Bran wußte, was er sagen mußte.»Ich danke Euch für den Vorschlag, Mylord«, platzte er heraus, bevor Ser Rodrik ihm zuvorkam.»Wir werden die Angelegenheit meinem Bruder Robb vortragen. Oh, und natürlich auch der Lady Hornwood.«
Es schien Leobald zu erstaunen, daß er gesprochen hatte.»Ergebensten Dank, mein Prinz«, sagte er, aber Bran entging das Mitleid in seinen hellblauen Augen nicht, in das sich vielleicht auch ein wenig Erleichterung mischte, weil der Krüppel nicht sein eigener Sohn war. Einen Moment lang haßte er den Mann.
Maester Luwin brachte ihm größere Sympathien entgegen.
«Beren Tallheart wäre möglicherweise ein Ausweg«, erklärte er, nachdem Leobald gegangen war.»Dem Blute nach ist er ein halber Hornwood. Und wenn er den Namen seines Onkels annimmt… «
«… bleibt er noch immer ein zehnjähriger Junge«, meinte Ser Rodrik,»der von Kerlen wie Mors Umber oder diesem Bastard von Roose Bolton bedrängt wird. Das müssen wir sorgsam bedenken. Robb soll unseren wohlüberlegten Rat erhalten, ehe er seine Entscheidung trifft.«
«Am Ende wird alles von praktischen Erwägungen abhängen«, sagte Maester Luwin,»davon, welchen Lord er am meisten hofieren muß. Die Flußlande gehört zu seinem Reich, und er wird Lady Hornwood an einen der Lords von Trident verheiraten wollen. An einen Blackwood vielleicht, oder an einen Frey — «
«Lady Hornwood kann einen von unseren Freys haben«, warf Bran ein.»Oder sogar beide, wenn sie möchte.«
«Das ist aber nicht nett, mein Prinz«, schalt Ser Rodrik ihn sachte.
Sind die Walders ja auch nicht. Verdrießlich starrte Bran auf die Tischplatte und antwortete nicht. In den folgenden Tagen trafen Raben aus den anderen herrschaftlichen Häusern ein, die Entschuldigungen brachten. Der Bastard von Dreadfort wollte sich nicht zu ihnen gesellen, die Mormonts und die Karstarks waren mit Robb nach Süden gezogen, Lord Locke war zu alt, um die Reise zu wagen, Lady Flint war hochschwanger. Schließlich hatten alle wichtigen Vasallen des Hauses Stark zumindest eine Botschaft gesandt, außer Howland Reed, dem Pfahlbaumann, der seine Sümpfe seit Jahren nicht verlassen hatte, und den Cerwyns, deren Burg nur einen halben Tagesritt von Winterfell entfernt lag. Lord Cerwyn war ein Gefangener der Lannisters, doch sein vierzehnjähriger Sohn traf eines hellen, windigen Morgens an der Spitze eines Dutzend
Lanzenreiters ein. Bran ritt gerade im Hof auf Dancer, als sie durch das Tor kamen. Er trabte hinüber, um sie zu begrüßen. Cley Cerwyn war stets ein Freund von Bran und seinen Brüdern gewesen.
«Guten Morgen, Bran«, rief Cley fröhlich,»oder muß ich dich jetzt Prinz Bran nennen?«»Nur, wenn du möchtest.«
Cley lachte.»Warum nicht? Jedermann nennt sich heutzutage König oder Prinz. Hat Stannis nach Winterfell auch einen Brief geschickt?«
«Stannis? Ich weiß nicht.«
«Er ist jetzt auch König«, berichtete Cley.»Er behauptet, Königin Cersei habe bei ihrem Bruder gelegen und Joffrey sei ein Bastard.«
«Joffrey, der unschicklich Geborene«, knurrte einer der Ritter Cerwyns.»Seine Treulosigkeit verwundert einen wenig, ist der Königsmörder doch sein Vater.«
«Ja«, warf ein anderer ein,»die Götter hassen Inzucht. Man braucht sich bloß anzuschauen, wie sie die Targaryens gestürzt haben.«
Einen Augenblick hatte Bran das Gefühl, als bekäme er keine Luft mehr. Eine Riesenhand preßte seine Brust zusammen. Er meinte, aus dem Sattel zu fallen und umklammerte verzweifelt Dancers Zügel.
Sein Entsetzen mußte sich auf seinem Gesicht abgezeichnet haben.»Bran?«fragte Cley Cerwyn.»Geht es dir nicht gut? Es ist doch nur ein König mehr.«
«Robb wird ihn auch besiegen. «Er wandte Dancer in Richtung Stall, ohne darauf zu achten, daß ihn die Cerwyns verwirrt anstarrten. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, und wäre er nicht am Sattel festgeschnallt gewesen, wäre er vermutlich gestürzt.
