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»Eine Dame. Oder vielleicht auch nur eine Frau. Ihr Name oder Rang ist mir nicht bekannt.«

»Eine Frau?«

»S-ss-t! Dicht an der Tür, die auf den Postengang führt, ist ein Fenster, und draußen steht ein Wärter, der sich verzehrt vor Neugierde.«

»Aber nein, dieser Besuch! Innerhalb des Towers? Nach dem Zapfenstreich?«

»Ich kann Euch nur sagen, was mir aufgetragen worden ist«, erwiderte der Colonel. In seine Augen trat vorübergehend ein belustigter Blick. »Sir Robert weiß auch nicht viel mehr; das nehme ich jedenfalls an. Dieser kleine Betrug konnte nur von jemandem in hoher, machtvoller Stellung arrangiert werden.«

»Aber was ist der Zweck dieses Besuches?« erkundigte sich Fenton. »Ich kann mir nicht vorstellen«, setzte er ironisch hinzu, »daß der Wirt dieses guten Gasthauses mir sogar ein Frauenzimmer zur Verfügung stellt, um mich zu belustigen.«

»Nein, das ginge zu weit.« In verändertem Ton fuhr Colonel Howard fort: »Man hat mich nur instruiert, Euch zu sagen, daß sie Euch eine Botschaft von äußerster Wichtigkeit bringen wird. Ihr werdet zuhören und ihr gehorchen. Sie ist zuverlässig .«

»In der Tat?«

». und handelt in Eurem Interesse. Das ist alles.« Colonel Howard gab jetzt den Flüsterton auf und fuhr in normaler Stimme fort: »Möchtet Ihr nun wohl etwas Neues hören über einen Freund, den Ihr vorhin erwähntet und der sich, wie ich vernehme, in einer gewissen Angelegenheit mächtig für Euch eingesetzt hat? Mr. Jonathan Reeve?«

»Mr. Reeve!« rief Fenton und umklammerte die Eisenstäbe am Fenster. Er war wirklich erfreut. »Was könnt Ihr mir von ihm berichten?«

»Er ist belohnt worden, Sir Nicholas. Genau Eurem Wunsch entsprechend.«

»So? Und von wem?«

»Von Seiner Majestät, dem König.«

»Ich bitte Euch um Verzeihung, Colonel Howard. Aber ich gestatte mir, das anzuzweifeln.«

»Nehmt Euch in acht, Sir Nicholas«, warnte sein Gefährte. »Ich kann viel verzeihen. doch bin ich immer noch ein Offizier des Königs und Vizegouverneur des Towers.«

»Wie Ihr mich doch erschreckt!« sagte Fenton spöttisch. »Vor vierzehn Tagen war ich krank und beschämt. Jetzt bin ich wieder bei Kräften. Ruft Eure Wachen, mein guter Herr, und dann wollen wir mal sehen, was ein Mann mit einem Tischbein oder Stuhl gegen sie ausrichten kann.« Colonel Howard hörte nicht einmal zu.

»Dann möchtet Ihr also nicht hören, wie Euer guter, standhafter Freund schließlich zu seinem wohlverdienten Lohn kam?« sagte er ruhig.

Fenton blickte zögernd zu Boden. Dann nickte er. Colonel Howard kehrte wieder zum Tisch zurück, wo er sich hinsetzte und einen Band von Juvenals Satiren in die Hand nahm. »Ich selbst war Zeuge dieser Szene«, sagte er, während er müßig in dem Buche blätterte. »Ich verlasse den Tower nur selten. Vor zwei Tagen aber schickte mich Sir Robert mit einer Nachricht zum König. Seine Majestät spielte mit mehreren anderen in der Mall, unterhalb der grünen Terrassen, das Mailspiel. Plötzlich gab der König ein Zeichen, und das Spiel wurde abgebrochen. Ich sah, wie dieser Jonathan Reeve, von Mylord Danby gestützt, auf seinen gichtgeschwollenen Beinen herankam. Er wußte nicht, was ihm bevorstand. In seinem schäbigen Gewand humpelte er direkt auf den König zu; in stolzer Haltung, bis er am Ziel war. Dann fiel er sofort aufs Knie und beugte sein greises Haupt tief herab.

Ein paar der Umstehenden fingen an zu lachen; doch ein Blick des Königs ließ sie verstummen. Der König selbst, dessen Rock und Perücke mit Staub bedeckt waren, schien zuerst ein wenig verlegen.

>Nein, ich schlage Euch nicht zum Ritter<, sagte er. Dann klang seine gewaltige Stimme wie eine Trommel. >Aber steht auf, Graf von Lowestoft, Vicomte Stowe, und nehmt Euren angestammten Platz wieder ein. Die Rückgabe des Titels und der Güter ist nur eine armselige Belohnung für einen, der sich bewährt hat wie Ihr.< Und Jonathan Reeve, Graf von Lowestoft, flüsterte nur ein einziges Wort: >Majestät!< Alle drängten sich um ihn herum, um ihm zu helfen und ein paar höfliche Worte mit ihm zu wechseln. Aber kaum eine Viertelstunde später war er tot.«

Colonel Howard hielt inne. Dann warf er plötzlich den Band von Juvenals Satiren mit einem Knall auf den Tisch, daß der halbhypnotisierte Fenton erschreckt auffuhr.

