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Tyrion wandte sich angewidert ab.»Fesselt ihn und bringt ihn fort«, befahl er.»Werft ihn in eine der schwarzen Zellen.«

Sie zerrten ihn durch die zerbrochene Tür hinaus.

«Lannister«, jammerte der Maester,»es geschah alles im Namen des Hauses Lannister… «

Nachdem er fort war, durchsuchte Tyrion die Gemächer des alten Mannes und nahm einige weitere Gefäße vom Regal. Die Raben murmelten derweil über seinem Kopf eigentümlich friedfertig vor sich hin. Er würde jemanden finden müssen, der sich um die Vögel kümmerte, bis die Citadel Ersatz für Pycelle geschickt hatte.

Er war der einzige, von dem ich hoffte, ich könnte ihm vertrauen. Varys und Littlefinger waren keine Spur verläßlicher, vermutete er… nur gingen sie vorsichtiger zu Werke, was sie um so gefährlicher machte. Vielleicht sollte er es so halten, wie sein Vater es getan hätte: Ilyn Payne rufen und alle drei Köpfe über dem Tor aufspießen lassen, und damit Schluß. Und wäre das nicht ein hübscher Anblick, dachte er.

Arya

Angst schneidet tiefer als Schwerter, redete sich Arya ein, trotzdem vertrieb das die Furcht nicht. Diese war jetzt genauso Teil ihres Lebens wie das altbackene Brot und die Blasen an den Füßen nach den langen Märschen über die harte, zerfurchte Straße.

Sie hatte geglaubt, zu wissen, was Angst bedeutete, aber in dem Lagerhaus am God's Eye hatte sie sich eines Besseren belehren lassen müssen. Acht Tage hatte sie dort verbracht, bevor der Reitende Berg den Befehl zum Aufbruch gab, und jeden Tag hatte sie jemanden sterben sehen.

Der Berg kam stets nach seinem Frühstück ins Lagerhaus und suchte sich einen der Gefangenen aus, um ihn zu verhören. Die Dorfbewohner schauten ihn nicht an. Vielleicht glaubten sie, wenn sie ihn nicht beachteten, würde er sie ebenfalls nicht bemerken… aber sie entgingen ihm nicht, und er wählte denjenigen aus, der ihm gerade in den Sinn kam. Nirgends konnte man sich verstecken, keine List half, und Sicherheit gab es nicht.

Ein Mädchen teilte in drei aufeinanderfolgenden Nächten das Bett mit einem der Soldaten; am vierten Tag holte der Berg sie, und der Soldat sagte nichts.

Ein lächelnder alter Mann flickte ihre Kleidung und plapperte ständig über seinen Sohn, der bei den Goldröcken in King's Landing diene.»Ein Mann des Königs ist er«, wiederholte er ständig,»ein Getreuer des Königs wie ich, wir sind alle für Joffrey. «Er sagte das so oft, daß die anderen Gefangenen ihn am Ende Alle-für-Joffrey nannten, wenn die Wachen nicht zugegen waren. Alle-für-Joffrey wurde am fünften Tag ausgewählt.

Eine junge Mutter mit Pockennarben im Gesicht bot ihnen an, alles zu verraten, was sie wisse, wenn sie nur ihrer Tochter nichts zuleide taten. Der Berg verhörte sie; am nächsten Morgen holte er die Tochter, um sich zu versichern, daß die Frau wirklich nichts für sich behalten hatte.

Die Verhöre fanden vor den anderen Gefangenen statt, damit sie sahen, welches Schicksal Rebellen und Verrätern blühte. Ein Mann, den die anderen den Kitzler nannten, stellte die Fragen. Wegen seines unauffälligen Gesichts und seiner einfachen Kleidung hatte Arya ihn zunächst für einen der Dorfbewohner gehalten, ehe sie ihn bei der Arbeit erlebte.»Kitzler läßt sie heulen, bis sie sich in die Hose pissen«, erklärte ihnen der bucklige Chiswyck. Das war der Soldat, den sie hatte beißen wollen und der sie niedergeschlagen hatte. Manchmal half er Kitzler. Dann wieder übernahmen andere diese Aufgabe. Ser Gregor Clegane stand reglos daneben, beobachtete alles und hörte zu, bis das Opfer gestorben war.

