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»Oh, entschuldige bitte«, grollte Kara. »Aber ich bin in der Eile leider nicht dazu gekommen, darüber nachzudenken. Es wird nicht wieder vorkommen. Das nächste Mal lasse ich mich umbringen.«

»Ich meine es ernst«, sagte Elder unbeeindruckt. »Die beiden hätten uns wertvolle Informationen liefern können.«

»Sie sahen nicht so aus, als wären sie zum Reden gekommen«, antwortete Kara gereizt. Verdammt, war das etwa Elders Art, sich bei ihr dafür zu bedanken, daß sie ihm das Leben gerettet hatte?

»Ich hätte sie schon - au!« Elder fuhr zusammen und schob ihre Hand zur Seite, die wohl etwas zu heftig seinen Hals massiert hatte. »Was hast du vor? Willst du mich umbringen?« Er richtete sich auf, verzog schmerzhaft das Gesicht und sammelte einen Moment Kraft, ehe er auf Händen und Knien zum Tunnelende kroch. Vorsichtig ließ er sich auf den Bauch sinken und schob Kopf und Schultern ins Freie. Er blieb eine ganze Weile so liegen, dann sagte er: »Wenigstens brauchen wir uns keine Gedanken mehr zu machen, wie wir nach unten kommen.«

Kara kroch auf Händen und Knien neben ihn und blickte in die Tiefe.

Einen halben Meter unter ihnen schwebte eine kreisrunde Scheibe aus halbdurchsichtigem Glas oder Kristall. Ein sanftes, bläuliches Glühen ging von ihr aus, und erst jetzt fiel Kara auf, daß das helle Summen, das die Ankunft der beiden Männer begleitet hatte, noch immer zu hören war. »Was, zum Teufeln ist das?« murmelte sie.

Elder zuckte mit den Schultern - und dann tat er etwas, was Kara vor Schrecken die Luft anhalten ließ. Behutsam richtete er sich wieder in eine kniende Position auf, drehte sich herum - und angelte mit dem Fuß nach der Scheibe, die schwerelos im Nichts hing.

»Elder!« keuchte Kara erschrocken. »Du kannst doch nicht -«

Sehr vorsichtig, aber ohne innezuhalten, setzte er erst den einen, dann den anderen Fuß auf die Scheibe. Einen Moment blieb er in einer grotesk vorgebeugten Haltung, beide Hände auf dem Tunnelrand, stehen und richtete sich dann auf. Wie ein Hochseilartist auf dem Draht breitete er die Arme aus, um die Balance zu halten, was allerdings gar nicht nötig war. Die Scheibe schwankte wie ein kleines Schiff auf der Wasseroberfläche, aber sie kippte weder unter Elders Gewicht zur Seite, noch stürzte sie wie ein Stein in die Tiefe.

»Was... was ist das?« flüsterte Kara.

»Keine Ahnung«, entgegnete Elder. »Aber es funktioniert, wie du siehst.« Er machte eine ungeduldige Bewegung mit der Hand. »Worauf wartest du?«

Kara betrachtete die schwebende Glasscheibe mißtrauisch.

»Bist du sicher, daß sie unser beider Gewicht trägt?« fragte sie zögernd. Sie machte keine Anstalten, zu ihm zu kommen.

»Nein«, antwortete Elder grinsend. »Aber sie hat die beiden anderen getragen, oder? Und was soll schon passieren? Immerhin wollen wir ja nach unten, oder nicht?«

Kara funkelte ihn an. »Habe ich dir schon gesagt, was ich von deinem Humor halte?«

Elders Grinsen wurde so breit, daß Kara schon fürchtete, er würde im nächsten Moment seine Ohren verschlucken. »He, he«, sagte er. »Was ist los mit dir? Ich dachte, du gehörst zu diesen harten Frauen, die diese riesigen schuppigen Drachen reiten und sich zehn Meilen über dem Boden erst so richtig wohlfühlen, Du hast doch wohl keine Angst?«

Kara starrte ihn einen Moment fast haßerfüllt an, aber die Herausforderung zog. Sie kletterte zu ihm hinaus; sogar ein wenig zu schnell, denn sie geriet prompt ins Stolpern, so daß Elder hastig zugriff und sie festhielt.

Kara riß sich zornig los - allerdings erst, nachdem sie wieder Halt gefunden hatte. »Weißt du überhaupt, wie man das Ding steuert?« fragte sie.

»Nein«, gestand Elder. »Aber so schwer kann es nicht sein.«

Er deutete auf eine Reihe sternförmig in die Scheibe eingebettete Schalter. Sie waren sehr groß, offensichtlich sollten sie mit den Füßen bedient werden.

