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«Ich sollte mich wohl am besten zu Lord Mormont aufmachen«, sagte Jon.

Der Regen mochte zwar aufgehört haben, dennoch war der

Hof noch immer ein Morast aus seichten Seen und schlüpfrigem Schlamm. Schwarze Brüder bauten überall ihre Zelte ab oder fütterten ihre Pferde, während sie auf Streifen von Trockenfleisch herumkauten. Jarmen Buckwells Kundschafter zogen bereits ihre Sattelgurte fest und machten sich zum Aufbruch bereit.»Jon«, grüßte Buckwell vom Pferderücken aus,»halt dein Bastardschwert schön scharf. Wir werden es bald brauchen.«

Wenn man Crasters Halle aus dem Tageslicht betrat, war sie eine düstere Halle. Die Fackeln der Nacht waren so gut wie abgebrannt, und man mochte kaum glauben, daß die Sonne bereits aufgegangen war. Lord Mormonts schwarzer Rabe erspähte Jon zuerst. Mit drei lässigen Flügelschlägen hatte er ihn erreicht und ließ sich auf dem Heft von Longclaw nieder.»Korn?«Der Vogel zupfte an Jons Haar.

«Beachte diesen Bettelvogel gar nicht, Jon, er hat gerade die Hälfte von meinem Speck gefressen. «Der Alte Bär saß an Crasters Tafel und frühstückte gemeinsam mit den anderen Offizieren: geröstetes Brot, Speck und Wurst. Crasters neue Axt lag auf dem Tisch, die goldenen Intarsien glänzten schwach im Fackellicht. Ihr Besitzer lag in tiefem Schlaf oben auf dem Schlafboden, aber die Frauen waren schon auf und bedienten die Grenzer.»Was für ein Tag erwartet uns draußen?«

«Kalt, doch es regnet nicht mehr.«»Sehr gut. Sorg dafür, daß mein Pferd gesattelt ist. In einer Stunde will ich losreiten. Hast du schon gegessen? Crasters Speisen sind zwar einfach, immerhin wird man davon satt.«

Ich werde Crasters Essen nicht anrühren, entschied er plötzlich.»Ich habe schon mit den Männern gefrühstückt, Mylord. «Er verscheuchte den Raben. Der Vogel hüpfte auf Mormonts Schulter, wo er prompt schiß.»Das hättest du auch bei Snow machen können«, knurrte der Alte Bär. Der Rabe krächzte.

Sam entdeckte er hinter der Halle bei dem aufgebrochenen Kaninchenstall, wo Goldy ihm gerade in seinen Mantel half. Als sie Jon bemerkte, schlich sie davon. Sam warf ihm einen gekränkten Blick zu.»Ich dachte, du würdest ihr helfen.«

«Und wie?«erwiderte Jon scharf.»Sollen wir sie mitnehmen, unter deinem Mantel versteckt? Wir haben Befehl, nicht — «

«Ich weiß«, unterbrach ihn Sam voller Schuldgefühle,»aber sie hat Angst. Ich weiß, wie das ist. Ich habe ihr gesagt…«Er schluckte.

«Was? Das wir sie mitnehmen?«Sams Gesicht wurde dunkelrot.»Auf dem Heimweg. «Er wich Jons Blick aus.»Sie bekommt ein Kind.«

«Sam, hast du den Verstand verloren? Wir kehren vielleicht gar nicht auf diesem Weg zurück. Und falls doch, glaubst du, der Alte Bär läßt zu, daß du eine von Crasters Frauen entführst?«

«Ich dachte… vielleicht würde mir bis dahin etwas einfallen…«»Für so etwas habe ich keine Zeit, ich muß die Pferde satteln. «Verärgert und wütend ließ Jon seinen Freund stehen. Sams Herz war ebenso groß wie sein Bauch, aber trotz seiner Bildung war er manchmal so dumm wie Grenn. Es war unmöglich und außerdem unehrenhaft. Warum schäme ich mich dann so?

Jon nahm seinen gewohnten Platz an Mormonts Seite ein, als die Nachtwache an den Schädeln vorbei durch Crasters Tor hinausritt. Sie folgten einem verschlungenen Wildpfad in Richtung Norden und Westen. Schmelzendes Eis tropfte mit leiser Musik auf sie herab, wie ein verlangsamter Regen. Nördlich des Anwesens führte der Bach Hochwasser und schwemmte Laub und Holz mit sich fort, aber die Kundschafter hatten die Furt gefunden, und die Kolonne überwand das Hindernis mit Leichtigkeit. Das Wasser reichte den Pferden bis an den Bauch. Ghost schwamm hindurch. Am anderen Ufer tropfte sein weißes Fell vom schlammigen Wasser, er schüttelte sich, und Tropfen spritzten in alle Richtungen. Mormont sagte nichts, doch der Rabe kreischte.

