ihrer Schulter zischte Viserion.
Sie lagerten auf einer windigen Stelle vor einem zerfallenen Platz, wo das Teufelsgras zwischen den Pflastersteinen wuchs. Dany schickte Männer los, um die Ruinen zu durchsuchen. Zwar brachen sie nur widerwillig auf, gehorchten jedoch… und kurze Zeit darauf kehrte ein alter Mann hüpfend und grinsend zurück und hielt Feigen in der Hand. Waren sie auch klein und welk, ihr Volk riß sich gierig darum und kaute glückselig mit vollen Wangen. Andere kamen zurück und erzählten, sie hätten weitere Obstbäume gefunden, die hinter verschlossenen Türen in verborgenen Gärten standen. Aggo zeigte ihr einen Hof, der von Weinranken mit winzigen Trauben überwuchert war, und Jhogo entdeckte einen Brunnen mit sauberem, kaltem Wasser. Doch auch auf Knochen stießen sie, Schädel von Toten, die nicht beerdigt worden waren und ausgebleicht und zertrümmert herumlagen.»Geister«, murmelte Irri,»fürchterliche Geister. Wir dürfen nicht hierbleiben, Khaleesi, dieser Ort gehört ihnen.«
«Ich fürchte mich nicht vor Geistern. Drachen sind weitaus mächtiger. «Und Feigen sind wichtiger.»Geh mit Jhiqui los und such sauberen Sand, damit ich baden kann, und erspar mir dein dummes Gerede.«
In der Kühle ihres Zeltes röstete Dany Pferdefleisch über einer Kohlenpfanne und überlegte, welche Möglichkeiten sich ihr boten. Hier gab es Nahrung und Wasser, um zu überleben, und genug Gras, damit die Pferde wieder zu Kräften kommen konnten. Wie schön wäre es doch, jeden Tag an gleicher Stelle aufzuwachen, in den schattigen Gärten zu weilen, Feigen zu essen und soviel kühles Wasser zu trinken, wie sie begehrte.
Nachdem Irri und Jhiqui mit Töpfen voll Sand zurückgekehrt waren, zog sich Dany aus und ließ sich von ihnen abscheuern.»Euer Haar wächst wieder, Khaleesi«, bemerkte Jhiqui, während sie den Sand von ihrem Rücken kratzte. Dany strich sich über den Kopf und spürte die Stoppeln. Die Männer der
Dothraki trugen ihr Haar in langen Zöpfen, die sie mit Öl einrieben; die wurden ihnen nur bei einer Niederlage im Kampf abgeschnitten. Vielleicht sollte ich es genauso halten, überlegte sie, um sie daran zu erinnern, daß Drogos Kraft in mir weiterlebt. Khal Drogos Haar war niemals geschnitten worden, und damit konnten sich nur wenige Männer brüsten.
Auf der anderen Seite des Zeltes breitete Rhaegar die Schwingen aus, flatterte und flog einen halben Fuß auf, ehe er wieder auf den Teppich plumpste. Bei der Landung schlug er wütend mit dem Schwanz, reckte den Hals und kreischte. Hätte ich Flügel, würde ich auch fliegen wollen, dachte Dany. Die Targaryens der alten Zeiten waren auf dem Rücken von Drachen in den Krieg gezogen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es wohl war, wenn man auf einem Drachenhals saß und hoch in die Luft schwebte. Es muß sein, als stehe man auf einem Berg, nur noch schöner. Die ganze Welt liegt dir zu Füßen. Wenn ich hoch genug fliegen kann ich sogar die Sieben Königslande sehen und die Hand nach dem Kometen ausstrecken.
Irri riß sie aus ihrem Tagtraum und kündigte Ser Jorah Mormont an, der draußen auf sie warte.»Schick ihn herein«, befahl Dany, deren sauber gescheuerte Haut kribbelte. Sie hüllte sich in die Löwenhaut. Der hrakkar war viel größer gewesen als Dany, daher konnte sie mit dem Pelz alle Körperteile bedecken, von denen es der Anstand verlangte.
«Ich habe einen Pfirsich für Euch«, sagte Ser Jorah und kniete nieder. Die Frucht war so klein, daß Dany sie mit der Hand ganz umfassen konnte, und noch dazu überreif, doch als sie davon kostete, war das Fleisch so süß, daß sie beinahe zu weinen begonnen hätte. Sie aß langsam und genoß jeden Bissen, während Ser Jorah ihr von dem Pfirsichbaum erzählte, der in einem Garten nahe der Westmauer stand.
