«Bastard von Winterfell und Bruder von Königen«, spottete Chett, der seine Hunde allein gelassen hatte, um nachzuschauen, was es mit dem Aufruhr auf sich hatte.
«Der Wolf sieht dich ganz schön hungrig an, Mädchen«, sagte Lark.»Bestimmt würde er sich gern ein Stück Fleisch aus deinem Bauch reißen.«
Jon fand das nicht lustig.»Ihr macht ihr angst.«
«Wir warnen sie nur. «Chetts Grinsen war ebenso häßlich wie die Furunkel, mit denen sein Gesicht übersät war.
«Wir sollen nicht mit Euch reden«, erinnerte sich das Mädchen plötzlich.
«Warte«, rief Jon, aber zu spät. Sie lief davon.
Lark wollte sich das zweite Kaninchen schnappen, Ghost hingegen war schneller. Als der Wolf die Zähne fletschte, rutschte der Mann von den Sisters im Matsch aus und setzte sich auf den knochigen Hintern. Die anderen lachten. Der Schattenwolf brachte das Kaninchen zu Jon.
«Es gab keinen Grund, das Mädchen so zu ängstigen.«
«Von dir hören wir uns keine Belehrungen an, Bastard. «Chett gab Jon die Schuld daran, daß er seinen bequemen Posten bei Maester Aemon verloren hatte, und er hatte sogar nicht ganz unrecht damit. Wäre Jon nicht wegen Sam Tarly zu Aemon gegangen, würde er noch immer den alten blinden
Mann versorgen und nicht eine Meute schlechtgelaunter Hunde.»Vielleicht bist du ja der Liebling des Lord Commanders, aber nicht der Lord Commander selbst… und ohne dein Ungeheuer würdest du auch nicht so große Töne spucken.«
«Ich kämpfe nicht gegen einen Bruder, während wir uns jenseits der Mauer befinden«, antwortete Jon, und seine Stimme klang sehr kühl.
Lark stemmte sich auf die Knie hoch.»Er hat Angst vor dir, Chett. Auf den Sisters haben wir einen Namen für solche Kerle.«
«Ich kenne die Namen. Spar dir deine Worte. «Jon ging davon, und Ghost trottete neben ihm her. Der Regen hatte nachgelassen, es nieselte nur noch. Bald würde es zu dämmern beginnen, und dann würde eine weitere nasse, düstere, triste Nacht folgen. Die Wolken würden den Mond und die Sterne und sogar Mormonts Fackeln verhüllen, im Wald würde es stockfinster sein. Selbst Wasserlassen würde zum Abenteuer werden, wenngleich nicht gerade von der Art, die Jon sich vorgestellt hatte.
Draußen vor dem Wall hatten einige der Grenzer Reisig und trockenes Holz gesammelt und unter einem Schieferfelsvorsprung ein Feuer angezündet. Andere hatten die Zelte aufgestellt oder sich behelfsmäßige Unterstände gebaut, indem sie ihre Mäntel über niedrige Äste hängten. Der Riese war in eine abgestorbene hohle Eiche gekrabbelt.»Wie gefällt Euch meine Burg, Lord Snow?«
«Sieht gemütlich aus. Wo ist Sam?«
«Immer der Nase nach. Wenn du bei Ser Ottyns Pavillon ankommst, bist du zu weit gegangen. «Der Riese lächelte.»Es sei denn, Sam hätte auch einen hohlen Baum entdeckt. Aber was für eine Eiche müßte das sein.«
Am Ende war es Ghost, der Sam fand. Der Schattenwolf schoß voran wie der Bolzen einer Armbrust. Unter einem Felsvorsprung, der ein bißchen Schutz vor dem Regen bot, fütterte Sam die Raben. In seinen Schuhen quatschte es bei jedem Schritt.»Meine Füße sind klitschnaß«, gab er kläglich zu.»Als ich vom Pferd stieg, bin ich in ein Loch getreten und bis zu den Knien eingesunken.«
«Zieh deine Stiefel aus und trockne deine Strümpfe. Ich suche Holz. Wenn der Boden unter dem Felsen nicht zu feucht ist, bringen wir vielleicht ein Feuer zum Brennen. «Jon zeigte Sam das Kaninchen.»Und dann wird gegessen.«
«Mußt du nicht bei Lord Mormont in der Halle sein?«
«Nein, aber du. Der Alte Bär will, daß du eine Karte für ihn zeichnest. Craster sagt, er weiß, wo man Mance Rayder findet.«
«Oh. «Sam war offenbar wenig erpicht darauf, Craster kennenzulernen, selbst wenn er an einem warmen Feuer sitzen konnte.
