»Nein«, antwortete sie so beherrscht, wie sie konnte. »Ich habe keinen Ausweis. Ich wohne auch nicht hier. Ich gehe einfach nur spazieren.« Sie wollte den Soldaten aus dem Weg schieben und weitergehen, aber der Mann hielt sie sanft, aber sehr nachdrücklich am Arm zurück.
»So einfach ist das nicht«, erklärte er und grinste noch eine Spur unverschämter. »Wenn du keinen Ausweis hast, dann brauchst du einen Passierschein.«
»Einen Passierschein?« Kara senkte den Blick und starrte einen Moment lang die Hand mit den sorgsam geschnittenen Fingernägeln an, die ihren Arm hielt. Nach einer Weile tat ihr Blick seine Wirkung: die Hand zog sich vorsichtig zurück.
»Und wenn ich keinen Passierschein habe?« fragte Kara lächelnd.
»Dann kann ich dich nicht durchlassen, Kleines«, antwortete der Posten. Er deutete auf Hrhon. »Und das da sowieso nicht.«
»Das da?«
»Andere haben hier keinen Zutritt«, sagte der Gardist. Er machte sich nicht einmal die Mühe, Bedauern zu heucheln. »Es tut mir leid, aber so sind nun mal die Vorschriften. Ich habe sie nicht gemacht.«
»Ich auch nicht«, antwortete Kara und trat einen halben Schritt zurück. Sie tat so, als blicke sie den Posten vor sich an, behielt aber in Wahrheit auch die drei anderen im Auge. Der Mann neben ihrem Gegenüber sah abwechselnd sie und Hrhon an und schien angestrengt über etwas nachzudenken, und auch die beiden anderen starrten zu ihnen hinüber, wirkten aber noch nicht sehr alarmiert. Vier von ihnen gegen Hrhon und sie.
Kara hätte sich einen würdigeren Gegner gewünscht.
»Nachdem du also dein Sprüchlein aufgesagt hast, kannst du uns ja durchlassen. Wir haben unsere Zeit nämlich nicht gestohlen, weißt du?«
Sie machte einen Schritt. Der Soldat trat ihr abermals in den Weg. »Du kannst nicht...«
»Natürlich kann ich«, sagte Kara und versetzte ihm einen Stoß, der ihn taumeln und zu Boden stürzen ließ. Unverzüglich versuchte sich der andere auf sie zu stürzen, aber Kara empfing ihn mit einem Tritt, der ihn nach Luft schnappen und zu Boden gehen ließ. Das Mädchen sah aus den Augenwinkeln, wie plötzlich Bewegung in die beiden anderen Gardisten kam, aber sie wußte, daß Hrhon ihr den Rücken freihalten würde.
Blitzschnell setzte sie den beiden Männern nach, sah, wie der eine nach seiner Waffe griff, und schlug sie ihm mit einem Tritt aus der Hand. Dann ließ sie sich mit einer geschmeidigen Bewegung auf ein Knie fallen und holte zu einem Hieb aus.
Doch Hrhon mußte bei seiner Aufgabe, ihren Rücken zu decken, irgendeinen Fehler gemacht haben, denn einer der beiden anderen Männer sprang sie von hinten an, riß sie von den Füßen und klammerte sich an sie, während sie über den Boden rollten. Kara schlug einen Moment erschrocken um sich; der Bursche war stärker, als sie geglaubt hatte. Beinahe mühelos drehte er sie auf den Rücken und drückte ihr linkes Handgelenk mit dem Knie auf den Boden. Gleichzeitig stürzte auch der zweite herbei und packte ihre Beine.
Vermutlich hätten die beiden sie überwältigt, hätten sie nicht den Fehler begangen, sie zu unterschätzen. Ganz offensichtlich hielten sie Kara immer noch für ein Kind.
Daß sie aber keineswegs ein zartbesaitetes Mädchen war, bekam der eine zu spüren, als Hrhons freie Hand plötzlich mit der Wucht eines Hammerschlages gegen seine Schläfe knallte.
Seine Augen trübten sich, während er steif wie ein Stock von ihr herunterkippte.
Kara drückte den Rücken durch, ließ sich blitzschnell wieder zurückfallen und bekam ein Bein frei. Ihr Fuß krachte einen Wimpernschlag später zwischen die Oberschenkel des Mannes.
Er kreischte und wälzte sich stöhnend über den Boden.
Kara sprang auf die Füße. Ihr Blick suchte Hrhon. »Du verdammtes Fischgericht!« brüllte sie. »Hilf mir gefälligst.«
Aber der Waga dachte gar nicht daran. Er lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Palisade und grinste über sein schuppiges Gesicht. Der Anblick machte Kara so wütend, daß sie für einen Moment unachtsam war. Sie bemerkte die Faust, die auf ihr Gesicht zuraste, viel zu spät.
