Ser Davos Seaworth blieb noch eine Weile grübelnd vor seinem Krug sitzen. Vor anderthalb Jahren war er mit Stannis in King's Landing gewesen, als König Robert ein Turnier zu Ehren seines Sohnes Prinz Joffrey ausgerichtet hatte. Er erinnerte sich an den roten Priester Thoros von Myr und das flammende Schwert, das der Mann im Kampf geführt hatte. Der Priester hatte einen spektakulären Anblick geboten in seiner weiten roten Robe und mit seiner Klinge, die von hellgrünen Flammen eingehüllt war, doch jeder wußte, dabei war keine wahre Magie im Spiel, und am Ende war das Feuer erloschen und Bronze Yohn Royce hatte ihn mit einem gewöhnlichen Morgenstern besiegt.
Ein wahres Schwert aus Feuer wäre ein wirkliches Wunder. Dennoch, zu welchem Preis… Er dachte an Nissa Nissa und sah seine eigene Marya vor Augen, eine gutmütige rundliche Frau mit hängenden Brüsten und einem gütigen Lächeln. Die beste Frau der Welt. Er versuchte sich vorzustellen, wie er sie mit dem Schwert durchbohrte, und erschauerte. Ich bin nicht aus dem Stoff gemacht, aus dem Helden sind, entschied er. Falls der Preis für ein magisches Schwert so hoch lag, war das mehr, als er je bezahlen würde.
Davos trank sein Bier aus, schob den Krug zur Seite und verließ die Schenke. Auf dem Weg nach draußen tätschelte er dem Steinungeheuer den Kopf und murmelte:»Glück. «Sie alle würden es brauchen.
Weit nach Einbruch der Dunkelheit kam Devan zur Schwarze Betha und rührte einen schneeweißen Zelter am Zügel.»Mein Hoher Vater«, verkündete er,»Seine Gnaden befiehlt Euch, Euch im Saal mit der Bemalten Tafel einzufinden. Ihr sollt das Pferd nehmen und sofort losreiten.«
Devon bot ein prächtiges Bild im Gewand des Knappen, dennoch war Davos beunruhigt, weil man ihn so spät noch rief. Wird er endlich den Befehl geben, in See zu stechen? fragte er sich. Salladhor Saan war nicht der einzige Kapitän, der King's Landing für eine reife Frucht hielt, aber ein Schmuggler mußte sich vor allem in Geduld üben. Wir dürfen nicht hoffen, den
Sieg davonzutragen. Das habe ich bereits Maester Cressen gesagt, an dem Tag, an dem ich nach Dragonstone zurückkehrte, und seitdem hat sich nichts geändert. Wir sind zu wenige, die Feinde zu viele. Wenn wir losrudern, werden wir sterben. Nichtsdestotrotz stieg er aufs Pferd.
Bei seiner Ankunft an der Steintrommel verließen gerade ein Dutzend hochgeborener Ritter und hoher Vasallen den Turm. Lord Celtigar und Lord Velaryon nickten ihm knapp zu und gingen weiter, derweil die anderen ihn einfach ignorierten, und nur Ser Axell Florent blieb auf ein Wort bei ihm stehen.
Der Onkel von Königin Selyse war ein Faß von einem Mann, mit dicken Armen und krummen Beinen. Er hatte die abstehenden Ohren der Florents, und sie waren sogar noch größer als die seiner Nichte. Die borstigen Haare, die aus ihnen sprossen, hinderten ihn nicht daran, fast alles zu hören, was in der Burg gesprochen wurde. Zehn Jahre lang war Ser Axell der Kastellan von Dragonstone gewesen, während Stannis in Roberts Rat in King's Landing saß, aber in letzter Zeit war er einer der wichtigsten Getreuen der Königin.»Ser Davos, wie immer freue ich mich, Euch zu treffen.«
«Ganz meinerseits, Mylord.«
«Heute morgen habe ich Euch gesehen. Die falschen Götter haben munter gebrannt, nicht wahr?«
«Sie brannten hell. «Trotz Axells Höflichkeit traute er dem Mann nicht. Das Haus Florent hatte sich auf Renlys Seite gestellt.
«Die Lady Melisandre sagt, R'hllor gewähre seinen gläubigen Dienern durch die Flammen gelegentlich einen Blick in die Zukunft. Mir scheint es, ich hätte heute morgen im Feuer ein Dutzend Tänzerinnen von erlesener Schönheit gesehen, Jungfrauen, die sich in gelber Seide vor einem großen König drehten. Das war gewiß eine wahre Vision. Eine Vorahnung des Ruhms, den Seine Gnaden ernten wird, nachdem wir
King's Landing und den Thron erobert haben, der rechtmäßig ihm zusteht.«
Stannis findet an solchem Tanz bestimmt keinen Gefallen, dachte Davos, wagte es jedoch nicht, den Onkel der Königin zu beleidigen.»Ich habe nur das Feuer gesehen«, erwiderte er,»und der Rauch ließ meine Augen tränen. Verzeiht mir, Ser, der König erwartet mich. «Er schob sich an ihm vorbei und fragte sich, warum Ser Axell sich mit ihm befaßt hatte. Er ist ein Mann der Königin — und ich einer des Königs.
