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»Und wer sagt dir, daß ich es auch will?« fragte Kara trotzig.

»Du hast die Vorteile, die dir aus dieser Rolle erwuchsen, immer gern angenommen, nicht wahr?«

»Da habe ich noch nicht gewußt, wie hoch der Preis sein würde, den ich dafür vielleicht bezahlen muß«, antwortete Kara.

»Hübsch gesagt«, sagte Jan und zog eine Grimasse. »Glaub mir - du wirst noch mehr Kämpfe bestehen müssen, als dir lieb ist. Vielleicht nicht auf dem Rücken eines Drachen. Vielleicht nicht einmal mit dem Schwert, aber du wirst kämpfen. Und viel eher, als du jetzt schon ahnst.«

»Hübsch gesagt«, versetzte Kara und versuchte möglichst boshaft zu klingen, was ihr allerdings nicht ganz gelang. »Hat Angella dich geschickt, damit du mir das alles erzählst?«

»Nein«, antwortete Jan und stand auf. »Ich bin sogar gegen ihren Willen hier. Sie schäumt vor Zorn. Ginge es nach ihr, so hätte sie dich noch heute abend zum Drachenhort zurückgeschickt.«

Er ging zur Tür, öffnete sie und sagte wie zu sich selbst: »Und wer weiß, vielleicht wäre es sogar das beste.«

4

Die Reise hatte ihren Tribut gefordert, und so erwachte Kara erst Stunden nach Sonnenaufgang, ein wenig verärgert über die verlorene Zeit und dann beinahe so wütend wie am vergangenen Abend, denn sie mußte feststellen, daß außer Hrhon alle schon gegangen waren. Der Waga behauptete stur, nicht zu wissen, wohin sie gegangen waren, aber Kara wußte, daß er log.

Zu ihrer Überraschung jedoch erhob er keinerlei Einwände, als Kara sich anzog und verkündete, sich in der Stadt umsehen zu wollen.

Falls Schelfheim überhaupt jemals schlafen ging, so war es zumindest lange vor ihr wieder erwacht. Als sie an Hrhons Seite durch den Torbogen auf die eigentliche Straße hinaustrat, da schlugen der Lärm und die Hektik der Stadt mit der gleichen Wucht über ihr zusammen wie am vergangenen Abend. Für eine, geschlagene Minute blieb sie stehen und sah sich mit wachsender Hilflosigkeit um. Dann wandte sie sich an Hrhon.

»Du weißt wirklich nicht, wohin sie gegangen sind?« fragte sie. »Ich meine - denk lieber noch einmal nach. Angella wird nicht besonders erfreut sein, wenn ich mich verlaufe oder gar in eine Gegend gerate, in der mir etwas zustoßen könnte.«

Hrhons grüngeschupptes Schildkrötengesicht blieb unbewegt wie immer, aber Kara konnte ahnen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Denn ihre Worte entbehrten nicht einer gewissen Logik.

Schelfheim war gefährlich, selbst für eine Drachenkämpferin in Begleitung eines Waga.

»Isss ghlauhbe, sssie wollthen zhum Hohchwhegh«, sagte Hrhon zögernd.

»So«, sagte Kara spöttisch. »Glaubst du? Na, dann versuch doch mal, dich zu erinnern, wohin genau - und bring mich hin.« Sie straffte sich für den Fall, daß Hrhon auf den Gedanken kommen könnte, ihr Spielchen auf seine ganz persönliche Art und Weise zu beenden und sie gewaltsam ins Haus zurückzuschleifen. Es gab nicht vieles, in dem sie Hrhon überlegen war - aber laufen konnte sie eindeutig schneller als er.

Hrhon schien ihre Gedanken zu erraten. Seine dunklen Schildkrötenaugen glitten über Karas Körper und irrten dann über das Durcheinander auf der Straße. »Ihch dhenkhe, dhorth enthlhangh«, sagte er mit einer Geste in eine - wie es schien - x-beliebige Richtung. »Khomm. Abher ssshei vhohrssisstigh. Uhnd bhleib immer in meiner Nhähe.«

»Sicher«, murmelte Kara. »Das Kronjuwel könnte ja einen Kratzer abbekommen.« Vorsichtshalber sagte sie das aber so leise, daß Hrhon die Worte nicht verstand.

Sie gingen los. Hrhon bahnte mit seinen ausladenden Schultern eine Gasse für sie durch das Treiben auf der Straße. Ohne Hrhons Führung hätte Kara sich innerhalb kurzer Zeit hoffnungslos verlaufen.

