Выбрать главу

Pycelle bewegte sich sehr langsam, und so hatte Tyrion Zeit, sein Ei aufzuessen und die Pflaumen zu kosten — zu zerkocht und wäßrig für seinen Geschmack — , ehe er das Geflatter hörte und sich erhob. Er sah den Raben, der sich schwarz vom Morgenhimmel abhob, und drehte sich rasch zu dem Labyrinth von Bücherregalen auf der anderen Seite des Raums um.

Die Arzneien des Maesters, die dort aufgereiht waren, beeindruckten ihn; Dutzende wachsversiegelter Töpfchen, Hunderte mit Korken verschlossener Phiolen und ebenso viele Fläschchen aus Milchglas, dazu eine endlose Anzahl von Gefäßen mit getrockneten Kräutern, von denen Pycelle jedes einzelne feinsäuberlich beschriftet hatte. Eine ordnungsliebende Seele, dachte sich Tyrion, und tatsächlich, nachdem man das System einmal durchschaut hatte, war leicht zu erkennen, daß jedes Mittel seinen Platz hatte. Und so interessante Sachen. Er entdeckte Schlafsüß und Nachtschatten, Mohnblumenmilch, die Tränen von Lys, Graukäppchenpulver, Eisenhut und Dämonentanz,

Basiliskengift, Blindaug, Witwenblut…

Indem er sich auf die Zehenspitzen stellte und sich reckte, gelang es ihm, ein kleines verstaubtes Fläschchen vom obersten Brett zu holen. Er las das Etikett, lächelte und ließ das Fläschchen in seinen Ärmel gleiten.

Als Grand Maester Pycelle schließlich die Stiege herunterkam, saß Tyrion bereits wieder am Tisch und pellte ein zweites Ei.»Es ist erledigt, Mylord. «Der alte Mann setzte sich.»Eine Angelegenheit wie diese besorgt man am besten unverzüglich, gewiß, gewiß… von großer Wichtigkeit, sagtet Ihr?«

«Oh ja. «Der Haferbrei war für Tyrions Geschmack zu zäh und hätte außerdem Butter und Honig vertragen können. Sicherlich gab es heutzutage in King's Landing nur selten Butter und Honig, obwohl Lord Gyles die Burg gut versorgte. Die Hälfte der Vorräte stammte entweder von seinem oder von Lady Tandas Land. Rosby und Stokeworth lagen im Norden, nahe der Stadt, und der Krieg hatte sie bisher nicht in Mitleidenschaft gezogen.

«An den Prinzen von Dorne persönlich. Dürfte ich fragen…«

«Lieber nicht.«

«Wie Ihr meint. «Pycelle platzte fast vor Neugier, ein kleiner Stich mit einer Nadel hätte genügt.»Vielleicht… der Rat des Königs… «

Tyrion klopfte mit dem Holzlöffel an den Rand der Schüssel.»Der Rat ist allein dazu da, dem König mit Rat zur Seite zu stehen, Maester.«

«Ebendies«, erwiderte Pycelle,»und der König — «

«- ist ein dreizehnjähriger Knabe. Ich spreche an seiner Statt.«

«Das tut Ihr. Gewiß. Des Königs Rechte Hand. Dennoch… Eure gnädigste Schwester, unsere Königliche Regentin, sie…«

«… sie trägt eine schwere Bürde auf ihren lieblichen weißen Schultern. Ich wünsche nicht, daß diese Last noch schwerer wird. Ihr etwa?«Tyrion legte den Kopf schief und starrte den Grand Maester forschend an.

Pycelle richtete den Blick wieder auf sein Frühstück. Tyrions ungleiche Augen, das eine schwarz, das andere grün, wichen die Menschen am liebsten aus; er war sich dessen bewußt und bediente sich dieser Wirkung gern.»Ach«, murmelte der alte Maester in seine Pflaumen,»zweifellos habt Ihr recht, Mylord. Es ist sehr rücksichtsvoll von Euch, ihr… diese Bürde… zu ersparen.«

«So bin ich eben. «Tyrion wandte sich wieder seinem faden Haferbrei zu.»Rücksichtsvoll. Immerhin ist Cersei meine Schwester.«

«Und zudem eine Frau«, fügte Grand Maester Pycelle hinzu.»Eine höchst ungewöhnliche Frau, und dennoch… es ist keine Kleinigkeit, sich aller Probleme des Reiches anzunehmen, vor allem, wenn man die Zartheit ihres Geschlechts bedenkt.«

O ja, sie ist eine zarte Taube, fragt nur Eddard Stark.»Es freut mich, daß Ihr meine Sorgen teilt. Und ich möchte mich für Eure Gastfreundschaft bedanken. «Er schwang die Beine herum und kletterte von seinem Stuhl.»Seid so gut und teilt mir unverzüglich mit, sobald eine Antwort aus Dorne eintrifft.«

«Wie Ihr wünscht, Mylord.«

«Und nur mir!«

«Äh… gewiß. «Pycelles altersfleckige Hand umklammerte seinen Bart wie ein Ertrinkender ein Tau. Der Anblick erfreute Tyrions Herz. Erster Streich, dachte er.

