«Ich wäre Euch kaum von Hilfe, wenn es nicht so wäre«, gab Cressen zurück.»Davos habe ich auf der Treppe getroffen.«
«Und er hat Euch alles erzählt, vermute ich? Ich hätte diesem Mann die Zunge gleich mit den Fingern abschneiden sollen.«
«Dann wäre er kaum mehr als Gesandter zu gebrauchen
gewesen.«
«Als solcher ist er mir sowieso wenig von Nutzen. Die Sturmlords werden sich nicht für mich erheben. Offenbar mögen sie mich nicht, und die Gerechtigkeit meiner Sache bedeutet ihnen nichts. Die Feiglinge werden in den Mauern ihrer Burgen abwarten, in welche Richtung sich der Wind dreht und wer wahrscheinlich den Sieg davontragen wird. Die Verwegenen haben sich bereits für Renly erklärt. Für Renly!«Er spuckte den Namen aus, als hätte er Gift und Galle auf der Zunge.
«Euer Bruder war in den vergangenen dreizehn Jahren der Herr von Storm's End. Diese Lords haben ihm die Treue geschworen… «
«Ihm«, unterbrach Stannis ihn,»obwohl es von Rechts wegen mir zugestanden hätte. Ich habe nie um Dragonstone gebeten. Ich wollte es gar nicht. Diese Burg habe ich nur genommen, weil Roberts Feinde hier saßen und er mir befahl, sie auszurotten. Ich habe seine Flotte aufgebaut und seine Arbeit getan, so gehorsam, wie es einem jüngeren Bruder geziemt, und so sollte sich Renly nun auch mir gegenüber verhalten. Und womit hat Robert es mir gedankt? Er ernennt mich zum Lord von Dragonstone und überläßt mir Storm's End mitsamt allen Einkünften. Seit dreihundert Jahren gehört Storm's End dem Haus Baratheon; allein von Rechts wegen hätte es an mich übergehen sollen, nachdem Robert den Eisernen Thron bestiegen hatte.«
Diesen tiefen Groll hegte Stannis seit langem, und in letzter Zeit hatte er eher zugenommen. Hier lag der Kern der Schwäche seines Lords; denn Dragonstone, mochte es auch alt und stark sein, verfügte nur über einige wenige niedere Lehnsmänner, deren steinige Inseln so dünn besiedelt waren, daß dort die von Stannis benötigten Krieger kaum auszuheben waren. Selbst mit den Söldnern, die er von jenseits der Meerenge aus den Freien Städten Myr und Lys mitgebracht hatte, war das Heer, das vor den Mauern lagerte, zu klein, um dem Hause Lannister eine ernsthafte Streitmacht entgegenzusetzen.
«Robert hat Euch Unrecht angetan«, erwiderte Maester Cressen vorsichtig,»doch er hatte gute Gründe dafür. Dragonstone ist seit langem der Sitz des Hauses Targaryen. Er brauchte einen starken Mann hier, und Renly war damals noch ein Kind.«
«Und dabei ist es geblieben«, verkündete Stannis voll Ärger mit dröhnender Stimme, die durch den Saal hallte,»ein diebisches Kind ist er, das glaubt, es könne mir die Krone vom Kopf schnappen. Was hat Renly je vollbracht, um einen Thron zu verdienen? Er sitzt im Rat und scherzt mit Littlefinger, bei Turnieren legt er seine prachtvolle Rüstung an und läßt sich von Besseren aus dem Sattel stoßen. Damit hat man alles über meinen Bruder Renly gesagt, der tatsächlich glaubt, er solle König sein. Ich frage Euch, warum haben mich die Götter mit solchen Brüdern gestraft?«
«Leider kann auch ich Euch die Antwort der Götter nicht mitteilen.«
«In letzter Zeit bleibt Ihr viele Antworten schuldig, scheint es mir. Wer ist Renlys Maester? Möglicherweise sollte ich ihn um Antwort bitten, vielleicht gefällt mir sein Rat besser? Was denkt Ihr, hat dieser Maester gesagt, als mein Bruder beschloß, mir die Krone zu stehlen? Welchen Rat hat Euer Amtsbruder diesem Verräter gegeben, in dessen Adern das gleiche Blut fließt wie in meinen?«
«Es würde mich erstaunen, wenn Lord Renly Rat gesucht hätte, Euer Gnaden. «Der jüngste der drei Söhne Lord Steffons war zu einem verwegenen, aber auch ungestümen Mann herangewachsen, der eher einem plötzlichen Impuls folgte als kalter Berechnung. In dieser und auch in vielerlei anderer Hinsicht ähnelte Renly seinem Bruder Robert und unterschied
sich deutlich von Stannis.
