Gendry gesellte sich zu ihr. Er trug einen Helm.»Wie viele?«
Arya versuchte zu zählen, aber sie ritten zu schnell, und die Fackeln flogen überall durch die Nacht.»Hundert«, sagte sie.»Zweihundert, ich weiß nicht. «Durch das Prasseln der Flammen hörte sie Rufe.»Bald werden sie auch uns angreifen.«
«Dort«, meinte Gendry und zeigte auf die Straße zur Stadt.
Eine Kolonne von Reitern kam zwischen den brennenden Gebäuden hervor und sprengte auf den Bergfried zu. Das Licht des Feuers spiegelte sich auf dem Metall der Helme und ließ Kettenhemden und Panzer orange und gelb glitzern. Einer trug ein Banner an einer langen Lanze. Die Fahne schien rot zu sein, nur ließ sich das im Dunkeln und dem grellen Feuerschein kaum erkennen, in dem alles entweder rot oder schwarz aussah.
Das Feuer sprang von einem Haus zum anderen. Arya sah einen Baum, an dem die Flammen emporkrochen, bis die Äste in loderndes Orange eingehüllt waren. Inzwischen waren alle wach und die meisten waren auf den Wehrgang hinausgekommen, einige versuchten indes, die verängstigten Tiere im Hof zu bändigen. Yoren brüllte Befehle. Plötzlich stieß etwas an Aryas Bein, und sie schaute nach unten. Das kleine Mädchen hatte sich an ihr festgeklammert.
«Was macht du denn hier oben? Lauf und versteck dich, du dummes Ding. «Sie schob die Kleine zur Seite.
Die Reiter hielten vor dem Tor an.»Ihr da in der Festung!«brüllte ein Ritter in einen hohem Helm mit Stacheln auf dem Kamm.»Im Namen des Königs, öffnet!«
«Ja, und welchen König meint Ihr?«rief der alte Reysen zurück, bevor Woth ihn mit einem Knuff in die Rippen zum Schweigen brachte.
Yoren kletterte auf den Wehrgang neben dem Tor. Er hatte seinen ausgeblichenen schwarzen Mantel an einen Holzstab gebunden.»Ihr dort unten!«brüllte er.»Die Bewohner der Stadt sind geflohen.«
«Und wer seid Ihr, alter Mann? Einer von Lord Berics Feiglingen?«antwortete der Ritter mit dem Stachelhelm.»Falls dieser fette Narr Thoros bei Euch ist, fragt ihn, wie ihm dieses Feuerchen gefällt.«
«Bei uns befindet sich niemand dieses Namens!«rief Yoren zurück.»Nur ein paar Männer und Jungen, die für die Mauer bestimmt sind. Wir ergreifen in Eurem Krieg keine Partei. «Er hob den Stab höher, damit sie alle die Farbe seines Mantels erkennen konnten.»Schaut her. Das ist das Schwarz der Nachtwache.«
«Oder das Schwarz des Hauses Dondarrion!«rief der Mann, der das Banner trug. Jetzt vermochte Arya dessen Farben im Licht der brennenden Stadt besser zu sehen: ein goldener Löwe auf rotem Grund.»Lord Berics Wappen ist ein purpurner Blitz auf schwarzem Feld.«
Plötzlich erinnerte sich Arya an den Morgen, an dem sie Sansa die Apfelsine ins Gesicht geworfen und der Saft auf ihr dummes, elfenbeinfarbenes Seidenkleid getropft war. Bei dem Turnier war auch ein Lord aus dem Süden anwesend gewesen, in den sich die törichte Freundin ihrer Schwester, diese Jeyne, verliebt hatte. Er hatte einen Blitz auf seinem Schild getragen, und ihr Vater hatte ihn ausgeschickt, um den Bruder des Bluthundes zu enthaupten. Das schien tausend Jahre zurückzuliegen, schien einer anderen Person in einem anderen
Leben passiert zu sein… Arya Stark, der Tochter der Rechten Hand, nicht Arry, dem Waisenjungen. Woher sollte Arry Lords und solche Leute kennen?