Zum Glück ragte der Hochweg so weit über die Dächer Schelfheims empor, daß er von jedem Punkt der Stadt aus zu sehen war. Erneut spürte Kara eine gewisse Ehrfurcht beim Anblick dieser gigantischen Konstruktion. Die Brücke wirkte wie ein riesiger, künstlicher Wurm, der sich in zahllosen Kehren und Schleifen über die gesamte Stadt wand. Erneut fragte sie sich, wie um alles in der Welt der Untergrund Schelfheims das ungeheuerliche Gewicht des Hochweges trug; ein Boden, in den selbst zweistöckige Gebäude versanken.

Neugierig blickte sie sich um. Auch abseits der großen Hauptstraßen herrschte ein Gedränge, das auf einen Menschen wie Kara, die in der stillen Abgeschiedenheit des Drachenhortes aufgewachsen war, geradezu lähmend wirkte. Sie hatte niemals mehr als ein paar hundert Menschen auf einmal gesehen; ungefähr so viele bevölkerten diese eine Straße.

Allerdings waren nicht alle Geschöpfe, die sich hier herumtrieben, Menschen. Geschuppte, gefiederte, felltragende, horn- und chitingepanzerte Gestalten mit zwei, vier oder sechs Armen gingen umher, einige auch ohne Arme, dafür aber mit dünnen, schlängelnden Tentakeln oder mächtigen Beißzangen. Kara sah Hornköpfe, Katzer und Echsenmänner aus Nihn, federtragende, stachelige, schreiend bunte oder auch Geschöpfe, deren Farbe sich stets an ihre Umgebung anpaßte, so daß sie nicht mehr als Flecken reiner Bewegung waren. Nein, Hrhon und sie fielen hier höchstens auf, weil sie zu normal aussahen. Im Vergleich zu manchen der Geschöpfe, die ihnen begegneten, wirkte Hrhon geradezu menschlich.

Kara hatte all diese Geschöpfe schon hundertmal gesehen, kannte ihre Namen und Herkunft, wußte um ihre Gewohnheiten und wovor sie sich in acht nehmen mußte, aber sie hatte sie nur auf den großen Schirmen in Angellas Unterrichtsraum gesehen. Hier stand sie ihnen gegenüber. Sie konnte sie anfassen. Sie hören. Sie riechen. Es war einfach ein berauschendes Erlebnis.

Und es war gefährlich, aber das kam Kara gerade recht. Ihre schlechte Laune war keineswegs vergangen; ein kleiner Kampf wäre jetzt genau das richtige. Sie brauchte jemanden, an dem sie ihren Zorn auslassen konnte.

Zunächst jedoch stießen sie lediglich auf eine Straßensperre, eine jener fahrbaren mannshohen Palisaden, welche die Straßen vor ihnen auf ganzer Breite blockierten. Hier waren keine Hornköpfe postiert, wohl aber vier Männer in den schreiend gelben Umhängen der Stadtgarde, die mißtrauisch jeden, der das Tor passierte, beäugten. Und sie ließen auch nicht jeden hindurchgehen. Kara fiel auf, daß etliche abgewiesen wurden.

Fast gemächlich näherten sie sich dem Tor. Kara registrierte nebenher, daß neben den Schwertern auch die plumpen Griffe von Drachenwaffen aus den Gürteln der Männer prangten. Der Anblick gab ihr einen leisen Stich. Laser! Wie alle Drachenkämpfer verachtete sie jegliche Technik; selbst die, die sie notwendigerweise selbst benutzten.

Als sie das Tor passieren wollte, vertrat ihr einer der Gardisten den Weg. Er war nicht sehr viel älter als sie, aber sein Gesicht trug bereits jenen hochmütigen Zug, den man bei Angehörigen seiner Klasse nur allzu oft antraf. Kara beschloß spontan, ihn nicht zu mögen - wie sollte sie schließlich mit jemandem Streit anfangen, der ihr sympathisch gewesen wäre?

»Nicht so schnell«, sagte er und hob die Hand. »Wo ist dein grüner Ausweis?«

Kara zog die Augenbrauen zusammen. Kind? »Was für ein grüner Ausweis?« fragte sie.

Ein zweiter, etwas älterer Soldat gesellte sich zu ihnen, und der Jüngere antwortete in einem Ton überheblicher Gönnerhaftigkeit: »Der Ausweis, der beweist, daß du in diesem Viertel lebst, Mädchen. Aber da du danach fragst, nehme ich an, daß du nicht hier lebst und somit auch keinen Ausweis hast.« Er lachte unverschämt. Er hatte perfekte, beinahe strahlend weiße Zähne, und Kara fragte sich einen Moment lang ernsthaft, ob es sich lohnte, sie ihm einzuschlagen.