In dieser Nacht betete Bran zu den Göttern seines Vaters um eine Nacht ohne Träume. Falls die Götter seine Bitte gehört hatten, spotteten sie seinen Hoffnungen, denn der Alptraum, den sie ihm schickten, war schlimmer als die Wolfsträume.
«Flieg oder stirb!«krächzte die dreiäugige Krähe und hackte mit dem Schnabel nach ihm. Bran weinte und flehte, die Krähe jedoch kannte kein Mitleid. Sie hackte ihm das linke Auge aus und dann das rechte, und als er blind und um ihn her alles dunkel war, pickte sie auf seine Stirn ein und trieb ihren fürchterlich spitzen Schnabel tief in seinen Schädel. Er schrie, bis er glaubte, seine Lungen müßten platzen. Der Schmerz fühlte sich an, als würde eine Axt seinen Kopf spalten, aber nachdem die Krähe ihren Schnabel, bedeckt mit Knochensplittern und Gehirnmasse, wieder herausgezogen hatte, konnte Bran wieder sehen. Und bei dem Anblick, der sich ihm bot, stockte ihm der Atem. Er hing an einem Turm, der eine Meile hoch war, seine Finger rutschten ab, seine Nägel krallten sich in den Stein, seine Beine zogen ihn nach unten, seine dummen, nutzlosen Beine.»Helft mir!«rief er. Ein goldener Mann erschien am Himmel über ihm und zog ihn hoch.»Was man nicht alles für die Liebe tut«, murmelte er leise und schleuderte ihn hinaus in die leere Luft.
Tyrion
«Ich schlafe nicht mehr so gut wie ehedem«, erklärte Grand Maester Pycelle ihm als Entschuldigung für ihr frühes Treffen in der Morgendämmerung.»Dann stehe ich lieber auf, obwohl es noch dunkel ist, anstatt ruhelos dazuliegen und über unerledigte Arbeiten zu grübeln«, fügte er hinzu, wenngleich er mit seinen schweren Lidern sehr verschlafen wirkte.
In den hellen Gemächern unter dem Rabenschlag servierte ihnen sein Zimmermädchen gekochte Eier, Pflaumenkompott und Haferbrei, derweil Pycelle mit Belehrungen dienlich war.»In diesen traurigen Zeiten, da so viele Hunger leiden, halte ich es für angemessen, meinen Tisch karg zu decken.«
«Löblich«, befand Tyrion und schlug ein großes braunes Ei auf, daß ihn an Grand Maesters kahlen, gefleckten Schädel erinnerte.»Ich sehe das anders. Solange es etwas zu essen gibt, tue ich mich gütlich daran, denn morgen könnte es damit schon vorbei sein. «Er lächelte.»Sagt mir, sind Eure Raben ebenfalls Frühaufsteher?«
Pycelle strich sich über den schneeweißen Bart, der ihm bis auf die Brust fiel.»Gewiß doch. Soll ich nach dem Frühstück Feder und Tinte bringen lassen?«
«Nicht notwendig. «Tyrion legte die Briefe neben dem Haferbrei auf den Tisch, zwei gleiche Pergamente, die zusammengerollt und an beiden Enden mit Wachs versiegelt waren.»Schickt nur das Mädchen hinaus, so daß wir ungestört sprechen können.«
«Laß uns allein, Kind«, befahl Pycelle. Die Dienerin eilte hinaus.»Also, diese Briefe…«
«… sind allein für die Augen von Doran Martell, Prinz von Dorne bestimmt. «Tyrion pellte sein Ei und biß davon ab. Es schrie nach Salz.»Ein Brief, in zwei Abschriften. Schickt Eure schnellsten Vögel. Die Angelegenheit ist von äußerster Dringlichkeit.«
«Ich werde sie fliegen lassen, sobald wir gespeist haben.«
«Nein, sofort. Dem Pflaumenkompott droht keine unmittelbare Gefahr. Dem Reich dagegen doch. Lord Renly führt sein Heer über die Roseroad, und niemand kann wissen, wann Lord Stannis von Dragonstone aus in See sticht.«
Pycelle blinzelte.»Wenn Mylord es wünscht — «
«Ja, er wünscht es.«
«Ich bin hier, um zu dienen. «Der Maester erhob sich schwerfällig, seine Amtskette klingelte leise. Das schwere Ding bestand aus einem Dutzend Maesterketten, die miteinander verflochten und mit Edelsteinen verziert waren. Tyrion hatte den Eindruck, Gold, Silber und Platin seien weitaus häufiger vertreten als die unedleren Metalle.