Er legte die Hände auf Hodors Schultern, und sie stiegen die Wendeltreppen hinunter. Draußen war der Hof vom Lärm der Schwerter, Schilde und Pferde erfüllt. Eine süße Musik! Ich werde nur einen Blick darauf werfen, dachte Bran, einen kurzen Blick, mehr nicht.
Die geringeren Lords aus White Harbor würden erst am Vormittag erscheinen, gemeinsam mit ihren Rittern und Mannen. Bis dahin gehörte der Hof den Knappen, von denen die jüngsten zehn und die ältesten vierzig Jahre alt waren. Bran wünschte sich so sehr, zu ihnen zu gehören, daß ihm vor lauter Sehnsucht der Bauch weh tat.
Zwei Stechpuppen hatte man aufgestellt, und an jedem der starken Pfosten hatte man einen schwenkbaren Querbalken angebracht, mit einem Schild am einen und einem gepolsterten Kolben am anderen Ende. Die Schilde waren rot und golden bemalt, die Löwen der Lannisters plump und unförmig dargestellt und bereits von den ersten Tjosts der Knappen zerkratzt.
Bran wurde in seinem Korb von allen angestarrt, die ihn bisher nicht zu Gesicht bekommen hatten, allerdings hatte er gelernt, diese Neugier zu ignorieren. Zumindest hatte er von Hodors Rücken einen guten Ausblick, da er alle anderen überragte. Die Walders saßen gerade auf. Sie hatten hübsche Rüstungen von den Twins mitgebracht, glänzende Silberpanzer mit emaillierten blauen Ziselierungen. Die Helmzier des großen Walders war wie eine Burg geformt, während der kleine Walder blaue und graue Seidenbänder bevorzugte. Ihre Schilde und Wappenröcke waren ebenfalls unterschiedlich gestaltet. Der kleine Walder zeigte auf seinem die Zwillingstürme von Frey mit dem geströmten Keiler des Hauses seiner Großmutter und dem Pflüger seiner Mutter: Crakehall und Darry. Beim großen waren es hingegen der Baum und der Rabe des Hauses Blackwood sowie die Zwillingsschlangen der Paeges. Sie müssen wirklich nach Ehre hungern, dachte Bran, während er beobachtete, wie sie ihre Lanzen entgegennahmen. Ein Stark braucht nur den Schattenwolf.
Ihre Apfelschimmel waren schnell, kräftig und wunderbar geschult. Seite an Seite jagten die Walders auf die Stechpuppen zu. Beide trafen sauber das Schild und waren vorbei, bevor die gepolsterten Keulen herumgeschwenkt waren. Der kleine Walder führte die Lanze mit mehr Wucht, dachte Bran, dafür saß der große Walder besser im Sattel. Er hätte seine zwei nutzlosen Beine gegeben, wenn er nur gegen einen von ihnen hätte antreten können.
Der kleine Walder warf die zersplitterte Lanze zur Seite, entdeckte Bran und ritt zu ihm hinüber.»Also, das ist vielleicht ein häßliches Pferd«, sagte er und meinte Hodor.
«Hodor ist kein Pferd«, erwiderte Bran.
«Hodor«, sagte Hodor.
Der große Walder schloß zu seinem Vetter auf.»Jedenfalls ist er nicht so klug wie ein Pferd, das ist mal sicher. «Einige der Jungen aus White Harbor stießen sich gegenseitig an und lachten.
«Hodor. «Hodor strahlte freundlich und blickte von einem Frey zum anderen, ohne ihren Hohn zu begreifen.»Hodor Hodor?«
Das Pferd des kleinen Walder wieherte.»Siehst du, sie sprechen sogar miteinander. Vielleicht heißt hodor in der Pferdesprache >ich liebe dichc.«
«Halt den Mund, Frey. «Bran spürte, wie ihm die Farbe ins Gesicht stieg.
Der kleine Walder drängte sein Pferd näher heran und schob Hodor auf diese Weise zurück.»Und was machst du, wenn ich nicht den Mund halte?«
«Er wird seinen Wolf auf dich hetzen, Vetter«, warnte der große Walder.
«Soll er nur. Ich wollte schon immer einen Mantel aus Wolfsfell haben.«
«Summer würde dir deinen fetten Kopf abreißen«, drohte Bran.