Die Fragen waren stets dieselben. War irgendwo im Dorf Gold versteckt? Silber? Edelsteine? Gab es noch weitere Vorräte? Wo befand sich Lord Beric Dondarrion? Welche Dorfbewohner hatten ihm geholfen? Wo war er hingeritten? Wie viele Männer hatten ihn begleitet? Wie viele Ritter, Bogenschützen, wie viele Bewaffnete? Womit waren sie ausgerüstet? Wie viele Pferde hatten sie? Gab es Verwundete unter ihnen? Welche anderen Feinde hatten sie gesehen? Wie viele? Wann? Welche Banner hatten sie geführt? In welche Richtung waren sie gezogen? War irgendwo im Dorf Gold versteckt? Silber? Edelsteine? Wo befand sich Lord Beric Dondarrion? Wie viele Männer begleiteten ihn? Am dritten Tag hätte Arya die Fragen selbst stellen können.

Sie fanden ein wenig Gold, ein wenig Silber, einen großen Beutel mit Kupfermünzen und einen verbeulten Kelch, der mit Granaten verziert war und wegen dem sich zwei Soldaten beinahe geprügelt hätten. Sie erfuhren, daß Lord Beric zehn Hungergestalten bei sich hatte oder auch hundert Ritter; er war nach Westen geritten, oder nach Norden oder Süden; er hatte den See in einem Boot überquert; er war stark wie ein Auerochse oder von der Blutgrippe geschwächt. Niemand überlebte das Verhör des Kitzlers; kein Mann, keine Frau, kein Kind. Bei den Kräftigsten dauerte es bis zum Einbruch der Dunkelheit. Ihre Leichen wurden abseits der Lagerfeuer für die Wölfe aufgehängt.

Als sie endlich aufbrachen, wußte Arya, daß sie keine Wassertänzerin war. Syrio Forel hätte sich niemals von ihnen niederschlagen oder das Schwert abnehmen lassen, und er hätte auch nicht tatenlos danebengestanden, während sie Lommy Grünhand ermordeten. Syrio hätte nicht stumm in diesem Lagerhaus gesessen, und er wäre auch nicht widerstandslos zwischen den anderen marschiert. Der Schattenwolf war das Wappen der Starks, aber Arya fühlte sich wie ein Lamm, umgeben von einer Herde anderer Schafe. Sie haßte die Dorfbewohner dafür, und sich selbst auch.

Die Lannisters hatten ihr alles genommen: Vater, Freunde, Heim, Hoffnung. Einer hatte ihr Needle gestohlen, während ein anderer ihr Holzschwert über dem Knie zerbrochen hatte. Sie hatten ihr Geheimnis enthüllt. Das Lagerhaus war groß genug gewesen, um sich zum Wasserlassen eine stille Ecke zu suchen, aber unterwegs war das nicht mehr möglich. Sie beherrschte sich so lange wie möglich, am Ende mußte sie sich doch neben einen Busch hocken und die Hose vor allen herunterlassen. Sonst hätte sie sich einnässen müssen. Heiße Pastete starrte sie mit seinen großen Mondaugen an, sonst jedoch hatte niemand einen Blick für sie übrig. Schafsmädchen oder Schafsjunge, Ser Gregor und seine Männer kümmerte das nicht.

Ihre Wächter verboten ihnen das Sprechen. Eine aufgeplatzte Lippe brachte Arya zu der Erkenntnis, lieber zu schweigen. Andere lernten es nicht. Ein dreijähriger Junge wollte nicht aufhören, nach seinem Vater zu rufen, also zertrümmerten sie ihm das Gesicht mit einer stachelbewehrten Keule. Dann fing die Mutter des Jungen an zu schreien, und Raff der Liebling tötete sie ebenfalls.

Arya sah sie sterben und tat nichts dagegen. Was für einen Sinn hätte Tapferkeit gehabt? Eine der Frauen hatte versucht, beim Verhör tapfer zu sein, doch war sie ebenso wie die übrigen schreiend krepiert. Auf diesem Marsch gab es keine Tapferkeit, nur Wunden und Hunger. Die meisten Gefangenen waren Frauen und Kinder. Die wenigen Männer waren entweder sehr alt oder sehr jung; der Rest war an dem Galgen geendet und Wölfen und Krähen überlassen worden. Gendry wurde nur verschont, weil er zugab, den gehörnten Helm selbst geschmiedet zu haben; Schmiede, auch Lehrlinge waren zu kostbar, um sie zu töten.

Sie wurden verschleppt, um Lord Tywin Lannister auf Harrenhal zu dienen, erklärte der Berg ihnen.»Ihr seid Hochverräter und Rebellen, deshalb dankt Lord Tywin für diese Gnade. Von den Gesetzlosen dürft ihr das nicht erwarten. Gehorcht und dient, dann werdet ihr überleben.«