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Als Junge habe ich einmal ein verletztes Habichtweibchen gefunden und es aufgepäppelt. Stolzschwinge nannte ich es. Der Vogel flatterte mir von Zimmer zu Zimmer hinterher und fraß mir aus der Hand, doch in den Himmel aufsteigen wollte er nicht. Von Zeit zu Zeit habe ich sie mit auf die Falkenjagd genommen, und sie flog nie über die Wipfel der Bäume hinaus. Robert nannte sie Schlaffschwinge. Er besaß einen Gerfalken namens Donnerschlag, der seine Beute nie verfehlte. Eines Tages hat mir mein Großonkel Ser Harbert empfohlen, ich solle es doch einmal mit einem anderen Vogel versuchen. Mit Stolzschwinge würde ich mich zum Narren machen, meinte er, und recht hatte er damit. «Stannis Baratheon wandte sich vom Fenster und den Geistern draußen auf dem südlichen Meer ab.»Die Sieben haben mir nicht mal einen Sperling eingebracht. Es ist an der Zeit, einen anderen Falken auszuprobieren, Davos. Einen roten Falken.«

Theon

Bei Pyke gab es keinen sicheren Ankerplatz, aber Theon Greyjoy wollte die Burg seines Vaters wenigstens einmal von See aus betrachtet haben, so, wie er sie zuletzt vor zehn Jahren gesehen hatte, als er auf Robert Baratheons Kriegsgaleere fortgebracht worden war, um als Mündel von Eddard Stark aufzuwachsen. An jenem Tag hatte er an der Reling gestanden und dem Platschen der Ruder und dem Schlag der Trommel gelauscht, während Pyke langsam in der Ferne verschwand. Nun wollte er miterleben, wie es größer wurde, wie es sich aus dem Meer vor ihm erhob.

Gehorsam kam die Myraham seinen Wünschen nach und rauschte durch das Wasser, die Segel knatterten, der Kapitän verfluchte den Wind und die Mannschaft und die Torheiten hochgeborener Lords. Theon zog zum Schutz vor der Gischt die Kapuze seines Mantels hoch und hielt Ausschau nach seinem Zuhause.

Die Küste bestand aus schroffen Felsen und aufragenden Klippen, und die Burg selbst schien mit ihrem Fundament zu verschmelzen, waren Türme und Mauern doch aus dem gleichen grauschwarzen Stein gehauen, naß vom gleichen Salzwasser, vom gleichen dunkelgrünen Moos überzogen, vom gleichen Kot der Seevögel gesprenkelt. Die Landspitze, auf der die Greyjoys ihre Festung errichtet hatten, hatte einst wie ein Schwert ins Meer geragt, allerdings hatten die Wellen, die hier Tag und Nacht anbrandeten, das Land bereits vor Tausenden von Jahren aufgebrochen und zerschmettert. Geblieben waren lediglich die drei kahlen und öden Inseln und ein Dutzend hohe Felstürme, die sich wie die Säulen des Tempels eines Meergottes erhoben, während um sie herum wütende Wogen schäumten.

Trostlos, düster, furchteinflößend stand Pyke auf diesen Inseln und Säulen und war beinahe zu einem Teil von ihnen geworden; die äußere Mauer trennte die Landspitze am Fuße der großen Steinbrücke ab, die oben von den Klippen bis zur größten Insel führte, die vom Großen Bergfried beherrscht wurde. Weiter draußen standen der Küchenturm und der Blutturm jeweils auf ihren eigenen Inseln. Festungstürme und Außengelände waren auf die Felssäulen darunter gebaut und konnten über überdachte Steinbrücken erreicht werden, wenn sie nahe genug waren, über lange, schwankende Stege aus Holz und Seilen, wenn nicht.

Der Seeturm erhob sich auf der vordersten Insel, an der Stelle, wo das Klippenschwert gebrochen war, und stellte den ältesten Teil der Burg dar. Er war rund und hoch und ruhte auf einer Säule, deren schroffe Front ohne Unterlaß dem Tosen der Wellen ausgesetzt war. Das Fundament war weiß von der über Jahrhunderte unablässig dagegen flutenden Salzgischt, über die darüberliegenden Stockwerke hatten sich die Flechten wie eine dicke grüne Decke gezogen, und die zinnenbesetzte Krone war schwarz vom Ruß der nächtlichen Wachfeuer.

