Angella machte eine ärgerliche Handbewegung. »Hör mit dem Unsinn auf, ja? Was willst du wissen?«
»Wieso soll ich überhaupt dabeisein, wenn ich doch nichts sagen darf?«
»Eine gute Frage«, antwortete Angella. »Ginge es nach mir, dann wärst du es auch nicht, sondern würdest jetzt noch in deinem Bett liegen und schlafen. Aber es geht nicht nach mir. Gendik bestand ausdrücklich darauf, dich zu sehen.«
»Mich?«
»Alle, die bei dem Überfall dabei waren, lautete sein genauer Befehl«, antwortete Angella. »Du wirst ihm alle seine Fragen wahrheitsgemäß beantworten, aber nicht mehr. Nicht, was du geglaubt hast oder gedacht oder befürchtest. Verstehst du?«
»Nein«, sagte Kara wahrheitsgemäß. »Aber ich werde tun, was du befiehlst.«
»Es ist wichtig, Kind. Ich kann es dir jetzt nicht erklären, aber von diesem Gespräch kann viel abhängen, glaub mir. Für uns alle.«
»Es gibt eine Menge, was du mir jetzt nicht erklären kannst - oder willst. Nicht wahr?« Kara spürte, daß ihre Worte Angella verletzten. Aber sie war auch in diesem Augenblick zu stolz, um sich zu entschuldigen. Und zu zornig. Mit einem Ruck drehte sie sich herum und lief mit raschen Schritten die Treppe hinab.
Die zum Hof führende Tür stand offen. Ein kühler Lufthauch drang herein und das grüne Licht Dutzender von Leuchtstäben.
Im ersten Moment dachte sie, Weller hätte sie entzünden lassen, aber als sie sich der Tür näherte, erkannte sie, daß sich auf dem Hof einiges getan hatte: Auf dem ummauerten Viereck befanden sich gute zwei Dutzend Reiter in den gelben Umhängen der Stadtgarde. Weitere Berittene schirmten das Tor und die Straße ab, und dann als Angella neben sie trat und ebenfalls stehenblieb, hörte Kara ein durchdringendes Summen und sah die klobigen Hornköpfe, die die beiden Reiter um Haupteslänge überragten, obwohl sie zu Fuß neben ihnen einherstaksten.
Kara konnte nicht erkennen, welcher Gattung sie angehörten, aber sie bestanden fast nur aus Panzerplatten, Stacheln, Scheren, und Klingen. Darüber hinaus schleppten sie genug Waffen mit sich herum, um eine kleine Armee auszurüsten. Oder niederzumachen.
»Wenn es um seine eigene Sicherheit geht, scheint sich Gendiks Abneigung gegen Nichtmenschen in Grenzen zu halten«, sagte sie stirnrunzelnd.
Angella lachte spöttisch. »Vielleicht hat er Angst vor Überfällen?«
Die beiden Reiter saßen ab, wodurch sie neben den Hornköpfen vollends zu Zwergen zusammenzuschrumpfen schienen, und näherten sich dem Haus. Kara unterdrückte ein Schaudern.
Sie hatte Hornköpfe noch nie besonders gemocht, und seit dem Erlebnis vor drei Tagen hatte sie eine regelrechte Abneigung gegen sie. Zu ihrer Erleichterung betraten die beiden Giganten das Haus nicht, nachdem Weller seine Gäste begrüßt und mit den zeremoniellen Worten - die ihm offenbar schwer von den Lippen gingen - hereinbat.
Kara musterte besonders den zweiten Besucher aufmerksam, während sie Angella und den anderen in respektvollem Abstand in Wellers Wohnküche folgte. Er war älter als der Gouverneur, ein gutes Stück kleiner, aber sehr viel drahtiger. Sein Haar war grau und fiel bis auf die Schulter herab, und sein Gesicht war hart, wirkte aber trotzdem nicht unsympathisch.
Er trug einen Mantel von blutroter Farbe, der wie Elders geschnitten war. Auf seinen Schultern glänzten goldene Insignien, deren Bedeutung Kara nicht kannte.
Weller bat seine Gäste, Platz zu nehmen, und bot ihnen zu trinken an, was sie jedoch ablehnten.
Gendiks Blick glitt über die Gesichter der Anwesenden, nachdem er sich gesetzt hatte. Außer ihm selbst und seinem Begleiter hielten sich nur Weller, Angella, Elder und Hrhon in der Küche auf. Lediglich zwei von Wellers Hornköpfen standen bereit, um die Wünsche der Gäste zu erfüllen. Gendik scheuchte die beiden Insektenkreaturen mit einer fast angewiderten Geste hinaus und wartete, bis sie das Zimmer verlassen hatten. Dann wandte er sich wieder an Kara und lächelte.