«Zuerst sollst du essen, hat er gesagt. Und deine Füße müssen auch trocknen. «Jon machte sich daran, Brennholz zu sammeln, indem er unter umgestürzten Bäumen nach trockeneren Ästen suchte und Schichten wassergetränkter Kiefernnadeln zur Seite schob, bis er auf trockene Zweige stieß, die vermutlich zünden würden. Trotzdem dauerte es noch eine halbe Ewigkeit, bis ein Funke ein Flämmchen erzeugte. Er hängte seinen Mantel an den Felsvorsprung, um den Regen von dem rauchenden kleinen Feuer abzuhalten, und so hatten sie eine gemütliche kleine Höhle.
Während er sich daran machte, das Kaninchen zu häuten, zog sich Sam die Stiefel aus.»Ich glaube, zwischen meinen Zehen wächst schon Moos«, verkündete er traurig und wackelte mit den betreffenden Gliedern.»Das Kaninchen schmeckt bestimmt gut. Sogar das ganze Blut macht mir nichts aus. «Er blickte zur Seite.»Na ja, jedenfalls nicht viel…«
Jon spießte das Kaninchen auf einen Ast, schob ein paar Steine um das Feuer und legte es über die Glut. Das Tier war mager, roch aber wie ein königliches Festmahl. Andere Grenzer blickten neidisch herüber. Selbst Ghost starrte hungrig auf das Fleisch. In seinen roten Augen spiegelten sich die Flammen, als er schnüffelte.»Du hast deinen Anteil schon bekommen«, erinnerte ihn Jon.
«Ist Craster tatsächlich so ein Wilder?«fragte Sam. Das Kaninchen war zwar noch nicht ganz gar, schmeckte jedoch wunderbar.»Wie sieht es in der Burg aus?«
«Ein Misthaufen mit Dach und Feuergrube. «Jon erzählte Sam, was er in Crasters Bergfried gesehen und gehört hatte.
Als er damit fertig war, hatte sich draußen die Dunkelheit über das Land gesenkt. Sam leckte sich die Finger.»Das war gut, bloß jetzt hätte ich am liebsten noch eine Lammkeule dazu. Eine ganze Keule für mich allein, mit Pfefferminzsoße und Honig und Knoblauch. Hast du hier irgendwo Lämmer gesehen?«
«Hier gibt's zwar ein Schafgatter, leider jedoch ohne Schafe.«»Was essen denn seine Männer?«
«Ich habe keine Männer gesehen. Nur Craster und seine Frauen und ein paar kleine Mädchen. Ich frage mich, wie er hier die Stellung halten kann. Seine Verteidigungsanlagen sind jämmerlich, lediglich dieser matschige Wall. Du solltest jetzt besser in die Halle gehen und diese Karte zeichnen. Findest du den Weg?«
«Solange ich nicht in die Matsche falle. «Sam mühte sich damit ab, seine Stiefel wieder anzuziehen, holte Feder und Pergament hervor und trat in die Nacht, wo sofort wieder der Regen auf seinen Mantel und seinen Schlapphut prasselte.
Ghost legte den Kopf auf die Pfoten und schlief am Feuer ein. Jon streckte sich neben ihm aus und war dankbar für die Wärme. Zwar fror er noch immer, und noch immer waren seine
Kleider feucht, aber nicht mehr so sehr wie vor kurzem. Möglicherweise erfährt der Alte Bär heute etwas, das uns zu Onkel Benjen führt.
Beim Erwachen bildete sein Atem in der kalten Morgenluft kleine Dampfwolken. Als er sich bewegte, schmerzten seine Glieder. Ghost war verschwunden, das Feuer erloschen. Jon griff nach seinem Mantel, den er über den Felsen gehängt hatte. Der Stoff war steif und gefroren. Er kroch unter dem Vorsprung hervor und betrachtete den Wald, der sich in Kristall verwandelt hatte.
Das bleiche rosige Licht funkelte auf Ästen und Laub und Steinen. Jeder Grashalm war wie aus Smaragd gemeißelt, jeder Wassertropfen ein Diamant. Blumen und Pilze trugen Mäntel aus Glas. Selbst die Schlammlachen glänzten braun. Im schimmernden Grün waren die Zelte seiner Brüder mit einer Eisglasur bedeckt.
Es gibt also doch Magie jenseits der Mauer. Plötzlich dachte er an seine Schwestern, vielleicht, weil er in der Nacht von ihnen geträumt hatte. Sansa würde es Zauberei nennen, und ihr würden angesichts dieses Wunders Tränen in die Augen treten, derweil Arya herumtollen und lachen und schreien und alles anfassen wollen würde.