Sie kroch unter dem Brombeergebüsch hindurch und wartete geduckt auf der anderen Seite auf ihn. Heiße Pastete tauchte schließlich bleich und keuchend auf, Gesicht und Arme waren blutig gekratzt. Er wollte etwas sagen, doch Arya legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. Auf Händen und Knien krabbelten sie am Galgen entlang, unter den baumelnden Toten hindurch. Heiße Pastete blickte nicht einmal nach oben und gab auch keinen Laut von sich.
Bis eine Krähe auf seinem Rücken landete, und er vor Schreck keuchte.»Wer ist da?«brüllte plötzlich eine Stimme aus der Dunkelheit.
Heiße Pastete sprang auf.»Ich ergebe mich!«Er warf sein Schwert fort, während Dutzende von Krähen unwillig kreischten und um die Leichen herumflatterten. Arya packte sein Bein und versuchte, ihn wieder hinunterzuziehen, aber er riß sich los, rannte vor und fuchtelte mit den Armen:»Ich ergebe mich, ich ergebe mich.«
Sie fuhr hoch und zog Needle; inzwischen jedoch war sie von Männern eingekreist. Entschlossen schlug sie auf den ersten ein, doch der blockte ihren Hieb mit dem stahlgeschützten Arm ab, und jemand anders warf sich auf sie und zerrte sie zu Boden. Ein dritter riß ihr das Schwert aus der Hand. Als sie zu beißen versuchte, spürte sie das kalte, dreckige Eisen eines Kettenhemdes zwischen den Zähnen.»Oho, ein ganz Wilder«, sagte der Mann und lachte. Der Hieb seiner gepanzerten Faust riß ihr fast den Kopf ab.
Sie standen über ihr und unterhielten sich, während sie voller Schmerzen dalag und die Worte nicht verstehen konnte. Ihr dröhnten die Ohren. Als sie versuchte, davonzukrabbeln, schwankte der Boden unter ihr. Sie haben Needle genommen. Die Schande war schlimmer als der Schmerz. Jon hatte ihr das Schwert geschenkt. Syrio hatte ihr beigebracht, wie man damit umging.
Dann packte jemand sie vorn am Wams und zerrte sie auf die Knie. Heiße Pastete kniete ebenfalls, vor dem größten
Mann, den Arya je gesehen hatte, einem Ungeheuer, wie aus einer von Old Nans Geschichten. Woher der Riese aufgetaucht war, hatte sie nicht gesehen. Drei schwarze Hunde zierten seinen verschlissenen gelben Überrock, und sein Gesicht wirkte wie aus Stein gehauen. Plötzlich wußte Arya, wo ihr diese Hunde schon einmal aufgefallen waren. In der Nacht des Turniers in King's Landing hatten alle Ritter ihre Schilde vor ihren Pavillons aufgehängt.»Das da gehört dem Bruder des Bluthundes«, hatte Sansa ihr erklärt, als sie an den schwarzen Hunden in gelbem Feld vorbeigegangen waren.»Er ist noch größer als Hodor, du wirst es sehen. Sie nennen ihn den Reitenden Berg.«
Arya ließ den Kopf sinken, sie war sich nur halb dessen bewußt, was um sie herum vor sich ging. Heiße Pastete ergab sich noch einmal. Der Berg sagte:»Du führst uns jetzt zu den anderen«, und marschierte davon. Dann stolperte sie an den toten Männern am Galgen vorbei, während Heiße Pastete ihren Peinigern erklärte, er würde Pasteten und Torten für sie backen, wenn sie ihm nichts täten. Vier Männer begleiteten sie. Einer trug eine Fackel, einer ein Langschwert; zwei hatten Speere.
Sie fanden Lommy dort, wo sie ihn zurückgelassen hatten, unter der Eiche.»Ich ergebe mich«, rief er sofort. Er warf seinen Speer zur Seite und hob die Hände, die selbst nach so langer Zeit noch vom Färben grün gesprenkelt waren.»Ich ergebe mich. Bitte!«
Der Mann mit der Fackel suchte unter den Bäumen herum.»Bist du der letzte? Der Bäckerjunge sagte, da wäre noch ein Mädchen.«
«Die ist davongelaufen, als sie Euch gehört hat«, berichtete Lommy.»Ihr habt viel Lärm gemacht. «Und Arya dachte: Lauf, Wiesel lauf, so weit du kannst, lauf und versteck dich und komm nie wieder zurück.
«Sag uns, wo wir diesen Hurensohn Dondarrion finden, und du bekommst was Warmes zu essen.«
«Wen?«fragte Lommy verdutzt.
