«Das habe ich auch so geplant… von heute an. Im Augenblick erwartet mich jedoch Shae. «Er hatte sie in einem ummauerten Gebäude in der nordöstlichen Ecke von King's Landung nahe am Meer untergebracht, doch aus Furcht vor Verfolgern hatte er bislang keinen Besuch gewagt.
«Welches Pferd möchtet Ihr?«
Tyrion zuckte mit den Schultern.»Dieses hier wird genügen.«
«Ich sattele es für Euch. «Varys hob Zaumzeug und Sattel von einem Haken.
Der kleine Mann schob den schweren Umhang zurecht und schritt unruhig hin und her.»Ihr habt eine höchst lebhafte Sitzung versäumt. Stannis hat sich zum König gekrönt, scheint es.«
«Ich weiß.«
«Er beschuldigt meinen Bruder und meine Schwester des Inzests. Ich frage mich, wie er zu diesem Verdacht gekommen ist.«
«Vielleicht hat er ein Buch gelesen und sich die Haarfarbe eines Bastards angesehen, ganz wie Ned Stark und vor ihm Jon Arryn es taten. Möglicherweise hat es ihm jemand ins Ohr geflüstert. «Das tiefe, kehlige Lachen des Eunuchen ähnelte kaum seinem üblichen Kichern.
«Jemand wie Ihr, vielleicht?«
«Stehe ich unter Verdacht? Ich war es nicht.«
«Falls doch, würdet Ihr es offen zugeben?«
«Nein. Aber aus welchem Grund sollte ich ein Geheimnis verraten, das zu wahren ich mich schon seit so langer Zeit mühe? Es ist eine Sache, einen König zu betrügen, und eine ganz andere, sich vor der Grille im Gebüsch und dem kleinen Vögelchen im Schornstein zu verbergen. Außerdem waren die Bastarde kein Geheimnis.«
«Roberts Bastarde? Was ist mit ihnen?«
«Er hat acht gezeugt, soweit ich weiß«, erklärte Varys, während er mit dem Sattel kämpfte.»Ihre Mütter hatten kupferrote oder honigblonde, kastanienbraune oder strohfarbene Haare, doch ihre Kinder waren alle schwarz wie Raben… und wurden alle unter dem gleichen schlechten Omen geboren, scheint es. Joffrey, Myrcella und Tommen glitten jedoch golden wie die Sonne zwischen den Schenkeln Eurer Schwester hervor, und so war die Wahrheit nicht schwer zu erraten.«
Tyrion schüttelte den Kopf. Hätte sie ihrem Gemahl nur ein einziges Kind geboren, hätte dies gereicht, um jeglichen Verdacht auszuräumen… aber dann wäre sie eben nicht Cersei gewesen.»Falls Ihr nicht derjenige seid, der es Stannis ins Ohr geflüstert hat, wer dann?«
«Zweifellos ein Verräter. «Varys zog den Sattelgurt fest.
«Littlefinger?«
«Ich nenne keinen Namen.«
Der Eunuch half ihm aufs Pferd.»Lord Varys«,
verabschiedete er sich vom Sattel aus,»manchmal denke ich, Ihr seid der beste Freund, den ich hier in King's Landing habe, und zu anderen Zeiten erscheint Ihr mir wie mein schlimmster Feind.«
«Sehr eigentümlich. Ich hege Euch gegenüber das gleiche Gefühl.«
Bran
Lange bevor die ersten bleichen Finger des Lichts durch die Läden von Brans Zimmer krochen, hatte er die Augen aufgeschlagen.
Winterfell hatte Gäste, Besucher, die zum Erntefest erschienen waren. Am heutigen Morgen würden sie im Hof gegen die Stechpuppe antreten. Früher einmal hätte ihn diese Aussicht mit freudiger Erregung erfüllt, aber das war vorher gewesen.
Jetzt nicht mehr. Die Walders würden Lanzen gegen die Knappen aus Lord Manderlys Eskorte brechen, doch Bran würde daran keinen Anteil haben. Er mußte im Solar seines Vaters den Prinzen spielen.»Hört gut zu, und vielleicht lernt Ihr, was man braucht, wenn man ein Lord werden will«, hatte Maester Luwin ihn aufgefordert.