Der kleine Walder schlug sich mit der geharnischten Faust auf den Brustpanzer.»Hat dein Wolf vielleicht Zähne aus Stahl, um durch diesen Harnisch zu beißen?«
«Genug!«Maester Luwins Stimme hallte durch den Lärm auf dem Hof wie ein Donnerschlag. Wieviel er mitangehört hatte, wußte Bran nicht… aber eindeutig hatte es genügt, ihn zu erzürnen.»Solche Drohungen sind unziemlich, und ich wünsche, daß mir so etwas nie wieder zu Ohren kommt. Benehmt Ihr Euch so in den Twins, Walder Frey?«
«Wenn mir der Sinn danach steht. «Hoch zu Roß hatte der kleine Walder für Luwin nur einen mürrischen Blick übrig, als wollte er sagen: Ihr seid nur ein Maester und wagt es, einen Frey vom Kreuzweg zu maßregeln?
«Jedenfalls ist das nicht das Benehmen, welches Lady Stark von ihren Mündeln auf Winterfell erwartet. Wer hat damit angefangen?«Der Maester sah die Jungen der Reihe nach an.»Einer wird es mir schon verraten, sonst, das schwöre ich — «
«Wir haben uns nur ein bißchen über Hodor lustig gemacht«, gestand der große Walder.»Sollten wir Prinz Bran beleidigt haben, tut es mir leid. Eigentlich wollten wir ihn nur aufheitern. «Wenigstens hatte er den Anstand, ein verlegenes Gesicht zu machen.
Der kleine Walder wirkte eher gereizt.»Ja, ich wollte ihn auch nur aufmuntern.«
Der kahle Fleck auf dem Kopf des Maesters war rot geworden, wie Bran von oben sehen konnte; Luwin war eher noch wütender als zuvor.»Ein guter Lord tröstet und schützt die Schwachen und Hilflosen«, erklärte er den Freys.»Ich werde es nicht zulassen, daß ihr mit Hodor eure grausamen Scherze treibt, habt ihr mich verstanden? Der Bursche hat ein gutes Herz, erfüllt seine Pflicht und gehorcht stets, und das kann man von euch beiden wohl kaum behaupten. «Er drohte dem kleinen Walder mit dem Zeigefinger.»Und Ihr werdet Euch aus dem Götterhain und von diesen Wölfen fernhalten. «Daraufhin machte er auf dem Absatz kehrt, ging ein paar Schritte und drehte sich nochmals um.»Bran. Kommt. Lord Wyman erwartet Euch.«
«Hodor, folge dem Maester«, befahl Bran.»Hodor«, sagte Hodor. Mit seinen langen Schritten holte er den trippelnden
Maester auf den Stufen zum Bergfried ein. Maester Luwin hielt die Tür auf, und Bran klammerte sich an Hodors Hals und duckte sich, während sie hindurchgingen.»Die Walders — «setzte er an.
«Diese Angelegenheit ist für mich erledigt. Ich möchte nichts mehr darüber hören. «Maester Luwin wirkte erschöpft und erhitzt zugleich.»Ihr hattet recht, Hodor zu verteidigen, aber eigentlich hättet Ihr Euch gar nicht dort aufhalten sollen. Ser Rodrik und Lord Wyman haben ihr Frühstück bereits fast beendet. Muß ich Euch immer erst wie ein kleines Kind holen kommen?«
«Nein«, antwortete Bran beschämt.»Entschuldigt. Ich wollte nur — «
«Ich weiß, was Ihr wolltet«, erwiderte Luwin besänftigt.»Ich wünschte, Euer Wunsch könnte in Erfüllung gehen, Bran. Habt Ihr noch Fragen, bevor wir mit der Audienz beginnen?«
«Werden wir über den Krieg sprechen?«
«Ihr werdet nur über belanglose Dinge reden. «Jetzt klang Luwins Stimme wieder so scharf wie gewöhnlich.»Noch seid Ihr ein achtjähriges Kind.«
«Fast neun!«
«Acht«, wiederholte der Maester unbeirrt.»Äußert lediglich Höflichkeiten, solange Ser Rodrik oder Lord Wyman Euch keine Fragen stellen.«
Bran nickte.»Ich werde es mir merken.«
«Den Vorfall zwischen Euch und den Freyjungen werde ich Ser Rodrik gegenüber nicht erwähnen.«
«Danke.«
Sie setzten Bran auf den Eichenstuhl mit den grauen Samtpolstern, der einst seinem Vater gehört hatte, an den langen Brettertisch. Ser Rodrik hatte zu seiner Rechten Platz genommen, zu seiner Linken ließ sich Maester Luwin nieder, der sich mit Federkiel und Tintenfaß und einem leeren Blatt Pergament bewaffnet hatte, um das Gesprochene niederzuschreiben. Bran strich mit der Hand über das rauhe Holz des Tisches und bat Lord Wyman für die Verspätung um Verzeihung.