«Auf wessen Wunsch?«
«Auf den Eures Hohen Vaters, M'lord.«
Theon streifte sich die Handschuhe ab.»Ihr kennt mich also. Warum ist mein Vater nicht hier, um mich zu begrüßen?«
«Er erwartet Euch im Seeturm, M'lord. Nachdem Ihr Euch von der Reise ausgeruht habt.«
Und ich habe Ned Stark für einen kaltherzigen Mann gehalten.»Und wer bist du?«
«Helya. Ich verwalte die Burg für Euren Hohen Vater.«
«Früher war Sylas der Haushofmeister. Sauermaul haben sie ihn genannt. «Theon erinnerte sich an den ständigen Weingeruch im Atem des alten Mannes.
«Jetzt ist er schon fünf Jahre tot, M'lord.«
«Und Maester Qalen? Wo ist der?«
«Ruht im Meer. Wendamyr hütet nun die Raben.«
Es ist, als wäre ich ein Fremder, ging es Theon durch den Kopf. Nichts hat sich verändert, und dennoch ist alles anders.»Bring mich in meine Gemächer, Weib«, befahl er. Sie verneigte sich steif und führte ihn über die Landzunge zur Brücke. Zumindest diese war noch so, wie er sie in Erinnerung hatte; die alten Steine glänzten von der Gischt und waren an vielen Stellen mit Flechten überzogen, das Meer schäumte unter ihren Füßen wie eine große wilde Bestie, und der salzige Wind zerrte an Theons Kleidern.
Wann immer er sich seine Heimkehr vorgestellt hatte, so hatte er sich ein behagliches Zimmer im Seeturm ausgemalt, wo er als Kind geschlafen hatte. Statt dessen führte ihn die alte Frau zum Blutturm. Dessen Zimmer waren größer und mit besseren Möbeln ausgestattet, dafür aber auch kühler und feuchter. Theon bekam eine Flucht kalter Räume angewiesen, deren hohe Decken sich im Dämmerlicht verloren. Er wäre wahrscheinlich beeindruckter gewesen, hätte er nicht gewußt, daß eben diese Zimmer dem Turm seinen Namen gegeben hatten. Vor tausend Jahren waren die Söhne des Flußkönigs hier ermordet worden. Man hatte sie in Stücke gehackt und die Stücke ihrer Leiber ihrem Vater aufs Festland geschickt.
Aber Greyjoys waren in Pyke nie ermordet worden, außer einmal, von ihren eigenen Brüdern. Theons Brüder waren allerdings beide schon tot. Daher schaute er sich jetzt keineswegs aus Angst vor Geistern so angewidert um. Die Wandbehänge waren grün, angeschimmelt, die Matratzen waren durchgelegen und rochen muffig, die Binsen waren alt und trocken. Jahre waren vergangen, seit diese Zimmer zum letzten Mal betreten worden waren. Die Feuchtigkeit kroch einem sofort in die Knochen.»Ich wünsche ein Becken mit heißem Wasser und ein Feuer im Kamin«, sagte er zu dem alten Weib.»Und in den anderen Räumen sollen
Kohlenpfannen angezündet werden, um die Kälte zu vertreiben. Bei den Göttern, vor allem hol sofort jemanden, der diese Binsen erneuert.«
«Ja, M'lord. Wie Ihr befehlt. «Damit eilte sie davon.
Nach einiger Zeit brachte man das heiße Wasser, um das er gebeten hatte. Es war nur lauwarm, bald wieder abgekühlt und außerdem Meerwasser, dennoch genügte es, den Staub des langen Rittes von Gesicht, Haar und Händen zu waschen. Während zwei Hörige die Kohlenpfannen in Brand setzten, legte Theon seine schmutzige Reisekleidung ab und zog sich frische Kleider an, damit er seinem Vater entgegentreten konnte. Er wählte Stiefel aus geschmeidigem schwarzem Leder, eine weiche silbergraue Schafswollhose und ein schwarzes Samtwams, auf dessen Brust der goldene Krake der Greyjoys gestickt war. Um den Hals hängte er sich eine feine Goldkette, um die Hüfte schnallte er sich einen Gürtel aus weißem Leder. Daran befestigte er an einer Seite einen Dolch, an der anderen ein Langschwert, beide in schwarz-golden gestreiften Scheiden. Er zog den Dolch, prüfte die Schneide, holte den Wetzstein aus seinem Beutel und fuhr damit ein paarmal über die Klinge. Er war stolz darauf, daß er seine Waffen stets scharf hielt.»Wenn ich zurückkomme, erwarte ich ein warmes Zimmer und frische Binsen«, warnte er die Hörigen, während er sich ein Paar schwarze Handschuhe überstreifte, deren Seide mit filigranen Schneckenmustern aus Goldfäden verziert waren.