Oben auf dem Seeturm wehte das Banner seines Vaters. Die Myraham war noch zu weit entfernt, daher konnte Theon nur die Fahne selbst erkennen, nicht aber das Wappen, das sie trug, welches er allerdings gut kannte: der goldene Krake des Hauses Greyjoy, dessen Arme sich in schwarzem Feld verschlangen. Das Banner blähte sich an einem eisernen Mast und flatterte im Wind. Und wenigstens hier wehte nicht der Schattenwolf der Starks darüber.

Einen solch bewegenden Anblick hatte Theon noch niemals zuvor gesehen. Im Himmel hinter der Burg leuchtete der Schweif des Kometen durch die dünnen Wolken. Auf dem ganzen Weg von Riverrun nach Seagard hatten die Mallisters sich über seine Bedeutung gestritten. Es ist mein Komet, dachte Theon bei sich und schob die Hand in die Tasche seines fellbesetzten Mantels, wo er das Öltuch berührte. Darin war der Brief gehüllt, den Robb Stark ihm mitgegeben hatte, ein Papier, das eine Krone wert war.

«Sieht die Burg noch so aus, wie Ihr sie in Erinnerung habt, Mylord?«fragte die Tochter des Kapitäns, indes sie sich an seinen Arm drängte.

«Sie wirkt kleiner«, gestand Theon,»aber vielleicht liegt das nur an der Entfernung. «Die Myraham war ein Handelsschiff aus Oldtown mit breitem Rumpf; es hatte Wein, Tuch und Saatgut geladen, die gegen Eisenerz getauscht werden sollten. Der Kapitän war ein dicker Kaufmann, angesichts der aufgewühlten See unterhalb der Burg hatte er kalte Füße bekommen, und deshalb hielt er sich weiter von der Küste entfernt, als es Theon lieb war. Ein Kapitän von den Iron Islands wäre mit seinem Langschiff entlang der Klippen unter der hohen Brücke hindurchgefahren, aber dieser fette Kerl aus Oldtown besaß nicht das richtige Fahrzeug, die geeignete Mannschaft oder den notwendigen Mut, um ein solches Wagnis einzugehen. Also segelten sie in großer Distanz vorbei, und damit mußte sich Theon zufrieden geben. Schon hier hatte die Myraham Mühe, von den steilen Felsen Abstand zu halten.

«Es scheint dort sehr windig zu sein«, bemerkte die Tochter des Kapitäns.

Er lachte.»Windig und kalt und feucht. Ein elend harter Ort, um der Wahrheit recht zu geben… dennoch hat mir mein Hoher Vater einst erklärt, harte Orte würden harte Männer hervorbringen, und harte Männer wiederum beherrschen die Welt.«

Das Gesicht des Kapitäns, der nun herbeieilte, war grün wie das Wasser.»Dürfen wir nun auf den Hafen zuhalten, Mylord?«fragte er.

«Ihr dürft«, antwortete Theon. Ein schwaches Lächeln spielte um seine Lippen. Die Aussicht auf Gold hatte den Mann aus Oldtown in einen schamlosen Speichellecker verwandelt. Mit dem Langschiff von den Islands wäre die Reise ganz anders verlaufen. Deren Kapitäne waren stolz und eigenwillig und empfanden niemandem gegenüber Ehrfurcht. Die Islands waren zu klein für Ehrfurcht, und ein Langschiff war noch kleiner. Wenn, wie man oft hörte, jeder Kapitän König auf seinem Schiff war, wunderte es keinen mehr, daß man seine Heimat das Land der zehntausend Könige nannte. Und hatte man seinen König einmal dabei beobachtet, wie er über die Reling schiß und grün im Gesicht wurde, vermochte man wohl kaum die Knie vor ihm zu beugen und ihn als einen Halbgott zu verehren.»Der Ertrunkene Gott erschafft Männer«, hatte der alte König Urron Rothand einst vor Tausenden von Jahren gesagt,»und die Männer sind es, die Kronen erschaffen.«

Auf einem Langschiff hätte die Überfahrt zudem nur halb so lange gedauert. Die Myraham war ein ungeschlachtes Faß von einem Schiff, und einen Sturm hätte er auf ihr nicht erleben mögen. Trotzdem fühlte sich Theon durchaus glücklich. Hier war er, ertrunken war er nicht, und die Reise hatte ihm gewisse andere Annehmlichkeiten geboten. Er legte den Arm um die Tochter des Kapitäns.»Ruft mich, wenn wir Lordsport erreicht haben«, befahl er ihrem Vater.»Wir sind unten in meiner Kabine. «Er führte das Mädchen zum Heck, während der Kapitän ihnen wortlos und verdrießlich nachsah.