»Ich weiß, du kannst keine Zärtlichkeit für mich empfinden. Dennoch mußt du tun, was ich dir sage, denn ich bin hier, um dir zu helfen.«
Fenton blickte sie nur schweigend an.
»Ich sage dir«, drängte sie, »du mußt dich eilen! Du hast keine Stunde zu verlieren, wenn du nicht sterben willst. Das schwör' ich dir!«
»Nun, ich glaube nicht. Sie halten mich zwar in Haft wegen Hochverrats, das gebe ich zu .«
»Aber .!«
»Aber im Hinblick auf Sir Nicks hohen Namen und Stand und seine Würde als Parlamentsmitglied können sie mich nicht einfach wie einen Verbrecher ins Newgate-Gefängnis werfen. Sie müssen einen parlamentarischen Strafbeschluß im Unterhaus gegen mich erwirken, und das Parlament, mein Liebling, wird erst im Jahre 77 einberufen.«
»Wenn du nicht innerhalb einer Stunde entkommst«, sagte Meg, »ist alle Hoffnung dahin.« Sie blickte ihn sehnsüchtig an. »Kannst du mir denn kein Vertrauen schenken?«
Fenton verzog den Mund zu einem schwachen Lächeln. »Wieder einmal?« fragte er höflich.
Meg schloß die Augen und preßte eine Hand aufs Gesicht, als wolle sie sich mit dieser leidenschaftlichen Gebärde eine gewaltige Macht aneignen.
»Soll ich wieder mit dem Tode liebäugeln«, sagte er, »indem ich deiner Wärme und deinem Verlangen traue? Was bist du schon? Ein Dämon der Unterwelt, dessen wahre Berührung so kalt wie Eis ist. Und wo ist dein Meister?«
»Mein .?«
»Ich meine den Teufel. Er muß doch sicher in unserer Nähe sein. Halt, ich habe eine Idee: ruf ihn herbei, mein Liebling! Ich möchte eine dritte Audienz bei ihm haben und ihn besiegen wie vordem!«
Meg, von Schrecken erfaßt, blickte sich ängstlich um und sank fast auf die Knie.
»Schweig!« flüsterte sie. »Du darfst nicht solche Worte sprechen! Ich bitte dich!«
Fentons Gesicht war verzerrt wie eine Totenmaske. »Nun, ist er uns denn so nahe?«
»Er ist weit, weit fort und hat dich vergessen. Du bedeutest ihm nicht mehr als ein Tropfen Wasser im Ozean. Er hat mir versprochen .«
»Versprochen?«
»Er hat mir versprochen«, sagte Meg, »daß er dich nicht mehr belästigen will. Aber wenn du ihn rufst oder sagst, du habest ihn besiegt.«
»Ich habe ihn zumindest halbwegs geschlagen. Seine Sticheleien und sein Zorn haben mich allerdings in Furcht aus dem Haus getrieben, während du halbnackt auf der Ottomane saßest und mich haßtest, weil ich fortging. Aber meine Furcht galt Lydia. Die Geschichte hat gewonnen, nicht der Teufel. Du hast selbst gehört, wie dein Meister voller Wut eingestand, daß ich meine Seele gerettet hätte. Das war mein Sieg.«
»Schweig! Schweig!«
Plötzlich wandte sie den Kopf von einer Seite zur anderen. »Horch! Was war das für ein Geräusch?« fragte sie. »Die Löwen da draußen«, meinte er, »sind wohl etwas unruhig. Ich habe sie schon öfters in der Nacht gehört. Vielleicht wittern sie deine Gegenwart - große und kleine Katzen, sie ziehen sich gegenseitig an.«
»Nenne mich, wie du willst«, sagte Meg. »Doch im Grunde bin ich Mary Grenville, wie du Nicholas Fenton aus Cambridge bist. Ich, die ich dir in die Vergangenheit folgte, kann nicht anders, ich muß dich lieben. Und ich will dich nicht sterben sehen.« Abermals preßte sie eine Hand vors Gesicht. »Ach, mir steht bald der Verstand still! Aber wenn ich dir einen Beweis für meine guten Absichten erbringe, willst du mich dann anhören?« Sie trat näher an ihn heran und hob die klaren grauen Augen zu ihm auf, die so offensichtlich ohne Falsch waren und ihn stets aus der Fassung brachten.