Über eine überdachte Steinbrücke ging Theon nun hinüber zum Großen Bergfried. Der Widerhall seiner Schritte vermischte sich mit dem unaufhörlichen Grollen der See unter ihm. Um den Seeturm zu erreichen, mußte er drei weitere Brücken überqueren, jede schmaler als die vorherige. Die letzte bestand nur noch aus Tauwerk und Holz, und im feuchten, salzigen Wind schwankte sie unter seinen Füßen. Als Theon in der Mitte anlangte, schlug ihm das Herz schon bis zum Hals.
Tief unter ihm spritzte die Gischt auf, wenn die Wellen gegen den Fels brandeten. In seiner Kindheit war er über diese Brücke gerannt, selbst in finsterster Nacht. Ein Knabe glaubt, ihm könne nichts geschehen, flüsterte ihm eine zweifelnde Stimme ein, ein erwachsener Mann weiß es besser.
Die graue Holztür war mit Eisen beschlagen und von innen verriegelt. Theon hämmerte mit der Faust dagegen und fluchte, als ein Splitter seinen Handschuh aufriß. Das Holz schimmelte, und die Eisenbeschläge rosteten.
Einen Augenblick später wurde die Tür von einer Wache in schwarzem Brustharnisch und Helm geöffnet.»Seid Ihr der Sohn?«
«Aus dem Weg, oder ich zeige Euch, wer ich bin. «Der Mann trat zur Seite. Theon stieg die Wendeltreppe zum Solar hinauf. Dort fand er seinen Vater, der neben einer Kohlenpfanne saß. Sein muffiger Mantel aus Seehundfell hüllte ihn von Kopf bis Fuß ein. Als er die Schritte auf den Steinplatten vernahm, blickte der Lord der Iron Islands auf und musterte seinen letzten verbliebenen Sohn. Er war kleiner, als Theon ihn in Erinnerung hatte. Und so hager. Balon Greyjoy war stets dünn gewesen, aber jetzt erweckte er den Eindruck, die Götter hätten ihn in einen Kessel gesteckt und jede überflüssige Unze Fleisch aus ihm herausgekocht, bis allein Haut und Knochen geblieben waren. Ja, knochendürr und knochenhart war er, sein Gesicht hätte aus Feuerstein gemeißelt sein können. Auch seine Augen ähnelten diesem Stein, so schwarz und scharf blickten sie ihn an, aber die Jahre und der Salzwind hatten sein Haar mit dem Grau des winterlichen Meeres gefärbt, mit weißen Schaumkronen durchsetzt. Offen hing es ihm über den Rücken.
«Neun Jahre, nicht wahr?«sagte Lord Balon schließlich.
«Zehn«, antwortete Theon und zog sich die zerrissenen Handschuhe aus.
«Einen Jungen haben sie mir genommen«, sagte sein Vater.»Was bist du jetzt?«
«Ein Mann«, erwiderte Theon,»Euer Blut und Euer Erbe.«
Lord Balon grunzte.»Man wird sehen.«
«Das werdet Ihr gewiß.«
«Zehn Jahre, sagst du. Stark hatte dich ebenso lange wie ich. Und nun kommst du als sein Gesandter.«
«Nicht als seiner«, entgegnete Theon.»Lord Eddard ist tot, er wurde von der Lannister-Königin enthauptet.«
«Beide sind tot, Stark und dieser Robert, der meine Mauern mit seinen Steinen gebrochen hat. Ich habe geschworen, den Tag zu erleben, an dem man sie zu Grabe trägt, und tatsächlich ist es so gekommen. «Er schnitt eine Grimasse.»Dennoch lassen Kälte und Feuchtigkeit meine Gelenke schmerzen, genauso wie vor ihrem Tod. Was hat es mir also eingebracht?«
«Es bringt uns großen Nutzen ein. «Theon trat näher.»Ich trage einen Brief bei mir — «
«Hat Ned Stark dich in diese Kleider gesteckt?«fiel ihm sein Vater ins Wort.»Fand er Gefallen daran, dich in Samt und Seide zu hüllen und zu seiner süßen Tochter zu machen?«
Theon spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg.»Ich bin keines Mannes Tochter. Falls Euch meine Kleidung mißfällt, werde ich andere anlegen.«