Fenton senkte den Kopf.
Langsam zerriß er den Brief in sehr kleine Stücke und ließ sie durch die Eisenstäbe hindurch in den Wallgraben flattern. Er mußte sich mehrere Male räuspern, ehe er sprechen konnte. »Meg, ich verstehe dies alles nicht. Irgendwie bin ich zu einer kleinen Marionette in dem Theater der Politik geworden. Du hast recht. Ich muß gehen.«
Meg, der die hellen Tränen über die Wangen liefen, zog jetzt die rechte Hand aus dem Cape. Was sie ihm diesmal entgegenhielt, war sein Clemens-Hornn-Degen in der alten, mit genarbtem Leder überzogenen Scheide, dessen dünne Ketten leise gegen das Degengehenk klirrten.
»Meg!«
Fenton holte tief Atem. Als er sich das Degengehenk umschnallte, fühlte er sich in so gehobener Stimmung, wie er sie lange nicht gekannt hatte. Er machte zwei energische Schritte auf die unverschlossene Tür zu. Dann aber zögerte er und kehrte zu Meg zurück.
»Liebe Meg, ich muß dir gegenüber ehrlich sein«, sagte er. »Ich werde entfliehen, ja. Aber - aber ich habe nicht die Absicht zu dem Kriegsschiff zu schwimmen.«
Megs Augen weiteten sich in ungeheurem Entsetzen. »Nein!« rief er so laut, daß der Klang in dem steinernen Gemach widerhallte. Fenton wunderte sich im stillen, ob nicht irgendein unsichtbarer Posten es gehört hatte. Meg umklammerte seine Arme.
»Das geht nicht!« flüsterte sie. »Sonst machst du alles zunichte!«
»Meg, hör mich an. Als sie mich hierherbrachten, war es meine erste Absicht, Briefe an Giles oder gar George Harwell zu senden, um ihnen zu sagen, wer Lydia vergiftet hat. Meg, diese Übeltäterin war Kitty Softcover; keine andere! Danach wollte ich mir eine Waffe beschaffen, mich auf meine Wächter stürzen und in ehrlichem Kampf sterben, um so . hm . wieder mit Lydia vereint zu sein. Was habe ich denn noch vom Leben zu erwarten?«
Meg rüttelte ihn heftig am Arm. »Nein! Nein! Nein!«
»Aber jetzt«, flüsterte Fenton, »habe ich einen Degen. Ich kann entfliehen, die Schuld dieser Dirne von Alsatia beweisen und dann ein Dutzend Green-Ribbon-Leute zum Kampf reizen, um mein Ziel zu erreichen. Es steht zwar in Giles' Manuskript, daß ich erst 1714 sterbe. Aber ich glaube, das Dokument ist eine Fälschung oder eine Fopperei.«
»Ganz recht», erwiderte Meg, und ihre Zustimmung war ein Schock für ihn trotz seiner eigenen Worte.
Aber sie ging nicht weiter darauf ein. »Sag mir eins«, bat sie in einem so seltsamen und heftigen Ton, daß ihm angst und bange wurde. »Sag mir, habe ich mich als zuverlässig erwiesen?«
»Nun . wer könnte es leugnen?«
Sie ließ seinen Arm los und rannte zum Westfenster. Sie schien die Stellung des Mondes zu studieren und rang die Hände. Dann kehrte sie zu ihm zurück.
»Die Zeit entflieht und damit dein Leben. Aber ein paar Augenblicke bleiben uns noch. Wenn ich dir alles enthülle, wirst du zum Kriegsschiff und nicht an Land schwimmen.« Megs Augen, die jetzt grauschwarz waren, hielten ihn in Bann. »Es widert mich an, dir die Wahrheit zu sagen. Aber ich muß es tun«
»Die Wahrheit?«
»Hör gut zu und gib mir ehrlich Antwort. Wann hast du mich zuletzt gesehen?«
»Das habe ich dir doch gesagt. Ich . nun, du saßest halbnackt auf der Couch, voller Haß gegen mich, weil ich vor dem Teufel floh.«
»In jener Nacht«, erwiderte Meg, »war ich von einer abscheulichen Gehässigkeit erfüllt, weil ich Angst hatte vor der Nähe des . des .«
»Deines Meisters?«
Ihre Antwort war so leise, daß er sie kaum verstand. »Ich will ihn nicht Meister nennen, wenn du hier bist. Kannst du dir nicht vorstellen, warum ich zum Tower gekommen bin? Ich möchte mich von ihm lossagen. Ich möchte mich von ihm lossagen, da -« Sie blickte mit tränenerfüllten Augen zu ihm auf. »Aber reden wir nicht davon!«
»Kannst du dich denn von ihm lossagen?«
»Ich weiß es nicht. Ich kann's nur versuchen.« Ihre scharfen Fingernägel krallten sich in ihre Brust. »Du hast wohl meine frühere Religion vergessen. Wenn ich wieder in die Kirche aufgenommen werde - ganz gleich, was für eine Buße man mir auferlegt -, kann er mir nichts anhaben. Denn gegen diesen Glauben ist die Hölle machtlos.«
Meg senkte den Kopf, so daß ihre glänzenden Locken sich an ihre Wangen schmiegten. Dann aber hob sie rasch den Blick und sprach wieder in dem seltsamen Ton.
