Robb antwortete nicht, doch seinen Augen konnte sie ansehen, wie verletzt er war. Blaue Augen, die Augen der Tullys, Augen, die er von ihr hatte. Sie hatte ihn getroffen, doch er war zu sehr seines Vaters Sohn, um dies einzugestehen.
Das war meiner nicht würdig, schalt sie sich. Die Götter mögen sich erbarmen, was soll bloß aus mir werden? Er gibt sein Bestes, gibt sich so viel Mühe, ich weiß es, ich sehe es, und dennoch… dennoch, ich habe meinen Ned verloren, den Fels, auf den mein Leben gebaut war, und sollte ich auch noch die Mädchen verlieren, könnte ich es nicht ertragen…
«Ich tue alles für meine Schwestern, was möglich ist«, sagte Robb.»Wenn die Königin nur ein Quentchen Verstand besitzt, wird sie meine Bedingungen akzeptieren. Wenn nicht, wird sie den Tag bereuen, an dem sie das Angebot abgelehnt hat.«
Offensichtlich war er des Themas überdrüssig.»Mutter, wollt Ihr wirklich nicht zu den Twins reisen? Dort wäret Ihr weiter von den Kämpfen entfernt, und Ihr könntet die Töchter von Lord Frey kennenlernen, damit ich mich nach dem Krieg für die richtige Braut entscheide.«
Er will mich loswerden, schoß es Catelyn durch den Kopf. Könige sollten keine Mütter haben, scheint es, und ich sage ihm Dinge, die er nicht hören möchte.»Ihr seid alt genug, um Euch ohne meine Hilfe für eines von Lord Walders Mädchen zu entscheiden, Robb.«
«Dann begleitet Theon. Er bricht morgen früh mit der Eskorte der Mallisters auf, die einen großen Teil der Gefangenen nach Seagard verlegt, und danach nimmt er ein Schiff zu den Iron Islands. Dort könntet Ihr ebenfalls ein Schiff finden, und bei der Mondwende wäret Ihr zurück in Winterfell, wenn die Winde günstig stehen. Bran und Rickon brauchen Euch.«
Und du nicht, willst du das damit sagen?» Meinem Hohen Vater bleibt nur noch kurze Zeit. Solange Euer Großvater lebt,
ist mein Platz hier bei ihm in Riverrun.«
«Ich könnte Euch die Abreise befehlen. Als König. Das könnte ich.«
Catelyn ging nicht darauf ein.»Ich betone abermals, an Eurer Stelle würde ich jemand anders nach Pyke schicken und Theon in Eurer Nähe behalten.«
«Wer könnte besser mit Balon Greyjoy verhandeln als sein Sohn?«
«Jason Mallister«, schlug Catelyn vor,»Tytos Blackwood. Stevron Frey. Jeder… außer Theon.«
Ihr Sohn hockte sich vor Grey Wind nieder und zerzauste dem Wolf das Fell, wobei er wie zufällig ihrem Blick auswich.»Theon hat tapfer für uns gefochten. Ich habe Euch bereits erzählt, daß er Bran von diesen Wildlingen im Wolfswald gerettet hat. Falls die Lannisters keinen Frieden wollen, brauche ich Lord Greyjoys Landschiffe.«
«Ihr bekommt sie eher, wenn Ihr seinen Sohn als Geisel habt.«
«Er war sein halbes Leben lang eine Geisel.«
«Aus gutem Grund«, erwiderte Catelyn.»Balon Greyjoy kann man nicht trauen. Er hat einst selbst eine Krone getragen, wenn auch nur kurz, habt Ihr das vergessen? Möglicherweise hegt er die Absicht, sie sich abermals aufs Haupt zu setzen.«
Robb erhob sich.»Das würde ich ihm nicht mißgönnen. Da ich König des Nordens bin, mag er doch König der Iron Islands sein, wenn es ihn danach verlangt. Ich würde ihm die Krone leichten Herzens geben, solange er uns nur hilft, die Lannisters zu besiegen.«
«Robb — «
«Ich schicke Theon. Guten Tag, Mutter. Grey Wind, komm. «Robb schritt rasch davon, und der Schattenwolf trabte hinter ihm her.
Catelyn stand da und starrte ihm nach. Ihr Sohn, und jetzt war er König. Welch eigentümliches Gefühl. Übernimm den Befehl, hatte sie ihn in Moat Cailin aufgefordert. Ebendies hatte er getan.»Ich werde Vater einen Besuch abstatten«, verkündete sie plötzlich.»Edmure?«
«Ich muß mich noch um diese neuen Bogenschützen kümmern, die Ser Desmond ausbildet. Ich werde später nach ihm sehen.«
Falls er dann noch lebt, dachte Catelyn, sprach es jedoch nicht aus. Ihr Bruder würde sich eher in die Schlacht werfen, als das Krankenzimmer zu betreten.
Der kürzeste Weg zum zentralen Bergfried, in dem ihr Vater im Sterben lag, führte durch den Götterhain mit seinen Wiesen und Wildblumen und den Wäldchen aus Ulmen und Mammutbäumen. Noch raschelte das volle Laub in den Kronen, auch wenn der weiße Rabe Riverrun bereits vor vierzehn Tagen erreicht hatte. Der Herbst begann, so hatte es die Konklave verkündet, aber die Götter hatten es dem Wind und den Wäldern noch nicht verraten. Dafür empfand Catelyn tiefe Dankbarkeit. Der Herbst war eine Jahreszeit, die sie fürchtete, denn hinter ihm lauerte der Winter. Und selbst der weiseste Mann wußte nie, ob seine nächste Ernte die letzte sein würde.
Hoster Tully, Lord von Riverrun, lag im Bett seines Solars, von wo aus er einen weiten Blick über den Tumblestone und den Roten Arm jenseits der Burgmauern hatte. Er schlief, als Catelyn eintrat. Sein Haar und sein Bart waren weiß wie das Federbett, seine einst stattliche Gestalt wirkte nun, da der Tod die Klauen nach ihm ausstreckte, klein und gebrechlich.
Neben dem Bett saß, noch in Kettenhemd und dem staubbedeckten Reisemantel, ihres Vaters Bruder, der Blackfish. Seine Stiefel waren mit getrocknetem Schlamm gesprenkelt.»Weiß Robb von Eurer Rückkehr, Onkel?«Ser
Brynden Tully war für Robb Augen und Ohren, er war Kommandant der Kundschafter und Vorreiter.
«Nein, ich bin gleich vom Stall hierhergeeilt, als man mir sagte, der König halte Hof. Seine Gnaden wird mein Kunde zunächst allein hören wollen, glaube ich. «Der Blackfish war ein großer, schlanker Mann mit grauem Haar und exakten Bewegungen. Sein glattrasiertes Gesicht war gefurcht und wettergegerbt.»Wie geht es ihm?«fragte er, und damit meinte er nicht Robb.
«Unverändert. Der Maester gibt ihm Traumwein und Mohnblumensaft, daher schläft er die meiste Zeit, und er ißt zu wenig. Mit jedem Tag scheint er ein wenig schwächer zu werden.«
«Spricht er gelegentlich?«
«Ja… aber in seinen Worten findet man nur wenig Sinn. Er entschuldigt sich, redet von unerledigten Aufgaben, von Menschen, die lange tot sind, von Zeiten, die lange vergangen sind. Manchmal weiß er nicht, welche Jahreszeit ist oder wer ich bin. Einmal hat er mich bei Mutters Namen genannt.«
«Er vermißt sie immer noch«, antwortete Ser Brynden.»Du hast ihr Gesicht geerbt. Ich sehe ebenfalls in deinen Wangen, deinem Kinn… «
«Ihr könnt Euch an mehr erinnern als ich. Es ist schon so lange her. «Sie setzte sich auf die Bettkante und strich eine Strähne des feinen weißen Haares zurück, die ihrem Vater in die Stirn gefallen war.
«Jedesmal, wenn ich hinausreite, frage ich mich, ob ich ihn bei meiner Rückkehr noch lebend oder schon tot vorfinden werde. «Trotz all ihrer Auseinandersetzungen bestand eine tiefe Verbindung zwischen ihrem Vater und seinem Bruder, den er einst verstoßen hatte.
«Zumindest habt Ihr Euren Frieden mit ihm geschlossen.«
So saßen sie schweigend eine Weile lang da, bis Catelyn den Kopf hob.»Ihr spracht von Neuigkeiten, die Robb hören sollte?«Lord Hoster stöhnte und wälzte sich auf die Seite, als habe er ihre Worte vernommen.
Brynden stand auf.»Komm mit nach draußen. Wir sollten ihn nicht wecken.«
Sie folgte ihm auf den Steinbalkon, der dreieckig aus dem Solar herausragte wie der Bug eines Schiffes. Ihr Onkel blickte zum Himmel und runzelte die Stirn.»Jetzt sieht man ihn schon bei Tage. Meine Männer nennen ihn den Roten Boten… aber welche Botschaft bringt er uns?«
Catelyn betrachtete die schwache rote Linie, die der Komet über den tiefblauen Himmel zog.»Der Greatjon hat Robb gesagt, die alten Götter hätten die rote Flagge der Rache für Ned entrollt. Edmure hält es für ein Omen des Sieges für Riverrun — er sieht einen Fisch mit langer Schwanzflosse darin, in den Farben der Tullys, rot auf blau. «Sie seufzte.»Hätte ich doch nur ihren Glauben. Purpurrot ist eine Farbe der Lannisters.«