Der Schlag schleuderte sie neben Hrhon gegen die Barrikade und ließ bunte Sterne vor ihren Augen tanzen. Einen Moment lang blieb sie benommen stehen, sah durch die flirrenden Lichter vor sich einen verzerrten Umriß auf sich zuspringen und spannte sich instinktiv. Trotzdem trieb ihr der Hieb die Luft aus den Lungen. Sie schlug zurück, spürte selbst, daß sie nicht richtig traf, und machte einen Schritt zur Seite. Der Soldat versuchte ihr ein Bein zu stellen, aber damit hatte Kara gerechnet: sie hob ihren Fuß und ließ ihn auf das Schienbein des Mannes krachen.
Dann hörte sie Knochen brechen.
Der Gardist stürzte mit einem schrillen Kreischen zu Boden, und Kara wandte sich dem letzten verbliebenen Gegner zu.
Der Mann hatte seinen Laser gezogen, aber er zögerte, die Waffe einzusetzen. Voller Schrecken starrte er auf Karas Brust.
Bei ihrem Sturz war ihr Mantel auseinandergeklafft, so daß der Soldat die schwarze Drachenkämpfer-Uniform sehen konnte, die sie trug. Offensichtlich begriff er, wem er gegenüberstand.
Blitzschnell sprang Kara vor, entrang dem Mann die Laserpistole - und schlug ihm den Kolben seiner eigenen Waffe zwischen die Zähne. Die Zahl der Bodentruppen wuchs auf vier.
Kara schleuderte den Laser angewidert davon, bedachte das wimmernde Häufchen Elend vor sich mit einem zornigen Blick und hob den Fuß, damit der Bursche wenigstens einen Grund hatte, zu kreischen, als wäre er aufgespießt worden.
»Lhasss dhasss!« sagte Hrhon.
Kara funkelte ihn an. Ihr Fuß schwebte dicht über dem Gesicht des Soldaten. »Warum?« fragte sie. »Er hat noch ein paar Zähne.«
Der Waga ignorierte ihre Erwiderung. »Whir sssollthen mhachhen, dhasss whir wheghkommen«, sagte er.
Auf der Straße hatte sich ein regelrechter Menschenauflauf gebildet. Dutzende, wenn nicht Hunderte von Gestalten bildeten einen dichten Halbkreis um Hrhon, Kara und die vier Gardisten, die sich stöhnend am Boden krümmten. Auf den Gesichtern der Zuschauer lag ein Ausdruck von Erregung, und das, was Kara in den meisten Augen las, war pure Blutgier. Es fehlt eigentlich nur doch, dachte sie schaudernd, daß sie applaudieren.
Sie nickte Hrhon zu. »Du hast recht«, sagte sie. »Komm.«
Sie gingen durch das Tor und schritten schneller als bisher aus. »Verdammt noch mal, wieso hast du mir nicht geholfen?« knurrte sie. Sie hob die Hand zum Gesicht und fühlte, daß ihr rechtes Auge bereits anzuschwellen begann.
»Isss whollthe dhir nhisst dhen Sssphasss vherdherbhen«, lispelte Hrhon. »Ahbher ghansss nhebhenbhei - dhu wharsst nisst bheshondhersss ghuth.«
Kara verzichtete auf eine Antwort.
5
Wäre Kara in einer anderen Verfassung gewesen, dann hätte sie sich in der halben Stunde, die sie brauchten, um den Hochweg zu erreichen, eingestanden, daß die Warnung des Gardisten möglicherweise ernster gemeint gewesen war, als sie glaubte.
Niemand griff sie an, niemand machte Anstalten, sie aufzuhalten oder auch nur zu belästigen - aber sie konnte die Gefahr, die sich über ihnen zusammenbraute, regelrecht fühlen.
Vielleicht war sie auch nur nervös. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, mußte sie sich eingestehen, daß sie sich nicht nur dumm, sondern auch leichtsinnig verhalten hatte.
Immerhin waren sie zu viert gewesen und allesamt keine Schwächlinge. Es hätte schiefgehen können. Andererseits war Hrhon die ganze Zeit über in ihrer Nähe gewesen, so daß sie keinen Moment lang wirklich in Gefahr gewesen war.
Die Gegend hinter der Barriere verwirrte Kara immer mehr.
Dieses Schelfheim hatte nicht sehr viel mit der Stadt auf der anderen Seite der Barriere gemein. Auch hier waren die Straßen recht belebt, aber die Häuser waren weitaus prachtvoller und sauberer. Es gab Fenster mit Scheiben aus farbigem Glas, und vor manchen Häusern schmale, gepflasterte Stege, so daß man nicht auf die Fahrbahn hinaustreten mußte, die auch hier schmutzig und voller Unrat war.