«Es schmeckt salzig«, murmelte sie.»Wie das Meer?«Sie nickte.»Ich habe das Meer immer gemocht, Mylord.«
«Ich auch«, antwortete er und rollte ihre Brustwarze zwischen seinen Fingern. Es stimmte. Das Meer bedeutete für die Männer von den Iron Islands die Freiheit. Das hatte er vergessen, bis die Myraham bei Seagard in See gestochen war. Die Geräusche an Bord weckten die alten Gefühle; die gebrüllten Befehle des Kapitäns, das Knattern der Segel, das Ächzen von Holz und Tauwerk, dies alles war ihm so vertraut wie der Schlag seines eigenen Herzens, und dazu ebenso tröstlich. Das muß ich mir merken, dachte er, niemals mehr darf ich mich weit vom Meer entfernen.
«Nehmt mich mit, Mylord«, bettelte die Tochter des Kapitäns.»Ich brauche ja nicht auf die Burg mitzukommen. Ich kann auch in der Stadt bleiben und Euer Salzweib sein. «Sie streckte die Hand aus und streichelte seine Wange.
Theon Greyjoy stieß ihren Arm zur Seite und stieg aus der Koje.»Mein Platz ist in Pyke, und deiner ist auf diesem Schiff.«
«Ich kann jetzt nicht mehr hierbleiben.«
Er schnürte seine Hose zu.»Warum nicht?«
«Mein Vater«, erklärte sie.»Wenn Ihr fort seid, wird er mich bestrafen, Mylord, mich verprügeln und beschimpfen.«
Theon riß seinen Mantel vom Haken und legte ihn sich um die Schultern.»So sind Väter eben«, meinte er, derweil er die Aufschläge mit einer silbernen Schnalle schloß.»Sag ihm, er soll sich freuen. So oft, wie ich bei dir geschlafen habe, trägst du vermutlich mein Kind. Und nicht jeder Mann darf sich der Ehre rühmen, den Bastard eines Königs aufzuziehen. «Sie blickte ihn dümmlich an, und so ließ er sie zurück.
Die Myraham umrundete soeben eine bewaldete Landspitze. Unterhalb der Steilküste zogen ein Dutzend Fischerboote die Netze ein. Die große Kogge umschiffte sie in weitem Abstand. Theon ging zum Bug, wo er einen besseren Ausblick hatte. Er sah zuerst die Burg, die Feste der Botleys. Früher war es ein Fachwerkbau gewesen, den Robert Baratheon jedoch bis auf die Grundmauern geschleift hatte. Lord Sawane hatte sie mit Stein wiederaufgebaut, und jetzt krönte ein viereckiger Bergfried den Hügel. Hellgrüne Flaggen wehten über den niedrigeren Ecktürmen, und auf jeder erkannte er einen
Schwarm silbriger Fische.
Unterhalb der Burg lag das Dorf Lordsport, in dessen Hafen sich die Schiffe drängten. Als er den Ort zuletzt gesehen hatte, war es eine rauchende Ödnis gewesen, wo die Skelette verbrannter Langschiffe und zerschellter Galeeren auf der felsigen Küste lagen wie Knochen toter Seeungeheuer. Die Häuser hatten nur noch aus geborstenen Steinmauern und Asche bestanden. Nach zehn Jahren waren die Spuren des Krieges größtenteils beseitigt. Das gemeine Volk hatte seine Hütten mit den Steinen der alten wiederaufgebaut und frische Grassoden für die Dächer gestochen. Ein neues Gasthaus war am Anleger errichtet worden; es war doppelt so groß wie das frühere. Das untere Stockwerk hatte man aus Stein gebaut, die beiden oberen aus Holz. Die Septe dahinter war nicht erneuert worden; nur das siebeneckige Fundament erinnerte an die Stelle, die sie einst eingenommen hatte. Robert Baratheons Zorn hatte den Eisenmännern die neuen Götter vergällt, schien es.
Theon interessierte sich mehr für die Schiffe, als für die Götter. Zwischen den Masten der vielen Fischerboote entdeckte er eine Handelsgaleere der Tyroshi, die gerade entladen wurde, und daneben eine Kogge mit schwarz geteertem Rumpf aus Ibben. Eine große Anzahl Langschiffe, mindestens fünfzig oder sechzig, lagen im Wasser oder auf dem Kiesstrand im Norden. Einige der Segel zeigten die Wappen von anderen Inseln; den Blutmond von Wynch, Lord Goodbrothers schwarzes Kriegshorn, Harlaws silberne Sichel. Theon suchte nach der Schweigen seines Onkels Euron. Dieses schlanke, furchterregende Schiff vermochte er nicht zu entdecken, aber die Großer Krake seines Vaters war da, den Bug mit einer Eisenramme versehen, welche in Gestalt ihres Namensgebers geformt war.
