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»Sie haben einen hübschen Teil der Stadt für sich reserviert«, antwortete Donay. »Die besten Gegenden in der Nähe des Hochweges. Und der Hochweg könnte zusammenbrechen.«

Elder starrte ihn einen Wimpernschlag lang fassungslos an, dann versuchte er, sich in ein Lachen zu retten. Es klang ein bißchen zu schrill, um zu überzeugen. »Das ist eine glatte Übertreibung«, sagte er.

»Keineswegs«, versicherte ihm Jan. Er wies auf das Gerüst. »Geht hinauf und seht es Euch selbst an.«

Elder taxierte ihn einen endlosen Augenblick lang, dann fuhr er plötzlich herum, packte Irata bei den Schultern, schüttelte ihn wild und schrie ihn an: »Ist das wahr? Rede, du Idiot! Ist das so?«

Donay berührte ihn fast sanft an der Schulter. »Laß ihn los, Elder. So geht das nicht!«

Tatsächlich ließ der Soldat den Erinnerer los. Donay schob Irata wieder auf Armeslänge von sich, und Kara fiel auf, daß er sogar dessen Blick starr fixierte, als auch er mit einer ganz bestimmten, fast ausdruckslosen Stimme sprach. »Frage, Irata: Besteht aufgrund der gesammelten Informationen Gefahr für den Hochweg?«

Irata begann zu sabbern. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Kara sah, welche Anstrengung das Sprechen ihm bereitete.

Seine Stimme war kaum verständlich: »Die Informationen reichen nicht aus, um eine Aussage über den gesamten Hochweg zu treffen.«

Elders Gesicht verdüsterte sich, und Donay machte eine hastige Bewegung, wandte sich wieder an den Erinnerer und setzte erneut an: »Frage, Irata: Vorausgesetzt, die Schäden wären überall vergleichbar schlimm wie an diesem Trieb. Bestünde dann Gefahr für die Straße?«

»Antwort«, gurgelte Irata. »Die Stabilität des betroffenen Triebes ist grundlegend erschüttert. Eine Projektion der angegebenen Daten auf das gesamte System ergibt dessen irreparable Destabilisierung.«

»Aha«, sagte Elder. »Und was bedeutet das - verständlich ausgedrückt?«

Jan lächelte flüchtig, und Angella sagte sehr ernst: »Wenn es wirklich überall so schlimm ist wie hier, dann wird Eure famose Brücke zusammenbrechen.«

»Und zwar bald«, fügte Donay hinzu.

Elder wurde blaß. »Ihr übertreibt«, sagte er nervös. »Ich meine... es gibt ein halbes Dutzend anderer, die die Triebe untersuchen. Keiner hat auch nur etwas Ähnliches herausgefunden.«

»Ihr meint, keiner hat Euch etwas gesagt«, korrigierte ihn Angella ruhig.

»Warum sollten sie auch?« fügte Jan hinzu.

»Wie meint Ihr das?« fragte Elder scharf.

Jan machte eine verzeihungsheischende Handbewegung.

»Ohne Euch zu nahe treten zu wollen, Elder - aber Ihr seid nur ein einfacher Soldat. Und seit wann teilt man einfachen Soldaten irgend etwas von Wichtigkeit mit?«

»Es kann gut sein, daß es nicht überall so schlimm ist«, sagte Angella hastig, wobei sie Jan einen mahnenden Blick zuwarf.

»Um so wichtiger ist es, daß wir wieder nach unten kommen, um uns die Schäden unter der Erde anzusehen. Wir müssen die verschütteten Gänge möglichst schnell räumen. Deshalb brauchen wir die Gräber, nicht nur, um nach Angellas Männern zu suchen.«

Elder bewegte sich unbehaglich auf der Stelle. Sein Blick glitt über den gewaltigen Stamm, tastete dann über die Bohlen, die den Boden des Raumes bildeten, und kehrte nach einem letzten Schwenk über Iratas Gesicht zu Angella zurück. »Ich kann nicht Himmel und Hölle in Bewegung setzen, nur weil dieser Schwachsinnige behauptet, es bestünde vielleicht Gefahr. Was, wenn er nicht die Wahrheit sagt?«

»Habt Ihr jemals gehört, daß sich ein Erinnerer getäuscht hätte, Elder? Oder gar gelogen?«

Damit war die Sache entschieden. Elder mochte sich für besonders gelassen und hart halten, aber er war im Grunde ebenso leicht zu durchschauen wie alle anderen Menschen.

Kara las die Antwort in seinen Augen, ehe er sie aussprach.

»Ich werde... die Angelegenheit meinen Vorgesetzten vortragen. Ich verspreche Euch nichts, aber ich tue, was ich kann.«

Er maß den Stamm mit einem letzten, durchdringenden Blick und fügte leise hinzu: »Und wenn Ihr die Wahrheit gesagt habt, dann werde ich vielleicht noch ein wenig mehr tun.«

Er verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und ging.