Er watschelte hinunter in den unteren Hof; seine verkümmerten Beine beschwerten sich über jede Stufe. Die Sonne stand inzwischen höher, und die Burg erwachte zum Leben. Auf den Mauern patrouillierten Gardisten; im Hof übten sich Ritter und ihre Männer mit stumpfen Waffen im

Kampfe. Ganz in der Nähe saß Bronn auf einem Brunnenrand. Zwei hübsche Mägde schlenderten vorbei und trugen zwischen sich einen Korb mit Binsen, doch der Söldner würdigte sie keines Blickes.»Bronn, an dir werde ich noch verzweifeln. «Tyrion deutete auf die jungen Frauen.»Da hast du zwei so liebreizende Wesen vor der Nase, und du hast allein Augen für einen Haufen Rüpel, die einen Riesenlärm veranstalten.«

«In dieser Stadt gibt es hundert Hurenhäuser, und mit einem einzigen Kupferstück kaufe ich mir jede Frau, die ich will«, antwortete Bronn,»aber eines Tages könnte mein Leben davon abhängen, wie genau ich Eure Rüpel beobachtet habe. «Er erhob sich.»Wer ist der Junge in dem blaukarierten Überwurf, mit den drei Augen auf dem Schild?«

«Irgendein landloser Ritter. Tallad nennt er sich. Wieso?«

Bronn strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.»Er ist der beste von ihnen. Aber seht ihn Euch an, er verfällt immer in einen bestimmten Rhythmus, teilt seine Hiebe bei jedem Angriff stets in der gleichen Reihenfolge aus. «Er grinste.»Das wird sein Tod sein, wenn er eines Tages mir gegenübersteht.«

«Er hat Joffrey den Treueeid geleistet; daher wirst du wohl kaum je gegen ihn kämpfen. «Sie überquerten den Hof, wobei Bronn seine langen Schritte den kurzen Tyrions anpaßte. In letzter Zeit wirkte der Söldner fast respektabel. Sein dunkles Haar war gewaschen und gekämmt, er hatte sich rasiert und trug den schwarzen Brustpanzer eines Offiziers der Stadtwache. Über die Schultern hing ihm ein Umhang im Purpurrot der Lannisters, der mit goldenen Händen gemustert war. Tyrion hatte ihm den Mantel geschenkt, als er ihn zum Hauptmann seiner persönlichen Leibgarde ernannte.»Wie viele Bittsteller sind es heute?«

«Ungefähr dreißig«, antwortete Bronn.»Die meisten wollen sich beschweren oder etwas von Euch erbetteln, wie immer. Euer Liebling war auch wieder da.«

Tyrion stöhnte.»Lady Tanda?«

«Ihr Page. Sie lädt Euch abermals zum Essen ein. Es gibt Hirschkeule, läßt sie ausrichten, gefüllte Gans mit Maulbeeren und — «

«- und ihre Tochter«, beendete Tyrion den Satz säuerlich. Seit dem Augenblick, als er im Red Keep eingetroffen war, pirschte sich Lady Tanda, bewaffnet mit einem endlosen Arsenal von Neunaugenpasteten, Wildschein und köstlichen Sahnesuppen, an ihn heran. Anscheinend hatte sie sich in die Vorstellung verrannt, daß ein zwergenhafter Lord der geeignete Gemahl für ihre Tochter Lollys wäre, ein großes, dickes Mädchen mit schwachem Verstand, das Gerüchten zufolge mit dreiunddreißig Jahren noch Jungfrau war.»Überbring ihr mein Bedauern.«

«Keine Lust auf gefüllte Gans?«Bronn grinste hinterhältig.

«Vielleicht solltest du die Gans essen und die Jungfrau ehelichen. Oder noch besser, schick Shagga.«

«Shagga würde vermutlich eher das Mädchen fressen und die Gans heiraten«, entgegnete Bronn.»Jedenfalls übertrifft Lollys ihn an Gewicht.«

«Das stimmt«, stimmte Tyrion zu, während sie einen überdachten Gang zwischen zwei Türmen entlangschritten.»Wer hat sich sonst noch angemeldet?«

Der Söldner wurde ernst.»Ein Geldverleiher aus Braavos, der einen Haufen Papiere in der Hand hält und den König wegen der Rückzahlung eines Darlehens sprechen will.«