«Möglicherweise ist er tot«, stimmte Esgred zu,»und wenn nicht, hat er soviel Zeit auf See verbracht, daß man ihn hier wie einen Fremden betrachten wird. Die Menschen von den Iron Islands würden keinen Fremden auf dem Meersteinstuhl sitzen lassen.«
«Das glaube ich auch nicht«, erwiderte Theon, ehe ihm einfiel, daß man ihn ebenfalls als Fremden bezeichnen könnte. Er runzelte die Stirn. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, aber jetzt bin ich zurück, und mein Vater wird noch eine Weile leben. Mir
bleibt genug Zeit, mich zu beweisen.
Er überlegte, ob er nochmals Esgreds Brust streicheln sollte, doch vermutlich würde sie seine Hand erneut zur Seite schieben, und dieses Gerede über seine Onkel hatte ihm irgendwie die Lust verdorben. Außerdem würde sich ihm in der Abgeschiedenheit seiner Gemächer ausreichend Gelegenheit dazu bieten.»Ich werde mit Helya sprechen, sobald wir Pyke erreicht haben, und dafür sorgen, daß man Euch auf dem Fest einen ehrenvollen Platz zuweist«, sagte er.»Ich muß auf dem Podest sitzen, zur Rechten meines Vaters, doch nachdem er die Halle verlassen hat, werde ich mich zu Euch gesellen. Der alte Mann hält meist nicht lange aus. Sein Magen macht das Trinken nicht mehr mit.«
«Es ist schmerzlich, wenn ein großer Mann alt wird.«»Lord Balon ist nur der Vater eines großen Mannes.«»Welche Bescheidenheit Ihr an den Tag legt, Mylord.«»Nur ein Narr demütigt sich selbst, wo es in der Welt von jenen wimmelt, die das für ihn tun möchten. «Er küßte sie sanft in den Nacken.
«Was soll ich zu diesem großen Fest tragen?«Sie griff nach hinten und schob sein Gesicht weg.
«Ich werde Helya auftragen, Euch behilflich zu sein. Eines der Kleider meiner Hohen Mutter sollte genügen. Sie ist auf Harlaw, und niemand rechnet im Augenblick mit ihrer Rückkehr.«
«Die kalten Winde haben ihr zugesetzt, habe ich gehört. Werdet Ihr sie nicht besuchen? Harlaw erreicht man an einem Tag, und gewiß sehnt sich Lady Greyjoy danach, ihren Sohn ein letztes Mal zu sehen.«
«Ich wünschte, das wäre möglich. Doch leider habe ich hier zu viel zu tun. Im Frieden vielleicht…«
«Eure Gegenwart könnte ihr Frieden bringen.«»Jetzt hört Ihr Euch an wie eine Frau«, beschwerte sich Theon.»Ich gestehe es: Ich bin eine.. und ich trage seit kurzem ein Kind.«
Dieser Gedanke erregte ihn.»Das behauptet Ihr, aber Eurem Körper läßt es sich nicht anmerken. Wie wollt Ihr es beweisen? Bevor ich Euch glaube, muß ich sehen, wie Eure Brüste anschwellen, und von der Muttermilch kosten.«
«Was wird mein Gemahl dazu sagen? Eures Vater Vasall und treuer Diener.«
«Wir geben ihm so viele Schiffe zu bauen, daß er Eure Abwesenheit nicht einmal bemerken wird.«
Sie lachte.»Welch grausamer Lord hat mich da in seine Gewalt gebracht. Wenn ich Euch verspreche, Euch eines Tages beim Stillen zuschauen zu lassen, werdet Ihr mir dann mehr über Euren Krieg erzählen, Theon aus dem Haus Greyjoy? Noch liegen viele Meilen vor uns, und ich würde gern etwas über diesen Wolfskönig erfahren, dem Ihr gedient habt, und über die goldenen Löwen, die er bekämpft.«
Natürlich wollte Theon ihr zu Gefallen sein, und so kam er ihrem Wunsch nach. Der Rest des langen Ritts verflog im Nu, während er ihren hübschen Kopf mit Erzählungen über Winterfell und den Krieg füllte. Manches an seinem Bericht erstaunte ihn selbst. Man kann so wunderbar mit ihr sprechen, die Götter mögen sie segnen, dachte er. Ich fühle mich, als würde ich sie schon seit Jahren kennen. Falls dieses Mädchen beim Spiel zwischen den Kissen nur halb so begabt ist wie ihr Verstand, darf ich sie nicht mehr hergeben. Er dachte an Sigrin den Schiffsbauer, einen fetten, dummen Kerl mit flachsblondem Haar, und schüttelte den Kopf. Was für eine Verschwendung. Tragisch. Und schon hatten sie die große Außenmauer von Pyke erreicht. Das Tor stand offen. Theon gab Smiler die Sporen und ritt im raschen Trab hindurch. Die Hunde stimmten ein wildes Gebell an, als er Esgred aus dem Sattel half. Mehrere stürmten mit wedelndem Schwanz auf sie zu. Sie schossen an ihm vorbei und hätten seine Begleiterin fast umgeworfen, sprangen an ihr hoch und leckten ihr die Hände.»Weg!«brüllte Theon und trat vergeblich nach einer großen braunen Hündin, aber Esgred lachte nur und rang spielerisch mit den Tieren.
