«Euer Junge wird nicht gebraucht«, rief eine tiefe Stimme,»und auch Euer Pferd nicht! Ich werde meinen Neffen selbst zum Haus seines Vater geleiten.«
Der Sprecher war der Priester, welcher die Pferde am Strand entlanggeführt hatte. Während der Mann näher kam, beugte das Volk das Knie, und Theon hörte den Gastwirt murmeln:»Feuchthaar.«
Der hakennasige Priester war groß und dünn, seine schwarzen Augen funkelten, und gekleidet war er in eine grau und grün und blau gesprenkelte Robe, die Meerwasserrobe des Ertrunkenen Gottes. Unter seinem Arm hing ein Wasserschlauch an einem Lederriemen, und in das hüftlange Haar und den ungeschnittenen Bart hatte er getrockneten Seetang geflochten.
Langsam kam es Theon wieder ins Gedächtnis. In einem seiner seltenen und stets kurzgefaßten Briefe hatte Lord Balon berichtet, sein jüngster Bruder habe bei einem Sturm Schiffbruch erlitten und sich zum Heiligen Mann gewandelt, nachdem er lebend Land erreicht hatte.»Onkel Aeron?«fragte er zweifelnd.
«Mein Neffe Theon«, antwortete der Priester.»Dein Hoher Vater bat mich, dich abzuholen. Komm.«
«Einen Augenblick, Onkel. «Er drehte sich zur Myraham um.»Mein Gepäck!«rief er dem Kapitän zu.
Ein Seemann brachte den langen Eibenholzbogen und den Köcher mit den Pfeilen, aber es war die Tochter des Kapitäns, welche sein Bündel mit Kleidung anschleppte.»Mylord. «Ihre Augen waren rot. Als er ihr das Bündel abnahm, schien sie ihn umarmen zu wollen, hier, vor ihrem eigenen Vater, vor seinem priesterlichen Onkel und der halben Insel.
Ungerührt wandte er sich ab.»Ich danke dir.«
«Bitte«, flehte sie,»ich liebe Euch, Mylord.«
«Ich muß gehen. «Er eilte hinter seinem Onkel her, der sich bereits dem Ende des Anlegers näherte, und mit einem Dutzend langer Schritte erreichte er ihn.»Nach Euch habe ich gar nicht Ausschau gehalten, Onkel. Ich dachte, da ich zehn Jahre fort war, würden mein Hoher Vater und meine Hohe Mutter persönlich kommen, oder zumindest Dagmer mit einer Ehreneskorte schicken.«
«Es steht dir nicht zu, die Befehle des Lords Schnitter von Pyke in Frage zu stellen. «Das Benehmen des Priesters ließ Theon frösteln, so hatte er den Mann gar nicht in Erinnerung. Aeron Greyjoy war der freundlichste seiner Onkel gewesen, zu nichts zu gebrauchen, doch er lachte viel, liebte Lieder, Bier und hübsche Frauen.»Was Dagmer betrifft, so ist das Spaltkinn auf Geheiß deines Vaters nach Old Wyk aufgebrochen, um die Stonehouses und die Drumms zu holen.«
«Wozu? Warum liegen so viele Langschiffe im Hafen?«
«Warum wohl?«Sein Onkel hatte die Pferde angebunden vor dem Gasthaus zurückgelassen. Als sie dort ankamen, drehte er sich zu Theon um.»Sag mir die Wahrheit, Neffe. Betest du zu den Göttern der Wölfe?«
Theon betete überhaupt selten, allerdings wollte er das einem Priester gegenüber nicht eingestehen, selbst vor dem Bruder seines Vaters nicht.»Ned Stark hat einen Baum angebetet. Nein, mit den Göttern der Starks habe ich nichts zu schaffen.«
«Gut. Knie dich hin.«
Der Boden war steinig und schlammig.»Onkel, ich — «
«Knie dich hin. Oder bist du zu stolz, weil du als Lord aus den grünen Landen zu uns kommst.«
Theon ließ sich auf die Knie nieder. Er wollte einen Plan verwirklichen, und vielleicht war er dabei irgendwann auf Aerons Hilfe angewiesen. Eine Krone ist ein wenig Dreck und
Pferdescheiße an der Hose wert, dachte er bei sich.