«Euer Gnaden«, wiederholte Stannis verbittert.»Ihr verspottet mich mit der Anrede eines Königs, und nun, wovon bin ich König? Dragonstone und ein paar Felsen in der Meerenge sind mein ganzes Reich. «Er stieg die Stufen von seinem Stuhl hinunter, stellte sich vor den Tisch, und sein Schatten fiel auf die Mündung des Blackwater Rush und die gemalten Wälder, wo heute King's Landing stand. Brütend betrachtete er das Königreich, welches er für sich beanspruchte, das so nah vor ihm und dennoch in so weiter Ferne lag.»Heute abend werde ich mit meinen Gefolgsleuten speisen. Celtigar, Velaryon, Bar Emmon; ein armseliger Haufen, aber um die Wahrheit zu sagen, sind sie alles, was mir meine Brüder gelassen haben. Dieser Pirat aus Lys, Salladhor Saan, wird ebenfalls erscheinen und mir vorrechnen, was ich ihm schulde, und Morosh, der Mann aus Myr, wird mich vor den Gezeiten und den Herbststürmen warnen, während Lord Sunglass mir fromm vom Willen der Sieben erzählen wird. Celtigar wird wissen wollen, welche Sturmlords zu uns stoßen. Velaryon wird drohen, seine Truppe nach Hause zu führen, wenn wir nicht sofort angreifen. Was soll ich ihnen sagen? Was soll ich jetzt tun?«
«Eure wahren Feinde sind die Lannisters, Mylord«, antwortete Maester Cressen.»Daher müßtet Ihr und Euer Bruder Euch um der Sache willen zusammenschließen — «
«Mit Renly werde ich nicht verhandeln«, entgegnete Stannis in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.»Nicht, solange er sich König nennt.«
«Also nicht mit Renly«, räumte der Maester ein. Sein Lord war starrköpfig und stolz; hatte er erst einen Entschluß gefaßt, ließ er sich davon nicht mehr abbringen.»Andere könnten Euch ebensogut zu Diensten sein. Eddard Starks Sohn wurde zum König des Nordens ausgerufen, und hinter ihm steht die Macht von Winterfell und Riverrun.«
«Der Junge ist noch nicht trocken hinter den Ohren«, sagte Stannis,»und zudem ein weiterer falscher König. Soll ich das Auseinanderbrechen des Reiches etwa anerkennen?«
«Gewiß ist ein halbes Königreich besser als gar keines«, gab Cressen zu bedenken,»und wenn Ihr dem Jungen helft, den Tod seines Vaters zu rächen — «
«Aus welchem Grund sollte ich Eddard Stark rächen? Der Mann hat mir nichts bedeutet. Oh, Robert hat ihn geliebt, sicherlich. Liebte ihn wie einen Bruder, ach, wie oft mußte ich mir das anhören? Ich war sein Bruder, nicht Ned Stark, aber er hat mich stets so behandelt, daß das niemand bemerken konnte. Ich habe Storm's End für ihn gehalten und mußte den Hungertod guter Männer mit ansehen, während Mace Tyrell und Paxter Redwyne in Sichtweite der Mauer ihre Festgelage abhielten. Hat mir Robert das gedankt? Nein. Er dankte Stark, weil er die Belagerung beendet hat, als wir nur noch Ratten und Rettich zu fressen hatten. Auf Roberts Befehl hin habe ich eine Flotte gebaut, in seinem Namen habe ich meinen Platz in Dragonstone eingenommen. Hat er je meine Hand ergriffen und gesagt:»Gut gemacht, Bruder, was sollte ich bloß ohne dich anfangen?«Nein, er hat mir die Schuld zugeschrieben, weil ich es zugelassen habe, daß Willem Darry sich mit Viserys und dem Säugling fortstahl, als hätte ich es verhindern können. Fünfzehn Jahre habe ich in seinem Rat gesessen, Jon Arryn geholfen, das Reich zu regieren, derweil Robert soff und hurte, und hat mich mein Bruder nach Jons Tod zu seiner Hand ernannt? Nein, er ist zu seinem teuren Freund Ned Stark in den Norden galoppiert und hat ihm diese Ehre angeboten. Und keinem von beiden hat es zum Heile gereicht.«