung, dessen schwervergitterte Tür auf den Postengang hinausführte.

»Sir Nick Fenton, der Teufel in Samt«, sagte er heiser, »ist seit zwei Wochen dort eingeschlossen. Bei Gott, Sir! Als sie ihn brachten, hielt ich ihn für einen alten Mann.«

»Es ging mir genauso«, sagte Colonel Howard geistesabwesend. »Ah! Aber gutes Essen und Wein haben in zwei Wochen Wunder gewirkt. Er hat wieder Fleisch angesetzt und Muskeln entwickelt. Jetzt läuft er unruhig hin und her wie der Panther im Käfig. Und mit einem Blick . einem Blick .«

Colonel Howard, der seinen Gefährten fast vergessen hatte, nickte, in Gedanken versunken.

»Als wenn er etwas Grauenvolles hinter sich hätte«, murmelte der Vizegouverneur, »was er eben erst überwunden hat. Die Erinnerung ist immer noch in seinen Augen aufgespeichert.«

Der Wärter stand ganz verblüfft vor diesem Engländer mit dem Gesicht eines Spaniers. Mit dem Schaft seiner kurzen Partisane stieß er auf die alten Steine.

»Mit Verlaub, Colonel, ein finsterer, häßlicher Blick ist ein finsterer, häßlicher Blick, weiter nichts! Aber wer unter uns hat schon von einem Gefangenen im Middle Tower gehört? Warum nicht der Beauchamp Tower wie üblich? Dort ist er fest und sicher. Aber im Middle Tower, dessen Tür direkt hier auf den Postengang führt? Und werft einmal einen Blick hierher!«

Der fette, rotgekleidete Wärter lehnte sich in eine Scharte der Brustwehr. Unten lag ein langer Kai, der sich der ganzen Südseite der Festung entlangstreckte. Eine lange Reihe schwerer Geschütze aus Eisen oder Messing war zum Schutz gegen einen Angriff vom Fluß her aufgestellt.

Damit aber der Fluß als ein natürlicher Festungsgraben diente, war der Kai weiter draußen, in einiger Entfernung von der Mauer, gebaut worden. Die Themse floß dunkel und gemächlich unter ihrer Dunstdecke dahin. Doch zwischen den Pfeilern des Kais und der Mauer zischte und schäumte das Wasser in weißen Massen.

»Nur eine Tür«, meinte der Wärter, »steht zwischen dem Teufel in Samt und einem Sprung in die Tiefe. Wir könnten ihn wohl mit Musketen beschießen, ja, aber .«

Keuchend wandte er sich um und brach jäh ab. Colonel Howard hatte nicht einmal zugehört. Er stand da und betrachtete nachdenklich die aus rauhem Stein gebauten Türme innerhalb der Ringmauer.

»Diese Steine sind zu alt und zu voll von Knochen«, sagte Colonel Howard. »Zu viele Männer sind hier gestorben. Ihr Geist geht in den Mauern um. William Brown, habt Ihr niemals Angst?«

Der Wärter starrte ihn an. »Ich, Sir?«

»Dann seid Ihr glücklich. Ich fürchte mich oft.«

Löwengebrüll, vermischt mit dem Lachen von Kindern, schallte vom Zwinger herüber. Der Ausdruck im Gesicht des Vizegouverneurs änderte sich unmerklich, und Wärter Brown spürte eine seltsame Unruhe.

»Was Eure Befürchtungen angeht«, murmelte Colonel Howard, »so tragt Ihr sie wohl besser Sir Robert vor.« Er meinte den Gouverneur des Towers, einen strengen Zuchtmeister. »Nun öffnet mir diese Tür zum Middle Tower und haltet draußen Wache, während ich mit dem Gefangenen spreche.«

Der Wärter gehorchte. Sobald Colonel Howard eingetreten war, wurden draußen die Riegel klirrend wieder vorgeschoben. Der Vizegouverneur stand in einem runden Gemach mit Steinwänden, das zwar sehr heiß und bedrückend, aber doch recht geräumig war und Fenster hatte. Die Gefangenen im Tower litten selten so sehr wie die im Newgate-Gefängnis.

