Der Maester versuchte zu retten, was zu retten war, lächelte schwach und wollte aufstehen, doch ein heftiger Schmerz schoß durch seine Hüfte, und halb fürchtete er bereits, er habe sich den Knochen abermals gebrochen. Starke Hände griffen ihm unter die Arme und zogen ihn auf die Beine.»Danke, Ser«, murmelte er und drehte sich um, weil er wissen wollte, welcher Ritter ihm zu Hilfe geeilt war…
«Maester«, sagte Lady Melisandre, in deren tiefer Stimme die Musik der Jadesee mitklang.»Ihr solltet besser auf Euch achtgeben. «Wie stets hatte sie sich von Kopf bis Fuß in Rot gewandet, ein langes, lockeres Kleid aus fließender Seide, das hell wie Feuer leuchtete und dessen Ärmel mit Bogenkanten gesäumt waren; durch Schlitze im Mieder schien dunkler, blutroter Stoff hindurch.
Um den Hals trug sie ein rotgoldenes Band, welches enger saß als selbst die Kette eines Maesters und das mit einem einzigen roten Rubin verziert war. Ihr Haar war nicht orange und auch nicht erdbeerfarben wie das gewöhnlicher Rothaariger, sondern glänzte im Licht der Fackeln wie poliertes Kupfer. Sogar ihre Augen waren rot… doch die Haut war zart und blaß, ohne Makel und weiß wie Sahne. Schlank war sie, anmutig, größer als die meisten Ritter, ihre Brüste voll, ihre Taille schmal, ihr Gesicht einem Herzen gleich geformt. Der Blick eines Mannes, der auf sie fiel, würde dort verweilen, selbst der eines Maesters. Viele nannten sie eine Schönheit. Doch sie war nicht schön. Sie war rot, furchtbar und rot.
«Ich… danke Euch, Mylady.«
«Ein Mann Eures Alters sollte aufpassen, wohin er die Füße setzt«, sagte Melisandre höflich.»Die Nacht ist dunkel und voller Schrecken.«
Er kannte diesen Satz, der aus einem Gebet ihres Glaubens stammte. Das ist unwichtig, ich habe einen eigenen Glauben.»Nur Kinder fürchten die Nacht«, erwiderte er. In diesem Moment hörte er Flickenfratz, der sein Lied aufs neue anstimmte.»Die Schatten kommen zum Tanzen, Mylord, zum Tanzen, Mylord, zum Tanzen, Mylord.«
«Was für ein hübsches Rätsel«, sagte Melisandre.»Ein kluger Narr und ein närrischer Weiser. «Sie bückte sich, hob Flickenfratz' Helm auf und setzte ihn Cressen auf den Kopf. Die Kuhschellen klingelten leise, während ihm der Blecheimer über die Ohren rutschte.»Eine Krone, die zu Eurer Kette paßt, Lord Maester«, verkündete sie. Um ihn herum erhob sich lautes Gelächter.
Cressen preßte die Lippen aufeinander und rang seinen Zorn nieder. Sie hielt ihn für schwächlich und hilflos, aber er würde sie eines Besseren belehren, ehe die Nacht vorüber war. Mochte er auch alt sein, so war er dennoch ein Maester der Citadel.»Ich brauche keine Krone außer der Wahrheit«, entgegnete er und nahm sich den Narrenhelm vom Kopf.
«In dieser Welt gibt es Wahrheiten, die in Oldtown nicht gelehrt werden. «Melisandre drehte sich um, die rote Seide ihres Kleides wirbelte wie ein Strudel, und sie trat an den hohen Tisch zurück, wo König Stannis und seine Königin saßen. Cressen reichte Flickenfratz den gehörnten Blecheimer und wollte ihr folgen.
Maester Pylos saß auf seinem Platz.
Der alte Mann blieb stehen und starrte ihn an.»Maester Pylos«, sagte er schließlich,»Ihr… habt mich nicht geweckt.«
«Seine Gnaden befahl mir, Euch ruhen zu lassen. «Pylos hatte wenigstens den Anstand zu erröten.»Er sagte mir, Ihr würdet hier nicht gebraucht.«
Cressen ließ den Blick über die schweigenden Ritter und Hauptmänner und Lords schweifen. Lord Celtigar, alt und griesgrämig, trug einen Umhang, der mit roten Krebsen verziert war, die mit Granaten aufgestickt waren. Der stattliche Lord Velaryon hatte meergrüne Seide gewählt, und das weißgoldene Seepferdchen an seinem Hals paßte zu seinem langen blonden Haar. Lord Bar Emmon, der plumpe Vierzehnjährige, hatte sich in purpurnen Samt gehüllt, der mit weißem Seehundfell abgesetzt war, Ser Axell Florent wirkte eher bescheiden in Rotbraun und Fuchsfell, der fromme Lord Sunglass trug Mondsteine um Hals und Handgelenk und Finger, und der Kapitän aus Lys, Salladhor Saan, leuchtete wie ein Sonnenaufgang aus scharlachrotem Satin, Gold und Edelsteinen. Nur Ser Davos hatte ein einfaches Gewand angelegt, ein braunes Wams und einen grünen Wollmantel, und nur Ser Davos hielt seinem Blick voller Mitleid stand.