Erwartete Lord Balon ihn und hatte daher zu den Fahnen der Greyjoys gerufen? Er griff erneut in die Tasche seines Mantels und strich über das Wachstuch. Niemand außer Robb Stark wußte von diesem Brief; er war kein Narr, der seine Geheimnisse Vögeln anvertraute. Dennoch war auch Lord Balon nicht dumm. Er könnte geahnt haben, aus welchem Grund sein Sohn heimkehrte, und entsprechende Vorkehrungen getroffen haben.
Der Gedanke behagte ihm nicht. Seines Vaters Krieg war lange vorbei, und verloren obendrein. Diese Stunde gehörte Theon — es war sein Plan, sein Ruhm und bald seine Krone. Und dennoch, all die Langschiffe…
Vielleicht war es nur Vorsicht, wenn er es sich recht überlegte. Eine Verteidigungsmaßnahme, falls der Krieg sich über das Meer hinweg ausbreiten sollte. Alte Männer waren von Natur aus argwöhnisch. Und sein Vater war mittlerweile alt, ebenso wie sein Onkel Victarion, der die Eisenflotte befehligte. Sein Onkel Euron war aus anderem Metall geschmiedet, aber die Schweigen lag nicht im Hafen. Das gereicht mir nur zum Besten, redete sich Theon ein. Auf diese Weise kann ich nur noch schneller zuschlagen.
Während die Myraham aufs Land zuhielt, schritt Theon ruhelos auf und ab und suchte mit den Blicken die Küste ab. Er hatte nicht erwartet, Lord Balon persönlich am Pier vorzufinden, gewiß jedoch hatte sein Vater jemanden geschickt, der ihn abholen sollte. Sylas Sauermaul, den Verwalter, Lord Botley, oder vielleicht sogar Dagmer Spaltkinn. Es wäre schön, das scheußliche Gesicht des alten Dagmer wiederzusehen. Schließlich war es ja nicht so, daß sie keine Nachricht von seiner Ankunft erhalten hätten. Robb hatte Raben von Riverrun ausgesandt, und nachdem sie in Seagard kein Langschiff gefunden hatten, hatte Jason Mallister selbst Vögel nach Pyke geschickt, da er annahm, Robbs seien nicht angekommen.
Trotzdem sah er keine bekannten Gesichter und keine Ehrengarde, die ihn von Lordsport nach Pyke eskortieren sollte, nur das gemeine Volk, das seinen gemeinen Geschäften nachging. Hafenarbeiter rollten Weinfässer von dem Handelsschiff hinunter, Fischer priesen lauthals ihren Fang an, Kinder tollten im Spiel umher. Ein Priester in der Robe des Ertrunkenen Gottes führte zwei Pferde über den Kiesstrand, derweil sich eine Hure oben aus dem Fenster des Gasthauses lehnte und einigen vorbeigehenden ibbenesischen Seeleuten etwas zurief.
Ein paar Kaufleute aus Lordsport hatten sich versammelt und erwarteten das Schiff. Sie schrien dem Kapitän ihre Fragen zu, während die Myraham anlegte.»Wir sind aus Oldtown«, antwortete dieser,»und haben Äpfel und Orangen geladen, Wein vom Arbor, Federn von den Summer Isles. Pfeffer, Leder, einen Ballen Seide aus Myr, Spiegel für die Damen, zwei Holzharfen aus Oldtown, die so süß klingen, wie Ihr es noch nie gehört habt. «Die Laufplanke landete mit Knirschen und Krachen auf dem Pier.»Und außerdem bringe ich Euch Euren Thronfolger zurück.«
Die Männer aus Lordsport starrten Theon erstaunt an, und nun begriff er, daß sie nicht wußten, wer er war. Das erfüllte ihn mit Zorn. Er drückte dem Kapitän einen Golddrachen in die Hand.»Sagt Euren Männern, sie sollen mein Gepäck an Land tragen. «Ohne die Antwort abzuwarten, schritt er die Laufplanke hinunter.»Gastwirt!«brüllte er.»Ich brauche ein Pferd.«
«Wie Ihr befehlt, M'lord«, erwiderte der Kerl ohne auch nur die Andeutung einer Verneigung. Theon hatte vergessen, wie unverfroren die Eisenmänner sein konnten.»Zufällig hätte ich eins. Wohin wollt Ihr denn reiten, M'lord?«
«Nach Pyke. «Der Dummkopf erkannte ihn immer noch nicht. Er hätte sein gutes Wams anziehen sollen, das mit dem aufgestickten Kraken.
«Gewiß wollt Ihr bald aufbrechen, um Pyke vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen«, sagte der Gastwirt.»Mein Junge wird Euch begleiten, damit Ihr den Weg findet.«