«Neige den Kopf. «Sein Onkel hob den Wasserschlauch, zog den Stöpsel und richtete den dünnen Strahl auf Theons Kopf. Das Meerwasser durchtränkte sein Haar und rann ihm über die Stirn in die Augen, floß seine Wannen entlang, und ein Rinnsal kroch unter seinen Mantel und sein Wams und lief ihm dann wie ein kalter Finger den Rücken hinunter. Das Salz brannte in seinen Augen, am liebsten hätte er aufgeschrien. Er schmeckte den Ozean auf seinen Lippen.»Lasse Theon, deinen Diener, aus dem Meer wiedergeboren werden, wie es auch dir widerfuhr«, sang Aeron Greyjoy.»Segne ihn mit Salz, segne ihn mit Stein, segne ihn mit Stahl. Neffe, erinnerst du dich noch an die Worte?«»Was tot ist, kann niemals sterben«, antwortete Theon.»Was tot ist, kann niemals sterben«, wiederholte sein Onkel,»doch erhebt es sich von neuem, härter, stärker. Steh auf.«
Theon stand auf und kniff seine vom Salz brennenden Augen zu, um die Tränen und das Salz zurückzudrängen. Wortlos verschloß sein Onkel den Schlauch, band sein Pferd los und saß auf. Theon stieg ebenfalls in den Sattel. Gemeinsam ritten sie davon, ließen das Gasthaus und den Hafen hinter sich und passierten Lord Botleys Burg. Von dort aus ging es in die felsigen Hügel hinauf. Der Priester sagte kein weiteres Wort.
«Mein halbes Leben habe ich fern der Heimat verbracht«, wagte sich Theon schließlich vor.»Werde ich die Inseln verändert vorfinden?«
«Männer fischen im Meer, graben in der Erde und sterben. Frauen gebären Kinder in Blut und Schmerz und sterben. Die Nacht folgt dem Tag. Der Wind und die Gezeiten bleiben. Die Inseln sind so, wie unser Gott sie geschaffen hat.«
Bei den Göttern, ist er bitter geworden, dachte Theon.»Halten sich meine Hohe Mutter und meine Schwester in Pyke auf?«
«Nein. Deine Mutter weilt auf Harlaw bei ihrer Schwester. Dort ist das Klima nicht so rauh, und ihr Husten macht ihr zu schaffen. Deine Schwester ist mit der Schwarzer Wind nach Great Wyk in See gestochen und überbringt Briefe deines Hohen Vaters. Sie wird bald zurückkehren.«
Daß die Schwarzer Wind Ashas Langschiff war, brauchte man ihm nicht erst zu sagen. Zwar hatte er seine Schwester seit zehn Jahren nicht gesehen, doch soviel wußte er. Eigentümlich war allerdings, daß sie das Schiff so benannt hatte; Robb Stark hatte seinem Wolf den Namen Grey Wind, Grauer Wind, gegeben.»Stark ist grau, Greyjoy ist schwarz«, murmelte er und lächelte,»aber offensichtlich sind wir beide windig.«
Der Priester hatte darauf nichts zu erwidern.
«Und was ist mit Euch, Onkel?«fragte Theon.»Als man mich von Pyke fortbrachte, wart Ihr noch kein Priester. Ich kann mich erinnern, wie Ihr die alten Lieder gesungen und mit einem Horn voll Bier auf dem Tisch getanzt habt.«
«Jung war ich und eingebildet«, sagte Aeron Greyjoy,»aber das Meer hat meine Torheit und Eitelkeit fortgespült. Jener Mann ist ertrunken, Neffe. Seine Lungen haben sich mit Salzwasser gefüllt, und die Fische haben ihm die Schuppen von den Augen gefressen. Als ich wieder auftauchte, sah ich klar.«
Er ist ebenso verrückt wie griesgrämig. Der alte Aeron Greyjoy hatte Theon besser gefallen.»Onkel, warum hat mein Vater zu den Schwertern und zu den Segeln gerufen?«
«Zweifelsohne wird er dir das in Pyke erklären.«
«Ich würde seine Pläne gern jetzt schon kennen.«
«Von mir wirst du nichts erfahren. Uns wurde befohlen, darüber zu keinem anderen Mann zu sprechen.«
«Selbst nicht zu mir?«Theons Zorn flammte auf. Er hatte Soldaten in den Krieg geführt, war mit einem König auf die Jagd gegangen, war an der Seite von Brynden Blackfish und
Greatjon Umber geritten, hatte im Flüsterwald gekämpft, hatte mehr Mädchen in sein Bett geholt, als er zu zählen vermochte, und dennoch behandelte ihn sein Onkel wie ein zehnjähriges Kind.»Falls mein Vater Kriegspläne schmiedet, muß ich es wissen. Ich bin >kein anderer Mann<, ich bin der Erbe von Pyke und den Iron Islands.«
«Was das betrifft«, sagte sein Onkel,»so wird man sehen.«
Die Worte trafen ihn wie ein Schlag ins Gesicht.»Man wird sehen? Meine Brüder sind beide tot. Ich bin der einzige lebende Sohn meines Vaters!«
«Deine Schwester lebt auch noch. «Asha, dachte er verwirrt. Sie war drei Jahre älter, aber dennoch…»Eine Frau darf die Nachfolge nur dann antreten, wenn es keinen männlichen Erben mehr in der Linie gibt«, beharrte er laut.»Ich lasse mich meiner Rechte nicht berauben, ich warne Euch.«