«Ich habe schon befürchtet, Ihr würdet nicht erscheinen, Kind.«
Sansa fuhr herum. Aus der Dunkelheit schlurfte ein massiger Mann mit dickem Hals auf sie zu. Er trug eine graue Robe, deren Kapuze er aufgesetzt hatte, aber als das Mondlicht auf sein Gesicht fiel, erkannte sie ihn an der fleckigen Haut und den geplatzten Äderchen.»Ser Dontos«, stieß sie zutiefst enttäuscht hervor.»Ihr seid es?«
«Ja, Mylady. «Er trat näher, und der säuerliche Geruch von Wein in seinem Atem stieg ihr in die Nase.»Ich. «Er streckte die Hand aus.
Sansa wich zurück.»Wagt es nicht!«Sie griff unter ihrem Mantel nach dem verborgenen Messer.»Was… was habt Ihr mit mir vor?«
«Ich will Euch helfen«, antwortete Dontos,»so wie Ihr mir geholfen habt.«
«Ihr seid betrunken, nicht wahr?«
«Ich habe nur einen Becher Wein getrunken, um meinen Mut zu stärken. Wenn sie mich jetzt erwischen, ziehen sie mir bei lebendigem Leibe die Haut ab.«
Und was stellen sie mit mir an? fragte Sansa und mußte abermals an Lady denken. Die Schattenwölfin hatte Falschheit wittern können, doch war sie tot, Vater hatte sie getötet, und das hatte sie Arya zu verdanken. Sie holte das Messer hervor und hielt es in beiden Händen.
«Wollt Ihr mich erstechen?«fragte Dontos.
«Das werde ich im Notfall gewiß tun«, erwiderte sie.»Sagt mir, wer Euch geschickt hat.«
«Niemand, holde Dame. Ich schwöre es bei meiner Ehre als
Ritter.«
«Als Ritter?«Joffrey hatte ihm die Ritterschaft aberkannt. Jetzt war Ser Dontos nur mehr ein Hofnarr und stand vom Rang her noch unter Mondbub.»Ich habe zu den Göttern gebetet, daß sie mir einen Ritter schicken, der mich rettet«, sagte sie.»Ich habe gebetet und gebetet. Warum sollten sie mir einen betrunkenen alten Narren senden?«
«Gewiß verdiene ich diese Behandlung, wenngleich… ich weiß, es klingt seltsam, aber… in den vielen Jahren meiner Ritterschaft war ich doch in Wirklichkeit stets ein Narr, und nun, da ich ein Narr bin, glaube ich… glaube ich in mir wieder etwas Ritterliches zu entdecken, holde Dame. Und nur wegen Euch… wegen Eurer Gnade, Eurem Mut. Ihr habt mich gerettet, nicht nur vor Joffrey, auch vor mir selbst. «Die Stimme versagte ihm.»Die Sänger berichteten von einem Narren, der der größte Ritter aller Zeiten war…«
«Florian«, flüsterte Sansa. Ein Schauer durchlief sie.
«Holde Dame, laßt mich Euer Florian sein«, sagte Dontos demütig und fiel vor ihr auf die Knie.
Langsam senkte Sansa das Messer. Ihr Kopf fühlte sich auf schreckliche Weise leicht an, als würde sie schweben. Das ist doch verrückt, mich den Händen eines Trunkenbolds anzuvertrauen, aber wenn ich mich jetzt abwende, bekomme ich eine solche Chance dann jemals wieder?» Wie… wie wollt Ihr es anstellen? Mich von hier fortzubringen?«
Ser Dontos blickte zu ihr auf.»Euch aus der Burg zu schaffen, wird das Schwerste sein. Nachdem Ihr erst einmal draußen seid, gibt es Schiffe, die Euch heimbringen würden. Ich brauche nur das Geld aufzutreiben und ein paar Absprachen zu treffen, das ist alles.«
«Können wir sofort aufbrechen?«fragte sie und wagte es nicht zu hoffen.