»Tot?« wiederholte Fenton.

»Allerdings.«

»Warum so schnell?«

»Nun, der Mann war achtzig«, erwiderte Colonel Howard. »Diese Gunstbezeigung nach jahrzehntelangem Leben im Elend hat er nicht überstanden. Auf der Heimfahrt in des Königs eigener Kutsche schien er friedlich zu schlummern, bis der Kutscher plötzlich einen schwachen Schrei vernahm: >Mit Gott für König Charles!< Mit diesen Worten auf den Lippen ist er gestorben.« Fenton ging langsam zu seiner Pritsche. Er setzte sich auf die Strohmatratze und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Auch ich sehne den Tod herbei, seit vielen Jahren - seit dem Augenblick, als meine Frau schreiend in dem Großen Feuer umkam«, sagte der Colonel leise.

»Ihr hattet also eine Frau?« fragte Fenton.

Er erhob sich von seinem Lager und trat an den Tisch, wo er mit einem seltsamen Blick auf seinen Gefährten herabblickte. »Auch ich hatte eine Frau«, fügte er hinzu. »Sie ist ebenfalls tot. Man hat sie vergiftet.«

»Vergiftet?«

Aus Colonel Howards Blick war deutlich zu lesen, daß dieses Geheimnis gut gehütet worden war. Keine Behörde wußte davon. »In dieser Zelle, die Ihr mir zur Verfügung gestellt habt«, stieß Fenton hervor, »habe ich viel darüber nachgedacht. Ich kann Euch sagen, wer meine Frau vergiftet hat. Ja, ich kann es sogar beweisen! Aber es ist mir nur möglich, wenn ich schreiben oder mich mit meinen Freunden außerhalb des Towers in Verbindung setzen darf. Bisher hat man mir keinen Besuch gestattet. Man hat mir nicht einmal Tinte, Feder und Papier gelassen. Warum eigentlich nicht?«

»Das kann ich nicht sagen. Es wurden mir keine Gründe genannt.«

Fenton rüttelte an dem Tisch, bis die Bücher zu Boden fielen. »Ihr habt gehört, Sir, daß ich die gegen mich erhobenen Anklagen erraten habe. Laßt mich die Liste der Anklagen noch verlängern. Hört zu! Habe ich nicht vor dem Mob, der mein Haus angriff, ausgerufen, daß ich ebensogut ein Katholik sein könnte? Habe ich nicht die Frage des Führers, ob ich die Gabe besitze, die Zukunft vorauszusagen, mit >ja< beantwortet?«

»Hm! Habt Ihr etwa auch von irgendeinem Pakt mit dem Teufel gesprochen?«

»Nein. Aber ich wäre durchaus dazu imstande gewesen.«

»Das will ich gern glauben, bin aber nicht im geringsten darüber erzürnt.«

»Colonel, ich bin kein Verräter! In dieser Welt habe ich nur das Verlangen, die Person, die meine Frau vergiftet hat, der Gerechtigkeit zuzuführen. Darf ich nicht einen Brief oder wenigstens eine mündliche Botschaft von hier senden?«

»Es steht nicht in meiner Macht, es zu erlauben.«

»Darf ich dann um eine Unterredung mit dem Gouverneur des Towers bitten?«

»Certes, Sir Nicholas, diesen Antrag dürft Ihr stellen.«

»Mit anderen Worten«, sagte Fenton und beugte sich über ihn, »meine Bitte wird nicht gewährt?«

»Ich habe keine Instruktionen.«

Obgleich Colonel Howard sich nicht im geringsten vor dem Gefangenen fürchtete, stand er auf und stellte sich hinter seinen Stuhl.

»Ich bedaure sehr«, sagte er, »aber meine Zeit hier ist um.« Zum erstenmal erhob er die Stimme: »Wärter! Öffnet mir die Tür!« Draußen vor der Tür wurde das Rasseln eines Schlüsselbundes laut.

»Unsere Unterhaltungen über Geschichte und Poesie«, bemerkte Colonel Howard mit Wehmut, »haben mich sehr ergötzt. Ich hege keinen Groll gegen Euch. Denkt an meine Worte: eine Frau wird Euch zu später Stunde aufsuchen. Tut, was sie verlangt.« Ein schwerer Schlüssel drehte sich im Schloß, und in dem Türspalt erschien die scharfe, glänzende Klinge der Partisane des Wärters. »Denkt daran!« sagte Colonel Howard zum zweitenmal. Als er mahnend den Finger hob, besaß er eine unheimliche