»Du bist die junge Drachenkämpferin, die man Kara nennt, nicht wahr?«
Kara dachte an Angellas Warnung und nickte nur.
»Es freut mich, daß du wieder wohlauf bist«, fuhr Gendik stirnrunzelnd fort. »Man erzählte mir, du wärst bei dem Kampf schwer verletzt worden.«
Kara fing einen raschen, warnenden Blick Angellas auf. Sie lächelte flüchtig und machte eine wegwerfende Geste. »Es war halb so schlimm«, sagte sie. »Eine kleine Fleischwunde, mehr nicht.«
In den Augen des Mannes neben Gendik blitzte es spöttisch auf. »Eine kleine Fleischwunde? Deine Schulter wurde durchbohrt, Mädchen! Was nennst du eine schwere Verletzung? Wenn man dir den Arm abhackt?« Er lachte. »Es scheint zu stimmen, was man sich über die heilende Magie der Drachenkämpfer erzählt. Als ich vor Jahren einmal einen Pfeil in die Schulter bekam, lag ich drei Wochen auf dem Krankenbett und konnte den Arm monatelang nur unter Schmerzen bewegen.«
»Vielleicht hattet Ihr die falschen Heiler«, sagte Angella.
»Vielleicht«, antwortete der Grauhaarige. »Aber bei uns nennt man sie Ärzte.« Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf Kara. »Hauptmann Elder berichtete mir, daß du es warst, die den Kampf entschieden hat?«
Hinter Karas Stirn begann es heftig zu arbeiten. Das war kein bloßer Austausch von Belanglosigkeiten, sondern ein Gespräch, das mit einer ganz bestimmten Absicht geführt wurde. Sie wog jedes Wort sorgsam ab, ehe sie antwortete.
»Wenn das stimmt, dann war es ein Zufall. Ich geriet an ihren Anführer und erschlug ihn.«
»Erschlagen hast du ihn nicht«, sagte der Grauhaarige. »Wir fanden das Steuergerät, mit dem er den Hornkopf lenkte, und...« Er unterdrückte mit Mühe ein Lachen. »... ein paar seiner Zähne. Aber keinen Toten.«
Kara konnte einen überraschten Blick in Angellas Richtung nicht unterdrücken. Weder sie noch Hrhon oder Elder hatten ihr bisher gesagt, daß der Fremde entkommen war. Und sie war ziemlich sicher, daß das kein Zufall war.
»Es ist schade, daß er entkommen ist«, fuhr der Grauhaarige fort. »Ich hätte mich gern mit ihm unterhalten. Das Steuergerät, das er bei sich hatte, war ein kleines Wunderwerk. Wir könnten so etwas nicht bauen. Unsere Techniker verstehen nicht einmal, wie es funktioniert. Zu bedauerlich, daß du es zerstört hast.«
Vorsicht! dachte Kara. Zögernd antwortete sie: »Ich hatte keine andere Wahl.«
»Ja. Auch das hat man mir erzählt.« Der Grauhaarige lächelte noch immer, aber etwas an diesem Lächeln gefiel Kara nicht. Ganz plötzlich begriff sie, daß die Ausstrahlung des starken, aber gütigen alten Mannes, die ihn umgab, nicht echt war, sondern eine sorgsam gepflegte Maske, hinter der sich etwas völlig anderes verbarg. »Ist dir sonst noch irgend etwas an ihm aufgefallen, Kind?«
Kara zögerte, um ihn glauben zu lassen, sie denke über seine Frage nach. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Er war nur ein ausgezeichneter Schwertkämpfer.« Sie begriff nicht ganz, was an dieser Antwort verfänglich war, aber Angella warf ihr einen mahnenden Blick zu und mischte sich ein.
»Womit wir beim Thema wären, geehrter Rusman. Da Ihr als oberster Befehlshaber der Stadtgarde persönlich gekommen seid, nehme ich an, Ihr habt herausgefunden, wer für den heimtückischen Überfall verantwortlich ist.«
Man sah Rusman an, daß er lieber noch weiter mit Kara geredet hätte, statt Angella zu antworten. Er schüttelte den Kopf.
»Ich fürchte, ich muß Euch enttäuschen, Angella«, sagte er. »Meine besten Männer haben drei Tage lang buchstäblich jeden Stein in dieser Stadt herumgedreht. Ohne Erfolg.«
»Das meint Ihr nicht ernst«, erwiderte Angella ohne jeden Respekt vor den Kommandanten. »Ihr wollt mir erzählen, Ihr hättet nichts herausgefunden?«
»Ich will es Euch nicht erzählen«, verbesserte sie Rusman. »Es ist die Wahrheit. Aber wir haben natürlich eine Menge herausgefunden, nur fürchte ich, nicht genau das, was Ihr hören wollt, Angella.«