»Vorsichtig mit dem Rasiermesser, Frechdachs! Ich könnte ebensogut mit einem zweihändigen Schwert rasiert werden!«
»Seid unbesorgt«, murmelte Giles. »Es wird federleicht sein.«
Und so war es auch. Fenton spürte das Messer kaum, selbst nicht am Nacken und am Kiefer.
»Was Männer anbelangt«, fuhr Giles fort, »so ziemt es sich, besonders für Standespersonen, daß sie gelegentlich ihren ganzen Körper waschen. Auch sollten die Fenster eines Hauses häufig geöffnet werden, um die nächtlichen Gerüche zu entfernen.«
»Potz Blitz!« rief Fenton heftig und richtete sich so unvermittelt auf, daß nur Giles' Geschicklichkeit verhinderte, daß ihm die Kehle durchschnitten wurde. »Warum ist dann aber ein so widerlicher Gestank in diesem Hause?«
Giles wischte den Schaum mit dem Nackentuch ab und zuckte wie ein Franzose die Achseln.
»Nun, mein Herr, als wenn das meine Schuld wäre und nicht die Eure.«
»Meine Schuld? Wieso?«
Diesmal zuckte Giles die Achseln, daß sie fast bis zu den Ohren reichten.
»Unser Keller ist zur Hälfte mit Kloakenwasser angefüllt, und man weiß nicht, wohin damit.« Giles blickte traurig drein. »Und Ihr seid ein Parlamentsmitglied, ein Königstreuer und der glühendste Anhänger der Hofpartei. Wohl ein halbes hundertmal habt Ihr geschworen und dabei mit der Faust auf den Tisch geschlagen, daß Ihr Euren Mund öffnen und gemeinsame Sache mit Sir John Gilead machen wolltet, um ein Rohr bis zum Hauptabzugskanal legen zu lassen. Doch immer habt Ihr es wieder vergessen.«
»Diesmal aber nicht, das kann ich dir versichern«, gelobte Fenton und ließ seinen Nacken noch einmal zurücksinken, um die Qual der Stuhllehne und die letzte Rasur über sich ergehen zu lassen.
»Allerdings«, murmelte Giles, »steht uns ein dritter Weg offen.«
»So?«
»Gewiß, wir könnten alles in die Straße pumpen lassen, wie Sir Francis North es getan hat. Aber ich fürchte, das würde unsere Nachbarn arg vexieren.«
»Ei ja«, meinte Fenton. »Roger North erzählt die Anekdote in seiner Biographie von« - er korrigierte sich rasch -, »Mr. North erzählt es jedem, der es hören will, wenn er ein paar Halbe in der Teufelsschenke innerhalb von Temple Bar geschmettert hat.« Das Rasiermesser hielt inne. Fenton spürte, daß alle Keckheit und Schwatzhaftigkeit von Giles abgefallen waren, daß sich eine leise Furcht seiner bemächtigt hatte.
»Aber sicherlich«, warf Giles rasch ein, »würdet Ihr keinen Becher Wein in der Teufelsschenke trinken? So dicht beim >Königshaupt< an der Ecke von Chancery Lane?«
»Und warum etwa nicht?«
Hier machte Fenton, ohne es zu wissen, seinen ersten großen Schnitzer. Fenton, so eifrig darauf bedacht, sich nicht in Kleinigkeiten zu verraten, hatte einen wichtigen Punkt unbemerkt gelassen. Er hatte gewußt, daß Sir Nick ein Parlamentsmitglied und ein Anhänger der Hofpartei war. Es hatte ihn in hohem Maße gefreut, da er für diese Ära denselben politischen Standpunkt vertrat. Doch im Augenblick verband er diese Tatsachen nicht mit der Schenke »Königshaupt«. Dieser Name spielte auf die Enthauptung von König Charles dem Ersten im Jahre 1649 an. Die Hinrichtung erfolgte auf Betreiben von Cromwell. Der frostige graue Himmel schien auf einen frostigen, übelriechenden Raum herabzupressen.
»Nun beugt Euren Kopf nach vorn über das Waschbecken«, sagte Giles, »damit ich Euer Gesicht waschen kann.«
Zwanzig Minuten später stand Fenton, völlig angekleidet, vor einem langen Spiegel und betrachtete sein Ebenbild mit ungläubigem Staunen. Die glänzende schwarze Perücke, deren Locken ihm über die Schultern fielen, hätte über dem Gesicht des Professors mit seinem Kneifer recht lächerlich gewirkt. Doch als Rahmen für das breite, dunkelbraune Gesicht Sir Nicks mit seinen finsteren grauen Augen und seinem dünngezeichneten Schnurrbart paßte sie ausgezeichnet.
Der schwarze Samtrock war ziemlich lang - er reichte fast bis zu den Knien -, aber bequem. Obgleich er lose herabhing und nie geschlossen getragen wurde, hatte er eine kurze Reihe silberner Knöpfe auf der rechten Seite.