Stille trat ein und legte sich wie eine große Luftblase über sie.

Dann räusperte sich Kara und wandte sich an Donay: »Ist das wahr, was der Erinnerer behauptet?«

»Sie können nicht lügen«, antwortete Donay.

»Die Antworten, die man erhält, sind manchmal von den Fragen abhängig, nicht wahr? Ich meine - sind wir deswegen hier? Weil der Hochweg in Gefahr ist?« So erschreckend dieser Gedanke an sich war, es erschien Kara mehr als nur unwahrscheinlich, daß dies der Grund ihrer Anwesenheit war. Die gigantische, lebende Brückenkonstruktion war vielleicht eines der größten Wunder dieser Welt, im Grunde aber nichts, was Angella und ihre Drachenkriegerinnen etwas anging. Außerdem - wer rief schon einen Soldaten, wenn er einen Gärtner brauchte?

»Es war ein Vorwand«, gestand Angella. »Wenn auch vielleicht einer, der sich im nachhinein betrachtet als die Wahrheit herausstellen könnte. Aber es ist nicht der einzige Grund.«

»Und was ist der wirkliche Grund?« fragte Kara.

Angella sah sie einen Moment durchdringend an und tauschte dann einen raschen Blick mit Jan. Jan nickte. »Gut«, sagte Angella. »Ich werde dir alles erklären. Ich hätte es ohnehin schon längst tun sollen. Begleite uns nach unten. Der Weg ist lang genug, daß wir Zeit zum Reden haben.«

8

Kara war bereits aufgefallen, daß der Boden des Pfeilerhauses nicht aus festem Erdreich bestand, sondern aus eisenharten Bohlen, die so präzise verlegt waren, daß man nicht einmal eine Messerklinge dazwischenschieben konnte. Angella führte sie zu einer Klappe im Boden, und als sie hindurchstiegen, erkannte Kara, daß das Haus gar kein Haus war: im grünen Licht tat sich unter ihnen ein Schacht auf, aus dem das emporwuchs, was Donay so beschönigend als Trieb bezeichnet hatte.

Über eine kurze, bedrohlich schwankende Leiter, die an der hölzernen Decke über ihnen befestigt war, erreichten sie einen gemauerten Sims, der sich an der Innenwand des Schachtes entlangzog. Dieser Schacht war nichts anderes als der untere Teil des Pfeiler-Hauses, das in Wahrheit nichts anderes als ein riesiger, vollkommen leerer Turm war, eine steinerne Hülse für den Stamm, der den allergrößten Teil seines Inneren ausfüllte. Als Kara sich behutsam vorbeugte, erblickte sie eine gemauerte Treppe, die sich wie ein versteinerter Riesentribolit an der Wand entlang in die Tiefe schraubte. Kein Geländer bot Halt. Zwischen Kara und dem Stamm verlief ein recht breiter Spalt, dessen bloßer Anblick sie schwindeln ließ. Wie tief der Schacht war, vermochte sie nicht zu sagen. Auf dem Sims glommen Hunderte von Leuchtstäben, weiter unten hatte man einfach Kulturen blaßblau leuchtender Bakterien an den Wänden emporwuchern lassen. Ihr Licht war hell, aber unscharf. Es war, als blicke sie in einen endlos tiefen Schacht voll leuchtendem Wasser.

»Genug gestaunt?« fragte Angella nach einigen Sekunden.

Kara richtete sich zögernd wieder auf. Aus der Tiefe drang ein leicht moderiger, warmer Lufthauch zu ihnen empor. »Wie tief... ist dieser Schacht?« fragte sie zögernd.

»Eine Meile, anderthalb...« Angella zuckte mit den Schultern. »Niemand weiß das so genau. Weiter unten ist der Schacht eingestürzt, aber ich denke, er reicht bis auf den Grund der Stadt hinab. Der Trieb selbst reicht, wie Donay vermutet, anderthalb Meilen bis in den Schlund hinunter.«

Kara blickte abermals in den blauleuchtenden Abgrund hinab. Anderthalb Meilen über diese Treppe hinunter? Der bloße Gedanke ließ es ihr kalt über den Rücken laufen.

»Anderthalb Meilen?« fragte sie zögernd.

»Nicht einmal eine halbe«, sagte Jan, der hinter ihr und Angella die Leiter hinabgestiegen war. »Wie gesagt, der Schacht ist weiter unten eingestürzt. Aber wir werden nicht laufen müssen.« Er legte den Kopf in den Nacken, bildete mit den Händen einen Trichter vor dem Mund und schrie in die Tiefe hinab: