«Auf Euch wartet eine Sänfte, Mylord«, sagte Ser Jacelyn zu Slynt.»Der Hafen ist weit entfernt und dunkel, und die Straßen sind bei Nacht nicht sicher. Männer.«
Während die Goldröcke ihren einstigen Kommandanten hinausdrängten, bat Tyrion Ser Jacelyn zu sich und überreichte ihm ein Pergament.»Es wird eine lange Reise für Lord Slynt, und er wird sich nach Gesellschaft sehnen. Kümmert Euch darum, daß diese Sechs auf der Sommertraum zu ihm stoßen.«
Bywater überflog die Namen und lächelte.»Wie Ihr wünscht.«
«Dieser eine«, sagte Tyrion leise,»Deem. Richtet dem Kapitän aus, es würde nicht übelgenommen werden, falls er noch vor Eastwatch versehentlich über Bord gehen würde.«
«Man hat mir berichtet, die Gewässer im Norden seien sehr stürmisch, Mylord. «Ser Jacelyn verneigte sich und verließ mit wehendem Umhang den Saal.
Tyrion saß allein da und nippte an den Resten des guten dornischen Weins. Diener kamen und gingen und räumten Speisen und Geschirr vom Tisch. Er sagte ihnen, sie sollten den Wein stehen lassen. Nachdem sie fertig waren, schwebte Varys herein. Seine wallende, lavendelfarbene Robe paßte zu dem Geruch, den er verströmte.»Oh, sehr schön gemacht, mein verehrter Lord.«
«Warum habe ich dann diesen bitteren Geschmack auf der Zunge?«Er drückte die Finger an die Schläfen.»Ich habe ihnen aufgetragen, Allar Deem ins Meer zu werfen. Und ich bin arg versucht, das gleiche mit Euch zu tun.«
«Ihr wäret von dem Ergebnis enttäuscht«, erwiderte Varys.»Die Stürme kommen und gehen, die Wellen schlagen zusammen, der große Fisch frißt den kleinen, und ich paddele weiter. Dürfte ich Euch um einen Schluck von dem Wein bitten, der Lord Slynt so sehr gemundet hat?«
Tyrion deutete mit einer Geste auf die Karaffe und runzelte die Stirn.
Varys füllte sich einen Kelch.»Ah. Süß wie der Sommer. «Er nippte abermals.»Ich höre die Weintrauben auf meiner Zunge singen.«
«Ich habe mich schon gewundert, was für ein Geräusch das ist. Sagt den Trauben, sie sollen still sein, mein Kopf platzt gleich. Es war meine Schwester. Nur wollte der ach so treue Lord Janos es nicht preisgeben. Cersei hat die Goldröcke zu diesem Bordell geschickt.«
Varys kicherte nervös. Demnach hatte er es die ganze Zeit gewußt.
«Diesen Teil der Geschichte habt Ihr ausgelassen«, warf Tyrion ihm vor.
«Eure eigene Schwester«, antwortete Varys und schaute dabei so traurig drein, als würden ihm im nächsten Moment die Tränen kommen.»So etwas sagt man einem Mann nur ungern ins Gesicht, Mylord. Ich hatte Angst davor, wie Ihr es aufnehmen würdet. Könnt Ihr mir vergeben?«
«Nein«, fauchte Tyrion.»Mögt Ihr verdammt sein. Mag sie verdammt sein. «Cersei durfte er nicht anrühren, soviel wußte er. Noch nicht, selbst wenn er es wünschte, und dessen war er sich gar nicht so sicher. Dennoch wurmte es ihn, dazusitzen und armseligen Kerlen wie Janos Slynt und Allar Deem gegenüber eine Scharade von Gerechtigkeit zu mimen, während seine Schwester ihren unbarmherzigen Weg weiterverfolgte.»In Zukunft werdet Ihr mir alles berichten, was Ihr erfahrt, Lord Varys. Alles.«
Der Eunuch grinste vielsagend.»Das könnte viel Zeit in Anspruch nehmen, verehrter Lord. Ich erfahre eine Menge.«»Nicht genug, um dieses Kind zu retten, scheint es mir.«»Leider, leider, nein. Es gab noch einen Bastard, einen Jungen, und er war älter. Ich habe versucht, ihn außer Gefahr zu bringen… doch muß ich gestehen, ich hätte nie gedacht, daß der Säugling in Gefahr wäre. Ein Mädchen niederer Herkunft, noch dazu unehelich, jünger als ein Jahr, und die Mutter eine Hure. Welche Bedrohung sollte sie darstellen?«
«Sie war Roberts Kind«, antwortete Tyrion bitter.»Das hat Cersei offenbar genügt.«
«Ja. Höchst bedauerlich. Ich muß mir die Schuld für den Tod des armen kleinen Kindes und ihrer Mutter zuschreiben. Sie war so jung und hat den König geliebt.«
«Tatsächlich?«Tyrion hatte das Gesicht des toten Mädchens niemals gesehen, aber vor seinem inneren Auge verwandelte sie sich in Shae und auch in Tysha.»Kann eine Hure jemanden wahrhaft lieben? Ich möchte es bezweifeln. Nein, antwortet nicht. Manche Dinge will ich gar nicht wissen. «Shae hatte er in einem großen Fachwerkhaus untergebracht, das seinen eigenen Stall, einen Brunnen und einen Garten hatte; Diener kümmerten sich um ihre Wünsche. Er hatte ihr einen weißen Vogel von den Summer Isles geschenkt, der ihr Gesellschaft leisten sollte, hatte ihr Seide und Silber und Edelsteine bringen lassen, damit sie sich feinmachen konnte, und außerdem Wachen, die sie beschützten. Und trotz allem war sie unzufrieden. Sie wolle mehr Zeit mit ihm verbringen, sagte sie; sie wolle ihm dienen und ihm helfen.»Hier, zwischen den Laken, hilfst du mir am meisten«, erklärte er ihr, als sie eines Nachts nach dem Liebesspiel beieinander lagen, sein Kopf auf ihren Busen gebettet, seine Lenden von süßem Wundsein schmerzend. Sie erwiderte nichts darauf, doch ihre Augen antworteten. Das hatte sie nicht hören wollen.
Seufzend langte Tyrion nach dem Wein, erinnerte sich an Lord Janos und schob die Flasche von sich.»Mir scheint, meine Schwester hat mir über Starks Tod die Wahrheit gesagt. Wir dürfen also meinem Neffen für diesen Wahnsinn danken.«
«König Joffrey hat den Befehl erteilt. Janos Slynt und Ser Ilyn Payne haben ihn ausgeführt, und zwar rasch und ohne Aufschub… «
«… beinahe, als hätten sie damit gerechnet. Ja, soweit waren wir bereits, ohne daß es uns etwas genutzt hätte. Eine Torheit.«
«Nachdem sich die Stadtwache nun in Eurer Hand befindet, Mylord, befindet Ihr Euch in bester Position, um weitere… Torheiten Seiner Gnaden zu verhindern. Um sicher zu gehen, müßte man außerdem über die Leibgarde der Königin nachdenken… «
«Über die Rotröcke?«Tyrion zuckte mit den Schultern.»Vylarrs Treue gilt Casterly Rock. Er weiß, hinter mir steht die Autorität meines Vaters. Cersei hätte es nicht leicht, seine Männer gegen mich einzusetzen… und es sind schließlich auch nur hundert. Ich habe allein um die Hälfte mehr Leute. Und sechstausend Goldröcke, wenn Bywater tatsächlich der Mann ist, als den ihr ihn beschreibt.«
«Ihr werdet in Ser Jacelyn einen mutigen, ehrwürdigen, gehorsamen… und überaus dankbaren Mann finden.«
«Nur, wem gilt sein Dank?«Tyrion traute Varys nicht, obwohl er seinen Wert nicht leugnete. Er wußte ohne Zweifel vieles.»Aus welchem Grund seid Ihr so erpicht darauf, mir zu helfen, Mylord Varys?«fragte er und betrachtete die weichen Hände, das kahle, gepuderte Gesicht und das heuchlerische karge Lächeln seines Gegenübers.
«Ihr seid die Hand. Ich diene dem Reich, dem König und Euch.«
«Wie Ihr zuvor Jon Arryn und Eddard Stark dientet?«
«Ich habe für Lord Arryn und Lord Stark mein Bestes gegeben. Ihr vorzeitiger Tod hat mich mit Trauer erfüllt und zutiefst bestürzt.«
«Stellt Euch nur vor, wie ich mich fühle. Ich bin vermutlich
der nächste.«
«Das glaube ich nicht«, wiegelte Varys ab und schwenkte den Wein in seinem Kelch.»Macht ist etwas sehr Eigenartiges, Mylord. Vielleicht habt Ihr über das Rätsel nachgedacht, welches ich Euch in diesem Gasthaus aufgegeben habe.«
«Es ist mir durchaus ein- oder zweimal durch den Sinn gegangen«, gestand Tyrion ein.»Der König, der Priester, der reiche Mann — wer wird am Leben bleiben, wer sterben? Wem wird der Söldner gehorchen? Die Rätsel haben keine Antwort, oder besser, zu viele Antworten. Es hängt alles von dem Mann mit dem Schwert ab.«