Bran hatte niemals den Wunsch geäußert, ein Prinz zu sein. Stets hatte er nur von der Ritterschaft geträumt; von einer glänzenden Rüstung und wehenden Bannern, von Lanze und Schwert und von einem Schlachtroß zwischen seinen Schenkeln. Warum mußte er seine Zeit damit verschwenden, alten Männern zu lauschen, deren Worte er nur halb begriff? Weil du ein Krüppel bist, erinnerte ihn eine Stimme in seinem Kopf. Ein Lord in seinem gepolsterten Stuhl konnte ruhig verkrüppelt sein — die Walders erzählten, ihr Großvater sei so gebrechlich, daß man ihn überallhin in der Sänfte tragen mußte — , nicht jedoch ein Ritter auf einem Streitroß. Außerdem sei es seine Pflicht, mahnte man ihn.»Ihr seid der Erbe Eures Bruders und der Stark auf Winterfell«, sagte Ser Rodrik und erinnerte ihn daran, wie Robb sich immer zu ihrem Hohen Vater gesellt hatte, wenn dessen Vasallen ihm ihre Aufwartung machten.
Lord Wyman Manderly war vor zwei Tagen aus White Harbor eingetroffen; er hatte die Reise per Schiff und Sänfte zurückgelegt, da er viel zu fett war, um auf einem Pferd zu sitzen. Mit ihm war ein langer Rattenschwanz von Gefolgsleuten angekommen: Ritter, Knappen, niedere Lords und Ladys, Herolde, Musikanten, sogar ein Jongleur, und sie alle trugen Banner und Wappenröcke in einem halben Hundert verschiedener Farben. Bran hatte sie von dem hohen steinernen Sitz mit den gemeißelten Schattenwölfen aus begrüßt, und danach hatte Ser Rodrik ihn gelobt. Wenn es damit getan gewesen wäre, hätte es ihn nicht gestört. Doch war das erst der Anfang.
«Das Fest bietet einen willkommenen Vorwand«, erklärte ihm Ser Rodrik,»doch kein Mann legt hundert Meilen zurück, um eine Scheibe Entenbrust und einen Kelch Wein zu genießen. Nur jemand, der eine wichtige Angelegenheit vorzubringen hat, würde eine solche Reise auf sich nehmen.«
Bran sah zu der rauhen Steindecke über seinem Kopf auf. Robb hätte ihm jetzt gesagt, er solle sich nicht wie ein kleiner Junge benehmen, das wußte er wohl. Er meinte fast, seine Stimme zu hören, und die seines Hohen Vaters ebenso. Der Winter naht, und du bist schon bald ein erwachsener Mann, Bran. Du mußt deine Pflichten erfüllen.
Als Hodor hereinkam, grinste und unmelodisch vor sich hin summte, ergab sich der Junge in sein Schicksal. Mit Hilfe des Stallburschen wusch er sich.»Das weiße Wollwams«, befahl Bran.»Und die Silberbrosche. Ser Rodrik wünscht, daß ich wie ein Lord aussehe. «So weit es ihm möglich war, zog sich Bran selbständig an, doch mit der Hose oder den Schuhen wurde er allein nicht fertig. Mit Hodor zusammen ging es schneller. Hatte man dem Stallburschen erst einmal etwas beigebracht, stellte er sich dabei stets sicher und geschickt an. Seine Hände waren stets behutsam, obwohl er über erstaunliche Kräfte verfügte.»Du hättest auch ein Ritter werden können, wette ich«, sagte Bran.»Wenn die Götter dir nicht den Verstand genommen hätten, wärst du bestimmt ein großer Ritter.«
«Hodor?«Hodor blinzelte ihn arglos an, und in den braunen unschuldigen Augen zeigte sich keinerlei Verständnis.
«Genau«, antwortete Bran.»Hodor. «Er zeigte auf die Wand.
Dort hing neben der Tür ein Korb, mit Leder verstärkt und mit Löchern für Brans Beine versehen. Hodor schob die Arme durch die Riemen und schnallte den breiten Gürtel vor der Brust zu, dann kniete er neben dem Bett nieder. Bran hielt sich an den Stangen in der Wand fest und schwang das Gewicht seiner toten Beine in den Korb und durch die Öffnungen.
«Hodor«, wiederholte Hodor und erhob sich. Der Stallbursche war gut zwei Meter groß; saß Bran auf seinem Rücken, berührte sein Kopf fast die Decke. Er duckte sich unter der Tür hindurch. Einmal war Hodor der Duft warmen Brotes aus der Küche in die Nase gestiegen, und er war losgerannt, wobei Bran sich dermaßen heftig den Kopf gestoßen hatte, daß Maester Luwin die aufgeplatzte Haut nähen mußte. Mikken hatte ihm daraufhin einen alten, rostigen Helm ohne Visier aus der Waffenkammer gegeben, aber Bran setzte ihn nur selten auf. Die Walders lachten ihn immer aus, wenn er ihn trug.