«Seid Ihr blind, Mann?«Yoren schwenkte den Stab mit dem Mantel.»Seht Ihr hier vielleicht einen verdammten Blitz?«
«Bei Nacht erscheinen alle Banner schwarz«, antwortete der Ritter mit dem Stachelhelm.»Öffnet, oder wir erklären Euch für Gesetzlose, die mit den Feinden des Königs im Bunde stehen.«
Yoren spuckte aus.»Wer hat bei Euch den Befehl?«
«Ich. «Die Reflexionen der brennenden Häuser schimmerten matt auf der Rüstung des Schlachtrosses, während die anderen auseinanderwichen, um den Mann vorzulassen. Er war ein fetter Mann, auf seinem Schild prangte ein Mantikor, ein Ungeheuer mit Menschenkopf, Löwenleib und Drachenschwanz, und sein stählerner Brustpanzer war mit einer Schneckenverzierung geschmückt. Durch das offene Visier seines Helms konnte man das bleiche Schweinegesicht sehen.»Ser Armory Lorch, Gefolgsmann des Lords Tywin Lannister von Casterly Rock, der Rechten Hand des Königs. Des wahren Königs, Joffrey. «Seine Stimme war hoch und dünn.»In seinem Namen befehle ich Euch, öffnet dieses Tor.«
Um sie herum brannte die Stadt. Die Nachtluft hing voller Rauch, und die Zahl der schwirrenden Funken übertraf die der Sterne. Yoren machte ein finsteres Gesicht.»Dazu sehe ich keine Notwendigkeit. Tut in der Stadt, was Ihr wollt, das schert mich nicht, aber laßt uns in Frieden. Wir sind Euch nicht feindlich gesonnen.«
Seht mit euren Augen, hätte Arya den Männern unten am liebsten zugerufen.»Erkennen die denn nicht, daß wir keine Lords oder Ritter sind?«flüsterte sie.
«Ich glaube, das ist ihnen gleichgültig, Arry«, antwortete Gendry genauso leise.
Sie betrachtete Ser Armorys Gesicht, so wie es Syrio ihr beigebracht hatte, und sie begriff, daß Gendry recht hatte.
«Wenn Ihr keine Hochverräter seid, öffnet das Tor!«rief Ser Armory.»Wir werden uns versichern, ob Ihr die Wahrheit sagt, und dann abziehen.«
Yoren kaute auf seinem Bitterblatt herum.»Ich habe Euch bereits gesagt, außer uns ist niemand hier. Darauf habt Ihr mein Wort.«
Der Ritter mit dem Stachelhelm lachte.»Die Krähe gibt uns ihr Wort.«
«Habt Ihr Euch verirrt, alter Mann?«spottete einer der Lanzenträger.»Die Mauer liegt ein ganzes Stück nördlich von hier.«
«In König Joffreys Namen befehle ich Euch abermals, die Treue unter Beweis zu stellen, die Ihr bekundet, und das Tor zu öffnen«, sagte Ser Armory.
Eine Weile lang dachte Yoren kauend nach.»Ich glaube nicht.«»Nun denn. Ihr widersetzt Euch des Königs Befehl, und somit erkläre ich Euch zu Rebellen, ob Ihr nun das Schwarz tragt oder nicht.«»Ich habe nur Knaben hier drin!«rief Yoren nach unten.»Knaben sterben genauso wie alte Männer. «Ser Armory hob träge die Faust, und jemand hinter ihm schleuderte einen Speer. Yoren mußte das Ziel gewesen sein, doch Woth, der neben ihm stand, wurde getroffen. Die Spitze durchbohrte seinen Hals und trat dunkel und feucht im Nacken wieder hervor. Worth griff noch nach dem Schaft, dann brach er zusammen.
«Stürmt die Mauern und tötet sie alle«, befahl Ser Armory gelangweilt. Weitere Speere flogen durch die Luft. Arya packte Heiße Pastete hinten am Gewand und zerrte ihn hinunter. Draußen klapperten Rüstungen, scharrend wurden Schwerter aus den Scheiden gerissen, und Speere wurden auf Schilde geschlagen. Dazu gesellten sich die übelsten Verwünschungen und der Hufschlag der Pferde. Eine Fackel drehte sich über ihre Köpfe hinweg und spuckte feurige Finger, als sie im Hof der Festung landete.
«Zieht die Schwerter!«brüllte Yoren.»Verteilt euch und verteidigt die Mauer. Koss, Urreg, haltet das Seitentor. Lommy, zieh den Speer aus Woth raus und nimm seinen Platz ein.«
Heiße Pastete ließ vor Aufregung sein kurzes Schwert fallen, als er es aus der Scheide ziehen wollte. Arya drückte es ihm wieder in die Hand.»Ich weiß gar nicht, wie man damit kämpft«, sagte er. Das Weiße in seinen Augen war deutlich zu sehen.
«Das ist ganz einfach«, antwortete Arya, doch die Lüge verendete ihr in der Kehle, als eine Hand den Rand der Zinne packte. Die Zeit schien plötzlich stillzustehen, im Licht der brennenden Stadt sah sie die Finger unnatürlich deutlich. Sie waren voller Schwielen, schwarze Haare wuchsen zwischen den Knöcheln, unter dem Daumennagel saß Dreck. Angst schneidet tiefer als Schwerter, erinnerte sie sich, und dann tauchte hinter der Hand ein Helm auf.