«Ich habe es euch doch gesagt, dieser Haufen weiß auch nicht mehr, als die Weiber im Dorf. Verdammte Zeitverschwendung.«
Einer der Speerträger trat zu Lommy.»Stimmt was nicht mit deinem Bein, Junge?«
«Es ist verletzt.«
«Kannst du gehen?«Er klang besorgt.
«Nein«, erwiderte Lommy,»Ihr müßt mich tragen.«
«Meinst du?«Der Mann hob beiläufig den Speer und trieb die Spitze durch den weichen Hals des Jungen. Lommy bekam keine Gelegenheit, sich abermals zu ergeben. Er zuckte einmal zusammen, und das war alles. Nachdem der Kerl seinen Speer herausgezogen hatte, sprudelte das Blut wie eine Fontäne hervor.»Wir müssen ihn tragen, hat er gesagt«, murmelte er vor sich hin und kicherte.
Tyrion
Sie hatten ihn gewarnt, er solle sich warm anziehen. Tyrion Lannister nahm sie beim Wort, und so hatte er eine schwere, gesteppte Hose und ein Wollwams angelegt und darüber das Schattenfell aus den Mondbergen geworfen. Der Mantel war ihm viel zu lang, da er für einen doppelt so großen Mann angefertigt worden war. Saß er nicht zu Pferde, konnte er ihn nur tragen, indem er ihn sich mehrmals um den Bauch schlang, und dann sah er aus wie eine gestreifte Fellkugel.
Gleichwohl, er war froh, daß er den Rat beherzigt hatte. Die Kälte in dem langen, feuchten Gewölbe kroch ihm sofort in die Knochen. Timett war deswegen augenblicklich nach oben zurückgekehrt. Sie befanden sich irgendwo unter dem Hügel von Rhaenys, hinter der Gildenhalle der Alchimisten. Die nassen Steinwände waren mit Salpeter gesprenkelt, und das einzige Licht ging von einer geschlossenen Lampe aus Eisen und Glas aus, die Hallyne, der Pyromantiker, überaus behutsam trug.
Behutsam, gewiß… und in diesen Gefäßen lagert, was ebenfalls behutsam behandelt werden muß. Tyrion nahm eines in die Hand und betrachtete es. Es war rund und rötlich, eine dicke Pampelmuse aus Ton. Ein wenig zu groß für seine Hand, aber in die eines normalen Mannes würde es bequem passen. Die Keramik war dünn, so zerbrechlich, daß man ihn gewarnt hatte, nicht zu fest zuzudrücken, damit sie nicht in seiner Faust zerbreche. Der Ton fühlte sich rauh an. Hallyne sagte, das sei Absicht.»Ein glattes Gefäß würde beim Werfen leichter aus der Hand rutschen.«
Das Seefeuer floß träge auf die Öffnung des Tonbehälters zu, als Tyrion ihn kippte und hineinschaute. Dunkelgrün war es, das wußte er, doch im schwachen Licht hier unten ließ sich das
nicht bestätigen.»Dickflüssig«, merkte er an.
«Wegen der Kälte, Mylord«, erklärte Hallyne, ein blasser Mann mit weichen feuchten Händen und einer unterwürfigen Art. Er war in eine schwarz-rot gestreifte Robe gekleidet, die am Saum mit Zobel abgesetzt war, aber über den Pelz waren schon viele Motten hergefallen.»Sobald es sich erwärmt, fließt es besser, ähnlich wie Lampenöl.«
Unter den Pyromantikern hieß das Seefeuer die Substanz. Nun, untereinander redeten sie sich mit Weisheit an, und das ärgerte Tyrion fast ebensosehr wie ihre Gewohnheit, beiläufig immenses geheimes Wissen anzudeuten, von dem er glauben sollte, daß sie es besaßen. Einst waren sie eine mächtige Gilde gewesen, in den letzten Jahrhunderten jedoch hatten die Maester aus der Citadel die Alchimisten fast überall verdrängt. Nun bestanden nur noch einige der älteren Orden, und sie behaupteten nicht länger, sie könnten unedles Metall in Gold verwandeln…
…doch immerhin konnten sie Seefeuer herstellen.»Wasser vermag es nicht zu löschen, hat man mir gesagt.«
«Das stimmt. Aus diesem Grund heißt es Seefeuer. Fängt die Substanz einmal Feuer, brennt sie, bis sie vergangen ist, selbst auf Wasser. Und darüber hinaus sickert sie in Stoff, Holz, Leder und sogar Stahl ein, so daß diese Materialien ebenfalls brennen.«