«Heute nacht? Nein, Mylady, ich fürchte nicht. Zuerst müssen wir einen sicheren Weg aus der Burg finden. Das wird nicht leicht, und es wird seine Zeit in Anspruch nehmen. Auch mich hält man unter Beobachtung. «Er leckte sich nervös die Lippen.»Würdet Ihr die Klinge wieder einstecken?«
Sansa schob das Messer unter den Mantel.»Erhebt Euch, Ser.«
«Ich danke Euch, holde Dame. «Ser Dontos stand unbeholfen auf und klopfte sich Erde und Blätter von den Knien.»Euer Hoher Vater war einer der aufrechtesten Männer, die das Reich je gesehen hat, und ich habe einfach nur tatenlos zugeschaut, als sie ihn ermordet haben. Ich habe nichts gesagt und nichts unternommen… und dennoch, in dem Augenblick, als Joffrey mich töten lassen wollte, habt Ihr die Stimme erhoben. Lady, ich war nie ein Held, kein Ryam Redwyne oder Barristan der Kühne. Kein einziges Turnier habe ich gewonnen, mir in der Schlacht keinen großen Ruf errungen… aber dennoch war ich einst ein Ritter, und Ihr habt mich daran erinnert, was das bedeutet. Mein Leben ist armselig, doch es gehört Euch. «Ser Dontos legte eine Hand auf den knorrigen Stamm des Herzbaumes. Sie sah, daß er zitterte.»Ich schwöre bei den Göttern Eures Vaters, daß ich Euch nach Hause bringen werde.«
Er hat geschworen. Einen feierlichen Eid, vor den Göttern.»Dann will ich meine Zukunft in Eure Hände legen, Ser. Nur, woher werde ich wissen, wann die rechte Zeit gekommen ist? Werdet Ihr mir wieder eine Nachricht schicken?«
Ser Dontos blickte sich ängstlich um.»Das Risiko ist zu groß. Ihr müßt hierher in den Götterhain kommen. So oft Ihr könnt. Dieser Ort ist am sichersten, ja, der einzig sichere. Sonst droht uns überall Gefahr, in Eurem Gemach oder in meinem, auf der Treppe oder im Hof, selbst, wenn wir anscheinend allein sind. Im Red Keep haben die Steine Ohren, und nur hier können wir offen reden.«»Nur hier«, sagte Sansa,»ich will es mir merken.«»Und falls ich mich Euch gegenüber grausam oder spöttisch oder gleichgültig zeige, weil andere in der Nähe sind, so vergebt mir, Kind. Ich muß meine Rolle spielen, und das gleiche gilt für Euch. Ein einziger Fehltritt, und unsere Köpfe zieren die Mauer wie der Eures Vaters.«
Sie nickte.»Ich verstehe.«
«Ihr müßt tapfer sein und stark… und geduldig, vor allem geduldig.«
«Das werde ich sein«, versprach sie,»aber bitte… beeilt Euch, so sehr Ihr vermögt. Ich habe Angst…«
«Ich auch«, erwiderte Ser Dontos und lächelte matt.»Jetzt solltet Ihr gehen, ehe man Euch vermißt.«»Ihr werdet mich nicht begleiten?«»Es ist besser, man sieht uns nicht zusammen. «Sansa nickte, machte einen Schritt… und drehte sich noch einmal nervös um und drückte ihm mit geschlossenen Augen einen sanften Kuß auf die Wange.»Mein Florian«, flüsterte sie.»Die Götter haben meine Gebete erhört.«
Sie eilte über den Wehrgang am Fluß, an der kleinen Küche vorbei und durch den Schweinehof, wo ihre raschen Schritte im Quieken der Masttiere untergingen.
Heim, dachte sie, heim, er bringt mich nach Hause, er wird mich beschützen, mein Florian. Die Lieder über Florian und Jonquil waren ihre liebsten. Florian war auch von schlichtem Äußeren, wenn auch nicht so alt.
Hals über Kopf rannte sie die Serpentinentreppe hinunter, als plötzlich ein Mann aus einem dunklen Eingang trat. Sansa stieß mit ihm zusammen und verlor das Gleichgewicht. Finger packten sie mit eisernem Griff am Handgelenk, ehe sie fallen konnte, und eine tiefe Stimme schnarrte sie an:»Die Serpentine ist lang, kleiner Vogel. Willst du uns umbringen?«Sein Lachen klang wie eine Steinsäge.»Vielleicht willst du das ja wirklich.«
Der Bluthund.»Nein, Mylord, verzeiht mir, ganz gewiß nicht. «Sansa wandte den Blick ab, doch es war zu spät, er hatte ihr Gesicht gesehen.»Bitte, Ihr tut mir weh. «Sie versuchte, sich loszuwinden.
«Und warum flattert Joffs kleiner Vogel wohl mitten in finsterer Nacht die Serpentine hinunter?«Da sie keine Antwort gab, schüttelte er sie.»Wo warst du?«
«Im G-g-götterhain, Mylord«, stammelte sie, denn eine Lüge wagte sie nicht.»Ich habe für… für meinen Vater gebetet, und für… für den König, auf daß ihm nichts zustoßen möge.«
«Hältst du mich für so betrunken, daß ich diese Geschichte glaube?«Er ließ ihren Arm los und schwankte leicht, während er sich aufrichtete. Licht und Schatten spielten über sein grausam verbranntes Gesicht.»Du siehst fast schon aus wie eine Frau… Gesicht, Brüste und groß bist du auch schon, fast… ach, du bist immer noch ein dummer kleiner Vogel, nicht wahr? Singst die Lieder, die sie dir beigebracht haben… warum singst du nicht für mich? Komm schon. Sing für mich. Ein Lied über Ritter und wunderschöne Jungfrauen. Du magst Ritter, nicht wahr?«