»Ich bringe Euch eine Nachricht«, sagte Colonel Howard zu Fenton.

Dieser stand mitten im Raum an einem Tisch. »Eure Nachricht habe ich längst erraten«, sagte er finster. »An dem Abend als sie mich verhafteten, war ich zu erschüttert, um nachzudenken. Aber ein Freund - nennen wir ihn Mr. Reeve - hatte mich bereits gewarnt vor dem, was geschehen könnte. Nun bin ich angeklagt, der Führer einer katholischen Verschwörung zu sein, die sich mit Blut und Feuer gegen London richtet. Beachtet bitte, wie gut sich alles zusammenreimt: von einer sogenannten katholischen Mätresse bis zu einer französischen Köchin namens Madame Taupin, einer Katholikin. Man riet mir sogar, eine Audienz beim König zu suchen, der mich dann selbst zu einer Audienz einlud. Und nun bin ich hier.«

Ohne etwas darauf zu erwidern, zog Colonel Howard einen Stuhl hervor und nahm am Tisch Platz, auf dem mehrere lange Tonpfeifen mit einer irdenen Tabakschale und ein Haufen Bücher lagen. »Nein«, entgegnete er schließlich, »das ist nicht meine Nachricht.« Dann setzte er hinzu, als ob es belanglos wäre: »Ich glaube, ich habe Euch jeden Tag seit Eurer Einkerkerung besucht.«

»Wofür ich Euch von Herzen dankbar bin.«

»Wir haben uns über Geschichte, Literatur, Architektur, Astronomie unterhalten.« Colonel Howard seufzte beinahe, und sein Blick glitt liebevoll über die Bücher. »Nein, das Vergnügen war ganz meinerseits! Doch haben wir nie über Eure - persönlichen Angelegenheiten gesprochen.«

»Nein. Niemals.«

»Ich wage anzunehmen«, sagte Colonel Howard und blickte Fenton mit scharfen, durchdringenden Augen an, »daß Ihr jetzt allen Menschen auf dieser Erde Mißtrauen entgegenbringt.« Fenton zuckte nur die Achseln, ohne etwas zu erwidern. Er war so angespannt wie ein lauernder Panther.

»Na, ich bin nicht neugierig!« versicherte ihm Colonel Howard. »Aber ich darf wohl vermuten«, setzte er gelassen hinzu, »daß Ihr mindestens einmal dem Teufel begegnet seid. Habe ich recht?«

Fenton, der den Colonel ebenfalls anstarrte, spürte die erste Besorgnis seit vielen Tagen. Unwillkürlich legte er die Hand über die Augen.

»Fürchtet niemals Verrat von mir!« sagte Colonel Howard sanft. »Da Ihr jedoch keinem Menschen mehr traut, werdet Ihr mir wahrscheinlich nicht glauben.« Nachdenklich fuhr er fort: »Ich selbst bin dem Teufel noch nie begegnet. Aber ich weiß, daß er existiert, über die Erde geht und jeden Augenblick in unserer Mitte auftauchen kann.«

Fenton lächelte nur wie über einen kleinen Scherz. »Ihr sagtet doch«, erwiderte er höflich, »daß Ihr eine Nachricht für mich hättet.«

»Stimmt, stimmt.« Colonel Howard blickte rasch um sich und stand hastig auf. »Laßt uns etwas abseits ans Fenster treten.« Die ehemaligen Schießscharten waren schon zu Zeiten der Tudors in Fenster verwandelt worden. Sie waren allerdings klein und schwer vergittert. Colonel Howard trat mit Fenton an ein Fenster, das nach Westen blickte. Unter ihnen lag ein Wallgraben. Ein Damm führte über den Graben zum Byward Tower, und dahinter lag der Zwinger mit den lärmenden Menschen. »Nun vergeßt den Teufel«, sagte Colonel Howard mit sehr leiser Stimme. »Ich bringe Euch eine private Botschaft von Sir Robert selbst. Heute abend, zu später Stunde, werdet Ihr einen Besucher haben.«

»Wirklich?« Fentons Herz klopfte schneller. »Was für einen Besucher?«