»Ich . ich will dich anhören.«
»Na also! Ist denn die Tür deines Kerkers nicht unverschlossen?« fragte sie mit einer Geste ihrer freien linken Hand. »Du bist ein weitaus besserer Schwimmer als ich, obwohl ich auch nicht als schlecht galt in jenen Tagen, als wir noch zusammen in Richmond schwammen. Spring von der Festungsmauer, schwimme unter dem Kai durch, und dann bist du frei!«
»Frei! Und wo soll ich dann bleiben?«
»Hast du an diesem Abend schon einmal aus dem Südfenster deiner Zelle geblickt?«
»Allerdings.«
»Hast du dann nicht ein großes Schiff am anderen Ufer bemerkt? Mit zwei grünen Laternen an der . an der . ach, ich kann diese Namen nicht alle behalten.«
»Macht nichts. Das Schiff ist mir aufgefallen. Und was für eine Bewandtnis hat es damit?«
»Es ist die Prince Rupert, das Linienschiff Seiner Majestät«, erwiderte Meg, »das etwa sechzig Geschütze an Bord hat. Es ist deinetwegen dorthin beordert. Du brauchst nur dreihundert Meter zu schwimmen und bist in Sicherheit. Das Schiff wird dich zu irgendeinem Hafen in Frankreich bringen, den du dir aussuchst.« Fenton starrte sie ungläubig an und wollte sprechen. Doch Meg legte ihm die Hand auf den Mund.
»Ich habe noch mehr zu berichten«, sagte sie mit bebender Stimme. »In dieser Nacht sind alle Wärter und Soldaten des Towers bis auf ein paar Posten zu einem großen Trinkgelage in die Wohnung des Gouverneurs im Wakefield Tower befohlen. Dort sitzen sie jetzt hinter verhängten Fenstern. Dieses Geheimnis ist nur dem Gouverneur und zum Teil auch Colonel Howard anvertraut. Falls dich nicht ein Posten erspähen sollte, ist die Bahn frei!«
»Ich bin entzückt«, erklärte Fenton ausdruckslos. »Nun, wer hat denn eigentlich ein Linienschiff für meine Wenigkeit hierher beordert und den Gouverneur des Towers zu einer Pflichtverletzung verleitet?«
»Der König selbst!«
Als Meg diese drei Worte gesprochen hatte, schrak sie vor Fentons kaltem, höflichem Blick zurück.
»Nun«, sagte er lachend, »dann spielt der König ein höchst erstaunliches Spiel. Mit einer Hand wirft er mich in den Tower, und mit der anderen errichtet er ein kompliziertes Gefüge, um mich herauszubekommen. Wäre es nicht einfacher gewesen, wenn er mich gleich freigelassen hätte?«
»Nein! Nein! Gebrauche deinen Verstand! Du hast doch eine Audienz beim König gehabt, nicht wahr?«
»Ganz recht.«
»Dann mußt du doch wissen, daß er offiziell mit keiner Maßnahme etwas zu schaffen haben will. Mit keiner. Und Mylord Shaftesbury ist seit über vierzehn Tagen wieder in London. Lieber Dummkopf, der König hat dich nicht in den Tower bringen lassen, um dir zu schaden. Er tat es, um dich zu retten!«
»Um mich zu retten?« Fenton hielt inne. »Fast überzeugst du mich.«
»Lieb Herz«, sagte Meg, und diese Anrede bestürzte ihn. Ihre Augen verdunkelten sich; so tief war sie bewegt. »Ich hatte gehofft, du würdest mir Vertrauen schenken. Es war dumm von mir. Möchtest du nun Beweise?«
»Ja!«
Meg fuhr mit der linken Hand unter das Cape, wo sie ganz offensichtlich eine Waffe verborgen hielt. Sofort schwang Fenton den schweren Stuhl in die Höhe, um ihr den Schädel zu zertrümmern, falls sie mit Dolch oder Degen zustoßen sollte. Dann begann der Stuhl in seinen Händen zu wackeln. Denn was Meg ihm reichte, war ein schwerer, gefalteter Briefbogen. Sie hielt aber noch einen zweiten Gegenstand unter ihrem Cape versteckt. Zwischen Glauben und Mißtrauen hin und her gezerrt, ließ Fenton den Stuhl sinken.
»Schon einmal«, flüsterte Meg, erschrocken lächelnd, »hättest du mich beinahe mit einem Stuhl getötet. Weißt du noch: in meinem Schlafzimmer in deinem Haus? Und ich hätte dich aus Eifersucht fast mit einem Dolch erstochen. Macht nichts.« Sie entfaltete den Bogen. »Es ist hell genug, um zu lesen, was hier geschrieben steht.«
Hastig nahm er den Bogen und trat damit in das weiße, strahlende Mondlicht, das durch das Westfenster in den Raum flutete. Obgleich keine Unterschrift vorhanden war, so war es doch unverkennbar die Handschrift des Königs.
»Sir N. F., Ihr hättet eigentlich Vertrauen zu mir haben sollen. Aufrichtig gesprochen, seid Ihr mir viel zu nützlich, um Mylord S. in die Hände zu fallen. Auch stehe ich in Eurer Schuld, weil ich Euch irregeführt habe. Leider wurde ich hintergangen, und ich war sehr aufgebracht, als ich davon erfuhr. Ich beziehe mich auf die falsche Anklage gegen Eure Gemahlin. M. Y. wird Euch von einem großen Schurken erzählen. Gehorcht ihr. Ihr dürft bald zurückkehren. Vernichtet diesen Brief.«