Ein Stallbursche rannte den Hunden hinterher.»Nimm das Pferd«, befahl Theon,»und schaff diese verfluchten Viecher fort — «Der Mann zollte ihm keinerlei Beachtung. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein breites Lächeln.»Lady Asha. Ihr seid zurück.«
«Seit gestern abend«, antwortete sie.»Ich bin mit Lord Goodbrother von Great Wyk gekommen und habe die Nacht im Gasthaus verbracht. Mein kleiner Bruder war so freundlich, mich auf seinem Pferd von Lordsport mitzunehmen. «Sie küßte einen der Hunde auf die Nase und grinste Theon an.
Der stand mit offenem Mund da und starrte sie an. Asha. Nein. Das kann nicht Asha sein. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß es in seinem Kopf zwei Ashas gab. Die eine war das kleine Mädchen, das er in seiner Kindheit gekannt hatte. Von der anderen hatte er nur eine vage Vorstellung, in der sie ihrer Mutter glich. Keine der beiden hatte jedoch Ähnlichkeit mit dieser… dieser…
«Die Pickel sind verschwunden, als ich Brüste bekam«, erklärte sie, während sie sich mit einem der Hunde balgte,»aber den Geierschnabel habe ich noch immer.«
Theon fand endlich seine Stimme wieder.»Warum hast du mir das nicht gesagt?«
Asha ließ den Hund los und richtete sich auf.»Ich wollte zuerst sehen, wer du bist. Und das habe ich gesehen. «Sie verneigte sich spöttisch vor ihm.»Und nun, kleiner Bruder, entschuldige mich bitte. Ich muß baden und mich für das Fest umkleiden. Ich frage mich, ob ich das Kettenhemd wohl noch habe, das ich immer über meiner Lederunterwäsche trage?«Sie grinste ihn boshaft an und überquerte die Brücke mit diesem Gang, der ihm so gut gefallen hatte, halb schlendernd, halb wiegend.
Als er sich umdrehte, feixte Wex ihn an. Er versetzte dem Jungen eine kräftige Maulschelle.»Das ist für deine Schadenfreude. «Und eine zweite, härtere Ohrfeige folgte.»Und das dafür, daß du mich nicht gewarnt hast. Nächstes Mal läßt du dir eine Zunge wachsen.«
Seine Gemächer im Gästeturm waren ihm nie zuvor so kalt vorgekommen, obwohl die Kohlenpfannen brannten. Theon schleuderte seine Stiefel durch den Raum, ließ den Mantel zu Boden fallen, schenkte sich einen Becher Wein ein und erinnerte sich an ein schlaksiges Mädchen mit krummen Beinen und Pickeln… Sie hat meine Hose aufgeschnürt, ging es ihm wütend durch den Sinn, und sie hat gesagt… oh, Götter, und ich habe gesagt… Er stöhnte. Einen größeren Narren hätte er kaum aus sich machen können.
Nein. Sie war es, die mich zum Narren gemacht hat. Diese gemeine Hure muß sich die ganze Zeit köstlich amüsiert haben. Und wie sie mir dauernd zwischen die Beine gegriffen hat…
Er nahm seinen Wein, setzte sich auf die Fensterbank und blickte hinaus aufs Meer, derweil draußen die Sonne unterging. Hier gibt es keinen Platz für mich, überlegte er sich, und Asha ist der Grund dafür, mögen die Anderen sie holen! Das Wasser unten wandelte sich von grün zu grau zu schwarz. Dann hörte er von ferne Musik, und er wußte, daß er sich jetzt für das Fest umziehen mußte.