Stannis saß an der Bemalten Tafel, neben ihm Maester Pylos, der einen Stapel Papier vor sich hatte.»Ser«, begrüßte der König Davos bei seinem Eintritt,»kommt und schaut Euch diesen Brief an.«
Gehorsam zog er wahllos ein Blatt Papier aus dem Stoß.»Es sieht wirklich prachtvoll aus, Euer Gnaden, nur leider kann ich die Worte nicht entziffern. «Davos konnte Karten ebensogut lesen wie jeder andere, doch Briefe und derlei Schreiben überstiegen seine Fähigkeiten. Aber mein Devan hat Lesen gelernt, und Steffon und Stannis auch.
«Das hatte ich vergessen. «Gereizt runzelte der König die Stirn.»Pylos, lest es ihm vor.«
«Euer Gnaden. «Der Maester nahm eines der Pergamente zur Hand und räusperte sich.»Wie allseits bekannt, bin ich der Sohn von Steffon Baratheon, Lord von Storm's End und seiner Hohen Gemahlin Cassana aus dem Hause Estermont. Ich erkläre hiermit bei der Ehre meines Hauses, daß mein geliebter Bruder Robert, unser verstorbener König, keine rechtmäßigen Erben hinterließ und daß der Knabe Joffrey, der Knabe Tommen und das Mädchen Myrcella aus dem verabscheuungswürdigen Inzest zwischen Cersei Lannister und ihrem Bruder Jaime, dem Königsmörder, hervorgegangen sind. Gemäß dem Recht von Gesetz und Blut erhebe ich daher Anspruch auf den Eisernen Thron der Sieben Königslande von
Westeros. Alle aufrechten Männer mögen mir die Treue schwören. Erlassen im Lichte des Herrn, gezeichnet mit Wappen und Siegel von Stannis aus dem Hause Baratheon, dem Ersten Seines Namens, König der Andalen, Rhoynar und Ersten Menschen, und Herr der Sieben Königslande.« Das Pergament raschelte, als Pylos es niederlegte.
«Schreibt von nun an Ser Jaime der Königsmörder«, sagte Stannis.»Was auch immer dieser Mann ist, er bleibt ein Ritter. Ich weiß zudem nicht, ob wir Robert meinen geliebten Bruder nennen sollen. Wir haben einander nicht mehr Liebe entgegengebracht, als unbedingt notwendig war.«
«Eine harmlose Floskel, Euer Gnaden«, rechtfertigte sich Pylos.
«Eine Lüge. Streicht es. «Stannis wandte sich an Davos.»Der Maester teilte mir mit, daß uns einhundertsiebzehn Raben zur Verfügung stehen. Einhundertsiebzehn Raben können ebenso viele Abschriften meines Briefes in jede Ecke des Reiches tragen, vom Arbor bis zur Mauer. Vielleicht werden sich hundert von ihnen gegen Stürme und Falken und Pfeile behaupten. Falls dem so ist, werden hundert Maester meine Worte ebenso vielen Lords in ihren Solaren und Schlafgemächern vorlesen… und daraufhin werden die Briefe vermutlich im Kamin enden und die Lippen mit Schwüren versiegelt werden. Diese großen Lords lieben Joffrey oder Renly oder Robb Stark. Ich bin ihr rechtmäßiger König, und doch werden sie sich mir widersetzen, wenn es ihnen irgend möglich ist. Deswegen brauche ich Euch.«
«Ich stehe zu Euren Diensten, mein König. Wie stets.«
Stannis nickte.»Ich wünsche, daß ihr mit der Schwarze Betha in Richtung Norden aufbrecht, nach Gulltown, den Fingers und den Three Sisters, sogar nach White Harbor. Euer Sohn Dale wird mit der Gespenst nach Süden in See stechen, und am Cape Wrath und dem Broken Arm vorbei die Küste entlang über Dorne bis zum Arbor segeln. Jeder von Euch wird eine Truhe mit Briefen mit sich führen, und in jedem Hafen und jeder Feste und jedem Fischerdorf werdet Ihr sie an die Türen der Septen und Gasthäuser nageln, damit ein jeder Mann, der des Lesens kundig ist, sie sehen kann.«