«Ihr seid zu gebrechlich und verwirrt, um mir noch länger von Nutzen zu sein, alter Mann. «Es klang nach Lord Stannis' Stimme, doch konnte das nicht sein, nein, das konnte einfach nicht sein.»Pylos wird mir von nun an mit seinem Rat zur Seite stehen. Er betreut die Raben ja bereits, da Ihr nicht mehr in den Schlag hinaufklettern könnt. Ich will schließlich nicht, daß Ihr in meinen Diensten zu Tode stürzt.«
Maester Cressen blinzelte. Stannis, mein Lord, mein trauriger, verdrossener Junge, du mein Sohn, den ich niemals hatte, das kannst du nicht tun, weißt du denn nicht, wie ich stets für dich gesorgt habe, für dich gelebt habe, dich allem zum Trotz geliebt habe? Ja, ich habe dich geliebt, mehr als Robert und Renly, denn du warst der Ungeliebte, derjenige, welche der Liebe am meisten bedurfte. Dennoch erwiderte er lediglich:»Wie Ihr befehlt, Mylord, aber… aber ich bin hungrig. Dürfte ich mich an Euerer Tafel niederlassen?« An
deiner Seite, ich gehöre an deine Seite…
Ser Davos erhob sich von der Bank.»Ich würde mich geehrt fühlen, wenn der Maester neben mir säße, Euer Gnaden.«
«Wie Ihr wünscht. «Lord Stannis wandte sich ab und sagte etwas zu Melisandre, die sich an seiner rechten Seite niedergelassen hatte, auf dem Platz, der die größte Ehre bedeutete. Lady Selyse saß zu seiner Linken und hatte ein grelles Lächeln aufgesetzt, das blitzte wie ihre Edelsteine.
Zu weit entfernt, dachte Cressen benommen und sah hinüber zu Ser Davos. Zwischen dem vormaligen Schmuggler und der hohen Tafel saß ein halbes Dutzend Vasallen. Ich muß näher an sie herangelangen, wenn ich den Würger in ihren Kelch geben will, doch wie bloß?
Flickenfratz tollte herum, während der Maester um den Tisch herum zu Davos Seaworth schlurfte.»Hier essen wir Fisch«, verkündete der Narr glücklich und winkte mit einem Barsch wie mit einem Zepter.»Unter dem Meer frißt der Fisch uns. Ja, ja, ja, ha, ha, ha.«
Ser Davos machte Platz auf der Bank.»Heute nacht sollten wir alle das Narrenkostüm tragen«, sagte er düster, als Cressen sich neben ihm niederließ,»denn unser Unternehmen ist töricht. Die rote Frau hat in ihren Flammen Siege gesehen, daher will Stannis auf seiner Forderung nach der Krone beharren, gleichgültig, wie viele Soldaten ihm folgen. Ehe sie fertig ist, werden wir wohl alle mit eigenen Augen gesehen haben, was Flickenfratz erschaut hat: den Grund des Meeres.«
Cressen schob die Hände in die Ärmel, als fröstele er. Mit den Fingern ertastete er die harten Kristalle in der Wolle.»Lord Stannis.«
Stannis wandte sich von der roten Frau ab, doch es war Lady Selyse, die antwortete.»König Stannis. Ihr vergeßt Euch, Maester.«
«Er ist alt, seine Gedanken schweifen umher«, fuhr der
König sie schroff an.»Was gibt es, Cressen? Sprecht nur.«
«Da Ihr entschlossen seid, in See zu stechen, ist es wichtig, daß Ihr mit Lord Stark und Lady Arryn zu einer Übereinkunft gelangt… «
«Ich werde mit niemandem eine Übereinkunft treffen«, entgegnete Stannis Baratheon.
«Auch das Licht schließt kein Bündnis mit der Dunkelheit. «Lady Selyse ergriff seine Hand.
Lord Stannis nickte.»Die Starks wollen mich meines halben Königreichs berauben, so wie die Lannisters mir meinen Thron und mein eigener Bruder mir die Männer und die Festungen gestohlen haben, die rechtmäßig mir gehören. Sie alle sind Usurpatoren und damit meine Feinde.«