Allein Drachen und Menschen essen gekochtes Fleisch.
Daraufhin ließ sie das Fleisch von den Mägden rösten, und nun zerrissen die Drachen es gierig und zuckten wie Schlangen mit den Köpfen. Sie schluckten, was immer man ihnen darbot, gelegentlich das Mehrfache ihres eigenen Körpergewichts, und endlich wuchsen sie und wurden kräftiger. Dany bewunderte ihre weichen Schuppen und die Hitze, die von ihnen ausging, so spürbar, als würden ihre kleinen Leiber dampfen.
Bei Einbruch der Dunkelheit brach das khalasar auf, und jeweils einen der Drachen ließ Dany auf ihrer Schulter reiten. Irri und Jhiqui beförderten die beiden anderen in einem Holzkäfig, der zwischen ihren Pferden hing, und blieben dicht hinter ihr, damit die Kleinen ihre Mutter stets sehen konnten. Nur auf diese Weise konnte man sie still halten.
«Aerons Drachen wurde nach den Göttern des alten Valyria benannt«, erklärte sie ihren Blutreitern eines Morgens nach langem nächtlichem Marsch.»Visenyas Drache war Vhagar, Rhaenys hieß Meraxes, und Aegon ritt auf Balerion, dem Schwarzen Schrecken. Man erzählt sich, Vhagars Atem war so heiß, daß er eine Ritterrüstung schmelzen und den Mann darin kochen konnte. Meraxes schluckte angeblich ganze Pferde, und Balerion… sein Feuer war so schwarz wie seine Schuppen, und seine Schwingen so breit, daß ganze Städte in ihren Schatten getaucht wurden, wenn er darüber hinwegflog.«
Die Dothraki bedachten ihre Kleinen mit unbehaglichen Blicken.
Der größte der drei glänzte schwarz, und seine Schuppen waren passend zu den Flügeln und Hörnern mit Streifen von grellem Scharlachrot gemustert.»Khaleesi«, murmelte Aggo,»dort sitzt der wiedergeborene Balerion.«
«Vielleicht ist es so, Blut von meinem Blut«, erwiderte Dany ernst,»doch er soll für sein neues Leben einen anderen Namen erhalten. Ich werde sie nach jenen benennen, welche die Götter mir genommen haben. Der Grüne heißt Rhaegar, nach meinem kühnen Bruder, der am grünen Ufer des Trident den Tod fand. Der creme- und goldfarbene heißt Viserion. Viserys war grausam und schwächlich, und doch war er mein Bruder. Sein Drache wird vollbringen, was ihm nicht vergönnt war.«»Und das schwarze Tier?«fragte Ser Jorah Mormont.»Der Schwarze«, antwortete sie,»ist Drogon. «Indes ihre Drachen prächtig gediehen, schwand ihr khalasar dahin. Das Land wurde immer öder und karger. Nun fand sich sogar Teufelsgras nur noch selten; Pferde blieben plötzlich stehen und brachen zusammen. Viele Menschen mußten bereits zu Fuß gehen. Doreah litt unter Fieber und wurde mit jeder Meile schwächer. Ihre Lippen und Hände waren mit Blutblasen übersät, ihr Haar fiel büschelweise aus, und eines Abends mangelte es ihr an der Kraft, ihr Pferd zu besteigen. Jhogo sagte, man müsse sie entweder zurücklassen oder im Sattel festbinden, doch Dany erinnerte sich an eine Nacht auf dem Dothrakischen Meer, als das Mädchen aus Lys sie Geheimnisse gelehrt hatte, mit deren Hilfe sie Drogos Liebe noch vermehren könnte. Sie flößte Doreah Wasser aus ihrem eigenen Schlauch ein, kühlte ihre Stirn mit einem feuchten Tuch und hielt ihre Hand, bis sie zitternd starb. Erst dann erlaubte sie dem khalasar weiterzumarschieren.
Von anderen Reisenden fanden sie keine Spur. Die Dothraki flüsterten einander ängstlich zu, der Komet führe sie in die Hölle. Eines Morgens trat Dany zu Ser Jorah, während sie das Lager inmitten eines Gewirrs schwarzer Steine errichteten.»Haben wir uns verirrt?«fragte sie ihn.»Hat diese Wüste denn gar kein Ende?«
«Doch, das hat sie«, antwortete er müde.»Ich habe die Karten von Kaufleuten gesehen, meine Königin. Nur wenige Karawanen wählen diesen Weg, das stimmt wohl, dennoch liegen im Osten große Königreiche und Städte voller Wunder. Yi Ti, Qarth, Asshai am Schatten…«
«Werden wir lebend dort ankommen?«
«Ich will Euch nicht belügen. Der Weg dorthin ist härter, als ich anzunehmen wagte. «Das graue Gesicht des Ritters zeigte seine Erschöpfung. Die Wunde an seiner Hüfte, die er erhalten hatte, als er gegen Khal Drogos Blutreiter gekämpft hatte, war nie ganz ausgeheilt; stets verzog er das Gesicht vor Schmerz, wenn er sein Pferd bestieg, und im Sattel sank er während des Ritts in sich zusammen.»Vielleicht ereilt uns das Verhängnis, wenn wir weiterziehen… aber ganz gewiß sind wir verdammt, wenn wir umkehren.«
Dany küßte ihn sanft auf die Wange. Sein Lächeln gab ihr Mut. Auch ihm muß ich meine Kraft geben, dachte sie grimmig. Mag er ein Ritter sein, ich bin vom Blut der Drachen.