»Aber noch bin ich seine Kreatur. Wenn nicht sein großes Auge und Ohr weit von hier mit anderen Dingen beschäftigt wären, so würde er seine Hand vom anderen Ende der Welt ausstrecken, um .«
»Er soll's nur versuchen«, meinte Fenton.
»Nein! Denke nicht mehr daran. Möchtest du mich verletzt und gequält sehen?«
»Gott bewahre!« sagte Fenton und schloß sie fest in die Arme. »Du hast mich also zuletzt in jener ekelhaften Nacht in der Liebesgasse gesehen. Ich aber sah dich .«
»Wann?«
»In deinem eigenen Haus, und zwar an dem Abend, als du von dem Dragonerhauptmann gefangengenommen wurdest. Ich habe meine Lippen blutig gebissen, als ich sah, wie krank du warst. Bei der Gelegenheit beobachtete ich, wie du voller Verachtung den Ring fortschleudertest, den dir Seine Majestät gegeben hatte.«
»Meg, woher wußtest du, daß ich einen solchen Ring empfangen hatte?« Fenton hielt plötzlich inne. »Stammte dieses Wissen vom Teuf. von ihm?« Meg nickte.
»In jener häßlichen Nacht in der Liebesgasse, als du fort warst, erzählte er mir alle deine Gedanken und schilderte, was dir demnächst und in Zukunft geschehen würde. Vor dieser Erzählung hat er. aber das gehört nicht hierher.« Meg erschauerte. »Lieb Herz, ich kann die Zukunft prophezeien.«
»Du weißt also, was mir vom Schicksal widerfahren wird?«
»Ja, und es ist nicht angenehm. Erkennst du endlich mein Vorhaben? Um deinetwillen möchte ich dir helfen, den Lauf der Geschichte zu ändern, wie du es für jemand anders versucht hast.«
»Wobei ich versagt habe.« Fenton preßte Meg an sich. Mit fester Stimme fügte er hinzu: »Setz deine Erzählung fort. Du sahst also, wie ich den Ring fortschleuderte.«
»Ja. Und da die Diener mit Mrs. Pamphlin beschäftigt waren, konnte ich den Ring an mich nehmen. Am nächsten Morgen war ich in Whitehall und ersuchte um eine Audienz beim König.«
Trotz der ungeahnten Gefahren, die ihn umdrängten, spürte Fenton einen kleinen Stich von Eifersucht.
»Ich darf wohl annehmen«, sagte er, »daß der König, wie es so häufig in den Märchen vorkommt, sofort deinen Reizen zum Opfer fiel und dir alle Wünsche erfüllte, nicht wahr?«
»Nein, nichts dergleichen«, erwiderte Meg, und ihr Ton ließ erkennen, daß sie verletzt, ja zornig war. »Tagelang konnte ich keine Audienz erlangen. Schließlich packte mich die Verzweiflung, und da gelang es mir durch Bitten und Schmeicheln, direkt in sein Beratungszimmer vorzudringen.«
»Und dann?«
»Nun, da saß er, umgeben von zwei oder drei Herren, am Ratstisch und unterzeichnete einen großen Haufen von Papieren. Gewiß, seine Augen leuchteten auf, als er mich sah, und er entließ die anderen Herren. Doch er sagte nur: >Madam, ein Spiegel wird Euch zeigen, wie sehr ich meinen Mangel an Zeit bedaure. In welcher Angelegenheit seid Ihr gekommen?<
Woraufhin ich ihm das Notwendigste erzählte und ihm dabei zu verstehen gab, daß ich genausoviel wußte wie er selbst. >Ich bin mir bewußt<, sagte ich zu ihm, >daß Ihr Sir Nick Fenton zum Tower verurteilt habt, um sein Leben zu sichern. Es ist Euch bekannt, daß Mylord Shaftesbury wieder in der Stadt ist. Und Eure Spione haben Euch verraten, daß Mylord einen sehr bösen Anschlag gegen Sir Nick im Schilde führt.<«