Fenton hatte von Giles keine Juwelen bekommen, wofür er sehr dankbar war. Am Halse trug er nur ein kurzes Spitzenjabot über einer langen, schwarzen, rotgeschlitzten Seidenweste. Dann kamen Kniehosen aus schwarzem Samt und schwarze Strümpfe. Nur die Schuhe fehlten noch. Unwillkürlich fiel seine Hand auf den Degengriff, der an seiner linken Hüfte ein gutes Stück unter dem Rock hervorragte. Ebenso mechanisch glitten seine Hände unter die ziemlich lange Weste und schoben das Koppel eine Idee nach rechts. Hinter der linken Hüfte hingen von diesem Koppel zwei dünne Ketten, die die Scheide stützten und neigten. Und da die Scheide nur aus dünnsten, zusammengeleimten und mit Chagrinleder bedeckten Holzstreifen bestand, war sie so leicht, daß sie dem Duellanten nie hinderlich war.
»Clemens Hornn«, sagte Fenton, ohne sich bewußt zu sein, daß er laut gesprochen hatte. »Der größte Degenmacher Englands in alten Zeiten.«
Seine rechte Hand schloß sich um den festen, aus Draht geflochtenen Griff. Er trat vom Spiegel zurück und zog das Rapier. Die Klinge glitzerte schwach. Es war keins der schönen, altmodischen Kavalier-Rapiere mit Bechergriff und langen Stichblattzapfen. Diese hatten eine viel zu lange und schwer zu handhabende Klinge. Man hatte inzwischen entdeckt, daß der altmodische Hieb von der Schulter aus nichts gegen den blitzschnellen Stoß mit der Spitze vermochte.
Fentons Degen war immer noch ein Rapier, wenn auch im Übergangsstadium zum Stoßdegen. Sein Stichblatt glänzte wie eine aus Stahl geschnitzte, sich schließende Blume. Die kurzen, gebogenen Stichblattzapfen dienten nur als Ornament. Er war kürzer als die alten Degen - die Kanten stumpf und etwa zwölf Millimeter breit, unten schmaler werdend bis zur mörderischen Spitze -, aber leichter und viel tödlicher. eine schöne alte Waffe, die den Anforderungen der Zeit völlig entsprach.
Von dem Augenblick an, wo er den Stahl berührte, spürte Fenton, wie ihn ein Gefühl von Stolz und Vergnügen, von Sicherheit und Macht durchdrang, was ihn sehr in Erstaunen versetzte, denn er war gewiß kein Degenfechter.
Allerdings war er in seinen jüngeren Jahren ein sehr tüchtiger Florettfechter gewesen. Aber jetzt konnte er nur darüber lachen. Das Florett war ein Spielzeug. Ein Florettfechter konnte sich nicht zwanzig Sekunden gegen einen Degenfechter behaupten. Andererseits .
In meiner kleinen Plauderei mit dem Teufel, dachte er bei sich, war von einem Duell nicht die Rede gewesen. Ich kann nicht vor meiner Zeit sterben; stimmt. Ich kann nicht von einer Krankheit befallen werden; stimmt. Wie steht's aber mit einem bösartigen Degenhieb?
»Eure Schuhe, guter Herr«, unterbrach ihn Giles Collins' Stimme, die wie ein Rapier in Fentons Gedanken stieß, daß ihm der Degen beinahe aus der Hand gefallen wäre.
»Wenn Ihr die Güte haben wollt, Platz zu nehmen«, sagte er, »werde ich sie Euch anziehen. Ich sehe, Ihr übt Euren geheimen Ausfall.«
Plötzlich erblickte Fenton sein Ebenbild im Spiegeclass="underline" die Oberlippe war zurückgezogen und zeigte die weißen Zähne wie bei einem bissigen Hund. Die Locken seiner Perücke waren ein wenig nach vorn gerutscht. Er stand seitlich zum Spiegel, der rechte Fuß mit gebeugtem Knie vorgestreckt, der linke Fuß zur Seite und ein wenig rückwärts, sich an das rechte Bein heranschiebend. Das Rapier hielt er in einer unherkömmlichen Parade. Fenton kam wieder zu sich und lachte ein wenig zu laut. »Es ist kein >geheimer< Ausfall«, informierte ihn Giles trocken, »obwohl alle Raufbolde es annehmen. Achtet darauf, wie sich Euer linker Fuß dem rechten nähert. Eure Parade ist viel zu dicht am Körper. Oho! Ich kenne mich aus.«
»Ach, ich bin kein Fechter«, sagte Fenton achtlos, während er den Degen wieder in die Scheide steckte.
Abermals warf Giles ihm jenen merkwürdigen, rätselhaften Blick zu und war im Begriff, etwas zu sagen, als Fenton ihn zum Schweigen brachte.