«Obst und Wasser und Schatten«, meinte Dany. Ihre Wangen klebten vom Saft des Pfirsichs.»Die Götter meinen es gut mit uns, da sie uns hierhergeführt haben.«
«Wir sollten ausruhen, bis wir wieder zu Kräften gekommen sind«, drängte der Ritter.»Die roten Lande kennen kein Erbarmen mit den Schwachen.«
«Meine Mägde behaupten, hier gebe es Geister.«
«Überall gibt es Geister«, erwiderte Ser Jorah leise.»Wir tragen sie mit uns herum, wohin auch immer wir gehen.«
Ja. Viserys, Khal Drogo, mein Sohn Rhaego, sie sind stets bei mir.»Verratet mir den Namen von Eurem Geist, Jorah. Die meinen kennt Ihr bereits.«
Sein Gesicht erstarrte.»Sie hieß Lynesse.«
«Eure Gemahlin.«
«Meine zweite Gemahlin.«
Es schmerzt ihn, darüber zu sprechen. Danny bemerkte es wohl, aber sie wollte die ganze Wahrheit hören.»Ist das alles, was Ihr über sie sagen könnt?«Das Löwenfell glitt von einer Schulter, und sie zog es wieder hoch.»War sie hübsch?«
«Wunderschön. «Ser Jorah löste den Blick von ihrer Schulter und sah ihr ins Gesicht.»Als ich sie das erste Mal erblickt habe, glaubte ich, eine Göttin sei auf die Erde herabgestiegen, die Jungfrau selbst, in Fleisch und Blut. Von Geburt aus stand sie weit über mir. Sie war die jüngste Tochter des Lord Leyton Hightower von Oldtown. Der Weiße Bulle, der Eures Vaters Königsgarde anführte, war ihr Onkel. Die Hightowers sind eine alte Familie, sehr reich und sehr stolz.«
«Und loyal«, ergänzte Dany.»Viserys hat mir erzählt, die Hightowers hätten zu jenen gehört, die meinem Vater die Treue hielten.«
«Das stimmt«, gab er zu.
«Hat Euer Vater die Ehe vermittelt?«
«Nein«, antwortete er.»Unsere Heirat… aber das ist eine lange Geschichte und außerdem langweilig, Euer Gnaden. Ich
will Euch nicht damit belästigen.«
«Ich habe nichts anderes zu tun«, sagte sie.»Bitte.«
«Wie meine Königin befiehlt. «Ser Jorah runzelte die Stirn.»Meine Heimat — soviel müßt Ihr wissen, um den Rest zu verstehen — Bear Island ist wunderschön, wenn auch sehr abgelegen. Stellt Euch knorrige alte Eichen und hohe Kiefern vor, blühende Dornbüsche, graue, moosige Steine, kleine eiskalte Bäche, die steile Berge hinunterrauschen. Die Halle der Mormonts wurde aus riesigen Baumstämmen gebaut und ist von einer Erdpalisade umgeben. Abgesehen von einigen Pächtern lebt der größte Teil meines Volkes entlang der Küste vom Fischfang. Die Insel liegt weit im Norden, und die Winter bei uns sind härter, als Ihr Euch vorzustellen vermögt, Khaleesi.
Dennoch gefiel mir die Insel sehr, und auch an Frauen herrschte dort kein Mangel. Ich fand genug Fischerfrauen und Töchter der Pächter, und zwar sowohl vor als auch nach meiner Heirat. Ich wurde jung vermählt, mit einer Braut, die mein Vater erwählt hatte, einer Glover aus Deepwood Motte. Zehn Jahre dauerte unsere Ehe, jedenfalls fast. Meine Gemahlin hatte ein einfaches Gesicht, war aber eine gute Frau. Ich glaube, nach einer Weile habe ich sie sogar geliebt, obwohl unsere Verbindung eher von Pflicht denn von Leidenschaft geprägt war. Dreimal hat sie vergeblich versucht mir einen Erben zu schenken. Von der letzten Fehlgeburt hat sie sich nicht erholt. Kurz danach starb sie.«