Das Wasser des nächsten Tümpels, auf den sie stießen, war brühend heiß und stank nach Schwefel, aber ihre Schläuche waren so gut wie leer. Die Dothraki ließen das Wasser in Krügen und Töpfen abkühlen und tranken es lauwarm. Der Geschmack wurde dadurch nicht besser, immerhin war es Wasser, und sie waren halb verdurstet. Dany blickte voller Verzweiflung zum Horizont. Sie hatte ein Drittel ihres Volkes verloren, und weiterhin erstreckte sich die Wüste öde und rot und endlos vor ihnen. Der Komet verspottet mich, ging es ihr durch den Kopf, während sie den Himmel absuchte. Habe ich die halbe Welt durchquert und die Geburt von Drachen gesehen, nur um mit ihnen in dieser heißen, harten Wüste zu sterben? Sie wollte es nicht glauben.
Am nächsten Tag befanden sie sich zu Beginn der Dämmerung auf einer von Rissen und Spalten durchzogenen roten Ebene. Dany wollte gerade befehlen, das Lager aufzuschlagen, da galoppierten die Kundschafter ins Lager.»Eine Stadt, Khaleesi!«riefen sie.»Eine Stadt, bleich wie der Mond und lieblich wie eine Maid. Keine Stunde von hier entfernt.«
«Zeigt sie mir«, sagte sie.
Dann tauchte die Stadt mit ihren weißen Mauern und Türmen, die durch einen Schleier von Hitze schimmerten, vor ihr auf, und der Anblick war so erhaben, daß Dany ihn für ein Trugbild hielt.»Wißt Ihr, welcher Ort das ist?«erkundigte sie sich bei Ser Jorah.
Der verbannte Ritter schüttelte müde den Kopf.»Nein, das weiß ich nicht, meine Königin. So weit hat es mich nie nach Osten verschlagen.«
Die fernen weißen Mauern versprachen Ruhe und Sicherheit, eine Möglichkeit, sich zu erholen und zu stärken, und Dany wäre am liebsten weitergeeilt. Statt dessen wandte sie sich an ihre Blutreiter:»Blut von meinem Blut, geht voraus, bringt den Namen dieser Stadt in Erfahrung und auch, ob man uns
willkommen heißen wird.«
«Ja, Khaleesi«, antwortete Aggo.
Es dauerte nicht lange, bis ihre Reiter zurückkehrten. Rakharo schwang sich aus dem Sattel. An seinem mit Medaillons geschmückten Gürtel hing der arakh, den Dany ihm verliehen hatte, als sie ihn zu ihrem Blutreiter erklärt hatte.»Diese Stadt ist tot, Khaleesi. Namenlos und gottlos liegt sie vor uns, die Tore sind zerstört, nur Wind und Fliegen ziehen durch die Straßen.«
Jhiqui erschauerte.»Wenn selbst die Götter verschwunden sind, werden dort die bösen Geister bei Nacht ihre Feste abhalten. Solche Orte darf man nicht betreten. Das ist bekannt.«»Das ist bekannt«, stimmte Irri zu.
«Mir nicht. «Dany gab ihrem Pferd die Sporen und führte sie voran, trabte unter dem halbzerfallenen Bogen des alten Tores hindurch und eine stille Straße hinunter. Ser Jorah und die Blutreiter folgten ihr, danach kamen, deutlich langsamer, die übrigen Dothraki.
Wie lange die Stadt bereits verlassen war, konnte man nicht erkennen, aber die weißen Mauern, die aus der Ferne so prächtig aussahen, waren von nahem besehen rissig und geborsten. Im Inneren stießen sie auf ein Labyrinth schmaler, verwinkelter Gassen. Die Gebäude drängten sich aneinander, ihre Fassaden waren leer, kalkig, fensterlos. Alles war weiß, als hätten die Menschen, die hier einst lebten, keine Farbe gekannt. Sie ritten an Trümmerhaufen von eingestürzten Häusern vorbei, und an manchen Stellen entdeckten sie die verblaßten Spuren von Feuer. Auf einem Platz, wo sechs Straßen aufeinandertrafen, ritt Dany an einem leeren Sockel vorbei. Offensichtlich hatten schon früher Dothraki diesen Ort aufgesucht. Vielleicht stand die fehlende Statue nun bei den geplünderten Göttern in Vaes Dothrak. Möglicherweise war sie hundert Mal daran vorbeigegangen, ohne es zu wissen. Auf