Ehe Kara ihn daran hindern konnte, probierte er den ersten Schalter aus. Die Scheibe glitt mit einem Ruck ein Stück weit in die Höhe und kam wieder zur Ruhe, als Elder den Fuß zurückzog. »Siehst du«, erklärte er fröhlich. »So schwer ist das doch gar nicht.«

Kara lächelte verkrampft und schwieg.

Elder brauchte schweißtreibende sechs oder acht Versuche, bis er die Steuerung der Flugscheibe so weit begriffen hatte, daß sie ihren Weg in die Tiefe fortsetzen konnten. Ehe sie es taten, kletterte Kara noch einmal in den Tunnel zurück und holte den Scheinwerfer, den der Fremde fallengelassen hatte. Sie bedauerte zutiefst, daß die Waffe des anderen mit ihm selbst in der Tiefe verschwunden war. Aber man konnte eben nicht alles haben.

Nur vom unheimlichen bläulichen Licht der Kristallscheibe begleitet, sanken sie tiefer in den Leib der Erde hinab. Der Schacht schien kein Ende zu nehmen. Elder hatte zwar behauptet, daß es nur noch eineinhalb Meilen bis zu seinem Grund waren, aber Kara hatte das Gefühl, daß sie stundenlang durch die fast vollkommene Schwärze glitten. Das wenige, das sie im schwachen Licht der Scheibe erkennen konnte, verriet ihr, daß sie sich längst nicht mehr durch die gemauerten Eingeweide Schelfheims bewegten. Rings um sie herum war jetzt der gewachsene Fels der Erdkruste. Unvermittelt traf sie die Erkenntnis, daß sie sich wahrscheinlich schon tief unter dem Boden des Schlundes befanden, jener zweiten, um ein vierfaches größeren Welt, über die sich die von Menschen bewohnten Kontinente wie unvorstellbar große Tafelberge erhoben. Plötzlich begann sie zu frieren. Der Gedanke an die Felsmassen, die sich über ihr türmten, ließ sie erschauern.

Dann fiel ihr auf, daß auch Elder fröstelnd die Schultern zusammenzog. »Es ist kalt«, sagte er. »Und es wird immer kälter. Das ist seltsam.«

»Wieso?«

»Weil es wärmer werden müßte, je tiefer wir in die Erde eindringen«, antwortete Elder.

Und es wurde nicht nur kälter. Während sie in gleichmäßigem Tempo weiter in die Tiefe glitten, nahm auch der anfangs nur leichte Modergeruch der Luft zu.

Dann entdeckten sie das Licht unter ihnen.

Es war nur ein blasser, hellgrauer Schimmer, den sie auf der Erde wahrscheinlich nicht einmal in der Nacht wahrgenommen hätten, aber ihre an stundenlange Dunkelheit gewöhnten Augen machten ihn aus, bevor sie sich seinem Ursprung auch nur vage genähert hatten.

Karas Herz begann hart und schnell zu schlagen, während die Scheibe mit nervenaufreibender Langsamkeit weiter in die Tiefe sank. Sie konnte erkennen, daß der Schacht sich immens verbreitert hatte: Aus dem knapp fünfzehn Meter durchmessenden Stollen war ein gewaltiges Rund von hundert oder mehr Metern geworden, dessen Wände nur noch zum Teil aus Fels bestanden. Überall entdeckten sie Reste des Triebes, der dieses Loch in der Erde noch vor Tagesfrist ausgefüllt hatte. Sie mußte plötzlich wieder an Donays Worte denken: Als hätte ihn jemand gepackt und in die Tiefe gezogen.

Und dann kamen sie aus dem Schacht heraus und schwebten buchstäblich im Nichts.

Fassungslos sahen sich Kara und Elder um.

Über ihnen war nicht mehr der Schacht, sondern die Decke einer ungeheuerlichen Höhle, in deren Mitte ein rundes Loch gähnte. Ihr Blick verlor sich in unmöglich zu schätzender Entfernung und grauem Dunst, und unter ihnen...

»Ein Meer!« flüsterte Kara fast ehrfürchtig »Das ist... ein Meer, Elder!«

Sie hatte niemals ein Meer gesehen, so wenig wie irgendein Bewohner dieser Welt, der in den letzten zweihundert Jahrtausenden geboren worden war, aber das, was da unter ihnen glitzerte, ein Puzzle aus Milliarden und Milliarden winziger Wellen, mußte ein Meer sein.

In gleichmäßigem Tempo glitten sie tiefer, aber plötzlich konnte Kara die Fahrt gar nicht mehr langsam genug vonstatten gehen, so faszinierend war der Anblick. Ein unterirdisches Meer, so groß, daß es vermutlich mehr Wasser enthielt als Flüsse und Seen der Welt zusammen! Welch unvorstellbarer Schatz, in einer Welt, die fast ausschließlich aus Wüste bestand.