«Mylord«, sagte Jon leise, während der Wald sich wieder um sie schloß.»Craster hat keine Schafe. Und keine Söhne. «Mormont antwortete nicht.

«Auf Winterfell hat uns eine der Mägde immer Geschichten erzählt«, fuhr Jon fort.»Die Wildlinge, so sagte sie, würden sich mit den Anderen paaren und halbmenschliche Kinder gebären.«

«Ammenmärchen. Sieht Craster vielleicht nicht menschlich aus?«

«Er setzt seine Söhne im Wald aus.«

Langes Schweigen. Dann:»Ja. «Und der Rabe murmelte:»Ja. Ja, ja, ja.«

«Habt Ihr das gewußt?«

«Smallwood hat es mir gesagt. Vor langer Zeit. Jeder Grenzer weiß es, doch nur die wenigsten sprechen darüber.«

«Wußte mein Onkel es auch?«

«Alle Grenzer wissen es«, wiederholte Mormont.»Du denkst, ich sollte es verhindern. Ihn notfalls töten. «Der Alte Bär seufzte.»Wenn es nur darum ginge, daß er ein paar hungrige Mäuler loswerden will, so würde ich mit Freuden Yoren oder Conwys schicken, damit sie die Jungen abholen. Wir könnten sie aufziehen und die Wache mit ihnen verstärken. Doch diese Wildlinge dienen grausameren Göttern als du und ich. Crasters Jungen sind Opfer. Seine Gebete, wenn du so möchtest.«

Seine Frauen sind zu ganz anderen Gebeten verdammt, dachte Jon.

«Woher weißt du das eigentlich?«fragte der Alte Bär ihn.

«Von einer seiner Frauen?«

«Ja, Mylord«, gestand Jon.»Ich möchte Euch lieber nicht sagen, von welcher. Sie hatte Angst und suchte Hilfe.«

«Die Welt ist voller Menschen, die Hilfe brauchen, Jon. Ich wünschte nur, manche von ihnen würden den Mut finden, sich selbst zu helfen. Craster liegt jetzt besinnungslos auf seinem Schlafboden und stinkt nach Wein. Auf seinem Tisch unter ihm liegt eine neue, scharfe Axt. Wäre ich an Stelle der Frauen, so würde ich diesen Umstand als Antwort auf meine Gebete betrachten.«

Ja. Jon dachte an Goldy. An sie und ihre Schwestern. Neunzehn waren sie, und Craster nur einer. Dennoch…

«Für uns wäre es ein schlimmer Tag, wenn Craster sterben würde. Dein Onkel könnte dir von den Zeiten erzählen, als Crasters Bergfried für unsere Grenzer die Rettung vor dem sicheren Tod bedeutete.«

«Mein Vater… «Er zögerte.

«Raus damit, Jon. Sag, was du sagen wolltest.«

«Mein Vater hat mir einmal gesagt, daß manche Männer keine Hilfe wert sind«, sprach Jon weiter.»Ein Vasall, der brutal ist oder unrecht tut, entehrt seinen Lehnsherrn ebenso wie sich selbst.«

«Craster ist sein eigener Herr. Er hat uns keinen Eid geleistet. Zudem ist er kein Untertan unserer Gesetze. Dein Herz ist edel, Jon, aber diese Lektion solltest du lernen. Wir können diese Welt nicht besser machen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Die Nachtwache kämpft auf anderen Schlachtfeldern.«

Andere Schlachtfelder. Ja. Das darf ich nicht vergessen.»Jarmen Buckwell hat gesagt, ich würde vielleicht bald mein Schwert brauchen.«

«Tatsächlich?«Das schien Mormont nicht zu gefallen.

«Craster hat heute nacht so etwas Ähnliches geäußert und noch mehr. Er hat meine ärgsten Befürchtungen so sehr bestätigt, daß ich eine schlaflose Nacht auf seinem harten Boden verbracht habe. Mance Rayder versammelt sein Volk in den Frostfangs. Deshalb sind die Ortschaften verlassen. Das gleiche hat Ser Denys Mallister von diesem Wildling gehört, den seine Männer gefangengenommen haben, aber Craster hat uns noch verraten, wo dieser Ort liegt, und das bedeutet einen großen Unterschied.«

«Baut er eine Stadt, oder versammelt er eine Armee?«»Nun, genau das ist die Frage. Wie viele Wildlinge sind es? Und wie viele davon sind Krieger? Keiner weiß es mit Gewißheit. Die Frostfangs sind unwirtlich und hart, eine Wildnis aus Stein und Eis. Eine größere Gruppe Menschen wird dort nicht lange überleben. Ich sehe darin nur einen einzigen Zweck. Mance Rayder will nach Süden in die Sieben Königslande vorstoßen.«